Wolfsburger Sieg im DFB-Pokal:Erst beeindruckt, dann beeindruckend

VfL Wolfsburg's goalkeeper Benaglio lifts up the trophy after their German Cup (DFB Pokal) final soccer match against Borussia Dortmund in Berlin

Jubel im Konfettiregen: Der VfL Wolfsburg gewinnt zum ersten Mal den DFB-Pokal.

(Foto: REUTERS)

Magische Momente überall: Der VfL Wolfsburg gerät gegen Borussia Dortmund früh in Rückstand, dreht das Spiel und gewinnt zum ersten Mal den DFB-Pokal. Die Spieler widmen den Sieg ihrem verstorbenen Freund Junior Malanda.

Von René Hofmann

Sie waren in Unterzahl. Und es wirkte, als könnten sie es selbst kaum glauben. Auf jeden Fall begannen die etwa 30.000 Fans des VfL Wolfsburg bei diesem Pokalfinale in Berlin erst in der 89. Minute, Siegeshymnen anzustimmen. Dabei war da längst alles entschieden. 3:1 bezwang der Bundesliga-Zweite VfL Wolfsburg den Liga-Siebten Borussia Dortmund.

Alle Tore fielen in der ersten Halbzeit. Und es waren wirklich schöne Tore. Treffer, die in Erinnerung bleiben werden: 0:1 Aubameyang (5.), 1:1 Luiz Gustavo (22.), 2:1 De Bruyne (33.), 3:1 Dost (38.). Die Torfolge — sie erzählt schon viel über die Art, wie der VfL Wolfsburg zum ersten Mal in seiner Geschichte den DFB-Pokalwettbewerb gewann. Die Auswahl von Trainer Dieter Hecking zeichnete sich durch eine Effektivität aus, die sich die Menschen, die in Wolfsburg beim Teambesitzer VW Autos bauen, durchaus zum Vorbild nehmen können.

"Ich bin richtig stolz auf diese Mannschaft", gratulierte Wolfsburgs Manager Klaus Allofs: "Das ist die Arbeit von Dieter Hecking. Die Mannschaft hat nach schnellem Rückstand toll reagiert, wenn man sich weiter entwickeln will, gehören solche Erfolge, solche Titel dazu." Der 58-Jährige ordnete den Titel auf seiner persönlichen Skala "ganz oben" ein: "Zum ersten Mal den Pokal zu gewinnen, das ist etwas ganz Besonderes." Die Stimmung auf der Gegenseite war verständlicherweise "unterdurchschnittlich: Die Herausforderung, damit umzugehen, ist für mich eine riesige", sagte BVB-Trainer Jürgen Klopp.

Tolle Direktabnahme durch Aubameyang

Magische Momente: Darum sollte es an diesem Abend gehen. "Magic Moments" war der Titel der Eröffnungsfeier, bei der ein Dutzend Frauen in wallenden Gewändern um eine Militärkapelle tanzte und zu deren Finale Fecht-Olympiasiegerin Britta Heidemann das tat, was in den Jahren zuvor Maria Höfl-Riesch und Magdalena Neuner getan hatten: den 52 Zentimeter hohen und 5,7 Kilogramm schweren Goldpokal in die Berliner Arena tragen. Heidemann trug dazu ein goldenes Kleid aus italienischer Seide.

Zwei Drittel der mehr als 75.000 Fans im weiten Rund trugen Gelb. Die Kanzlerin, der Bundespräsident und der Bundestrainer gaben sich neutral. Als es losging, sahen sie alle erst einmal aber wenig. Einige der Gelb-Beleibten hielten es für eine gute Idee, gelbes Feuerwerk in mehr-als-handelsüblichen Mengen abzubrennen, was im Zusammenspiel mit der untergehenden Sonne die Sicht erschwerte.

Die gerechte Strafe folgte: Durch den Nebel konnten die Dummköpfe nur schemenhaft erahnen, was sich nach vier Minuten und 52 Sekunden im gegenüberliegenden Wolfsburger Strafraum ereignete: Erik Durm zog mehr als drei Gegenspieler auf sich, was Shinji Kagawa so viel Raum nahe der Außenlinie verschaffte, um von dort eine wunderbar weiche Flanke in den Strafraum schlagen zu können. Wolfsburgs Rodriguez sah den Ball kommen, verhielt sich aber so, als trage er ein Kleid aus italienischer Seide. In seinem Rücken entwischte der pfeilschnelle Aubameyang. Der Franzose hatte den Platz, die Zeit und das Talent, um den Ball volley mit rechts im Wolfsburger Tor unterzubringen. 1:0.

Reus vergibt die Großchance zum 2:0

Kurz vor dem Gegentreffer hatte es eine Szene gegeben, in der zumindest ein Wolfsburger seine grenzenlose Entschlossenheit hatte demonstrieren wollen. Luiz Gustavo, der Mann, der Gelbe Karten sammelt, wie andere im Herbst in die Pilze aufbrechen, grätschte im Mittelfeld frontal und ohne erkennbaren Grund gegen Gündogan. Es gab Freistoß, aber keine gelbe Karte. Wie die Wolfsburger Entschlossenheit nach dem Rückstand aussah? Überlegter. Quasi vom Anstoßpunkt aus kamen die Männer in Weiß zu ihrer ersten Großchance: Perisic zog aus etwa zwölf Metern ab, BVB-Torwart Langerak zeigte eine klasse Reaktion. Danach aber wurde es erst einmal wieder ruhig in Langeraks Reichs.

In der Folge entwickelte sich ein munteres Hin und Her, dessen Ah- und Oh-Augenblicke aber eindeutig in der Wolfsburger Hälfte spielten. Reus bot sich die große Chance zum 2:0, doch er schoss knapp über das Tor (19.). Die Gefahrenmomente verteilten sich ungefähr so, wie sich der Titelvergleich zwischen den Trainer Jürgen Klopp und Dieter Hecking las. Klopp, der im Trainingsanzug und Schildkappe erschienen war, kam nach sieben Jahren in Dortmund reichlich dekoriert; für Hecking, der oben auf ein Sakko setzte, unten aber auf Turnschuhen stand, ging es zum ersten Mal um Glänzendes. Manchmal braucht es für ein Tor aber halt nicht mehr als einen Freistoß. Und einen Torwart, der mithilft.

Ein Freistoß bringt Wolfsburg zurück

Ein Freistoß bringt Wolfsburg zurück

In der 25. Minute bot sich den Wolfsburgern dafür eine Gelegenheit. Rund 25 Meter Abstand zum Tor, halblinke Position, De Bruyne und Rodriguez tippen an, Naldo demonstriert, dass die Knieblockade im Abschlusstraining wohl nur ein Knieblockädchen war. Seinen Gewaltschuss kann BVB-Torwart Langerak nur abklatschen. Unglücklicherweise direkt vor den Fünfmeterraum, wo Gustavo lauert und am schnellsten reagiert. 1:1 — es war kein Tor aus dem Nichts heraus, aber eines aus dem Nicht-Viel. Und in diesem Stil sollte es weitergehen.

Dortmund testete mit Reus munter die Abseits-Reflexe des Linienrichters. Ohne viel anrennen aber zappelte das Netz auf der anderen Spielfeldseite. Keine zehn Minuten nach Naldos Gewalt-Freistoß zeigte auch Kevin de Bruyne, welche Macht in seinem rechten Bein steckt. Von Caligiuri kam der Ball deutlich hinter der Strafraumgrenze zu dem Vielgelobten, der per Dropkick sofort abzog und so vorführte, warum er so viel gelobt wird. Durch Hummels Beine fand der Aufsetzer den Weg Zentimeter über die Handschuhe des erneut unglücklich wirkenden Langerak hinweg und Millimeter neben den Torpfosten.

2:1 nach 33. Minuten: Beim Jubel tippte sich De Bruyne auf die Stelle des Trikots, auf der zu dem besonderen Anlass bei allen Wolfsburgern in einem grünen Herz die Nummer 19 stand. Die 19 war die Rückennummer ihres einstigen Mitspielers Junior Malanda, der im Januar bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. De Bruyne und Malanda hatten ein besonders gutes Verhältnis, er nannte ihn: "mein kleiner Bruder".

Dortmund hofft auf Elfmeter - vergeblich

Drei Chancen, zwei Tore. Effektiver geht es kaum, oder? Doch: Nur fünf Minuten später kam Perisic am Ende einer flotten Kurzpass-Stafette auf der rechten Außenbahn von Schmelzer freundlich eskortiert zum Flanken. Seine Hereingabe erwischte Dost — trotz seiner gefährlichen Nähe zum Dortmunder Tor von Subotic ebenfalls nur freundlich begleitet — vorbildlich mit dem Kopf, was das 3:1 zur Folge hatte (38.).

Anschließend trat Hummels dem Belgier De Bruyne fies noch eine tiefe Wunde. Und Aubameyang wünschte sich — keineswegs unberechtigt — einen Foul-Elfmeter. Auf das Ergebnis aber hatte beides keinen Einfluss. Erst beeindruckt, dann beeindruckend — so ließ sich die Wolfsburger Vorstellung in der ersten Halbzeit zusammenfassen.

Zwei Stunden vor dem Anpfiff hatte es in Berlin noch einmal geregnet. Rechtzeitig zum Anpfiff aber war es trocken, wenn auch frisch. Es war nicht nur das letzte Spiel von Klopp für Borussia Dortmund, sondern auch das letzte für Kehl und für Gündogan. An den Bedingungen konnte es nicht liegen. An der Motivation auch nicht.

Es hatte wohl doch etwas mit dem Gegner zu tun, dass auch eine Viertelstunde nach Wiederanpfiff, zu dem die beiden Formationen ohne eine Änderung erschienen, noch das 3:1 von der Anzeigentafel leuchtete. Obwohl sich auch Reus nach einem Kontakt mit Vieirinha von Schiedsrichter Felix Brych einen Strafstoß gewünscht hatte, Kagawa das Spielgerät einmal bedrohlich in die Nähe des rechten Außenpfosten gelenkt hatte (beides 50.) und Reus den Ball aus rund 20 Metern einmal nur knapp über die Latte gedonnert hatte (56.).

In der 68. Minute endet die Karriere von Sebastian Kehl

So sehr sich die Dortmunder auch mühten, die Wolfsburger blieben latent gefährlich. Und je länger das währte, desto beliebter wurde bei den Schwarz-Gelben das Frustfoul. Bei einem Lehr-DVD-Konter von Dost und Caligiuri blieb aber nicht einmal dazu Gelegenheit. Am Strafraum angelangt, legte Dost quer zu Caligiuri, der abzog. Langerak und Durm warfen sich mit aller Verzweiflung erfolgreich in die Schussbahn. Es wäre die Entscheidung in Minute 65 gewesen.

Kurz darauf beschloss Klopp, die Karriere von Sebastian Kehl nach 67 Spielminuten enden zu lassen. Für den 35-Jährigen kam Jakub Blaszczykowski, 29. Durm räumte das Spielfeld rechts hinten für Piszczek. In eine neue Richtung aber lenkten die Wechsel die Partie nicht. Klopps letzter Versuch: Reus raus, Immobile rein (79.). Nach seinem Kommen gab es Elfmeter-Forderungen (Schmelzer gegen Schürrle/81.) und Groß-Chancen (Aubameyang-Kopfball/83. und direkter Aubameyang-Freistoß/87.) in ansprechender Frequenz. Einen Treffer aber gab es nicht. Wolfsburg blieb sich bis zum Schluss treu: "Kontrolliert", wie Kevin de Bruyne sagte, der fand: "3:1 ist doch genug."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: