WM 2006:Und jetzt: Anklage

A soccer fan waves a German flag during a public screening of the World Cup soccer match between Germany and Argentina in Hamburg

WM-Wonnesommer 2006: die Aufklärung rätselhafter Geldtransfers dauert an.

(Foto: Christian Charisius/Reuters)
  • Die Steuerfahndung hat ein 144-seitiges Abschlusspapier zu den Ermittlungen in der Sommermärchenaffäre vorgelegt.
  • Die Kernaussage: Ein privates Darlehen für Beckenbauer soll aus Mitteln der deutschen WM-Organisation zurückgezahlt worden sein.
  • Der Bericht lässt aber viele Fragen unbeantwortet - oder stellt sie gar nicht erst.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Der Hausherr ist noch auf dem Rückweg aus dem Urlaub, als die Steuerfahnder einrücken. Stundenlang durchsuchen sie am 3. November 2015 das Anwesen von Horst R. Schmidt, dem langjährigen Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Auch die Altpapiertonne, die im Carport steht. Darin: handschriftliche Notizen zur kurz zuvor entbrannten Affäre um die Fußball-WM 2006. Nach SZ-Informationen ist ein Dokument dabei, das die Fahnder als wichtig einstufen. Ein Treffer im Altpapier.

Anderthalb Seiten füllt die Notiz. Markiert haben sich die Fahnder diese Passage: Franz Beckenbauer habe für ein Darlehen über 6,7 Millionen Euro gebürgt, ist dort festgehalten - und weil er für seine Tätigkeit als Chef des WM-Organisationskomitees (OK) keinerlei Vergütung erhalten habe, habe das OK 2005 einstimmig beschlossen, diesen Schuldbetrag auszugleichen. Angesichts von Beckenbauers Verdiensten habe es auch wegen der Höhe des Betrages keine Bedenken gegeben.

Das ist einer von vielen Vorgängen, die die Fahnder in der Endlosgeschichte um die WM 2006 in Deutschland zusammengetragen haben. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass die "Sommermärchen"-Affäre über das Land kam und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt begannen. Nun zeichnet sich ein Ende ab - und dass es zu Anklagen kommen wird. Schon Anfang April haben die Steuerfahnder einen 144-seitigen Abschlussbericht fertiggestellt, den die SZ einsehen konnte. Der klare Tenor: Die inzwischen berühmten 6,7 Millionen Euro, die der DFB im April 2005 an den Weltverband Fifa überwies, dienten nicht, wie damals angegeben, als Zuschuss zur geplanten (und später abgesagten) WM-Eröffnungsgala. Vielmehr sollte damit ein Privatdarlehen über zehn Millionen Franken getilgt werden, das der frühere Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus drei Jahre zuvor Beckenbauer gewährt hatte.

Ein privates Darlehen für Beckenbauer, zurückgezahlt aus Mitteln der deutschen WM-Organisatoren. Sagen die Ermittler.

Das wären die Folgen: Die 6,7 Millionen Euro wären keine Betriebsausgabe gewesen. Die für 2006 abgegebene Steuererklärung des DFB wäre damit falsch gewesen. Und deshalb sollen die drei früheren DFB-Granden Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger - als Verantwortliche für die Steuererklärung - angeklagt werden, wegen schwerer Steuerhinterziehung. Zudem der frühere Fifa-Funktionär Urs Linsi wegen Beihilfe: weil er half, die Schieberei abzuwickeln und im April 2005 die vom DFB als Gala-Beitrag eingegangenen 6,7 Millionen Euro weiter an Louis-Dreyfus überwies. Zudem geht aus dem Bericht hervor, dass in Frankfurt nicht nur gegen den DFB, sondern seit Januar auch gegen die Fifa ein Ordnungswidrigkeitsverfahren läuft.

Nur die Kernfrage lässt der Bericht offen: Wofür genau war das Dreyfus-Darlehen an Beckenbauer im Jahr 2002 gewesen? Jene zehn Millionen Franken, mit denen alles begann, und die über diverse Transaktionen beim katarischen Skandalfunktionär Mohammed bin Hammam gelandet waren? Die Version von Beteiligten, es sei eine Zahlung gewesen, um im Gegenzug von der Fifa einen hohen Zuschuss für die Organisationskosten der WM zu erhalten, sei jedenfalls nicht glaubwürdig und eine Schutzbehauptung. Ansonsten hält der Bericht nur fest, dass mehrere Erklärungen kursierten: ein Erwerb von TV-Rechten, eine (nachträgliche) Bezahlung für Stimmenkauf bei der 2000 erfolgten WM-Vergabe, oder ein Beitrag in die Wahlkampfkasse des damaligen Fifa-Chefs Sepp Blatter. Aber: Endgültig geklärt werden müsse das gar nicht - für den Vorwurf der Steuerhinterziehung sei der genaue Grund des Darlehens nicht wichtig.

Das ist der Dreh, den die Fahnder fanden, um den Vorwurf der Steuerhinterziehung, den sie früh im Verfahren als "nicht diskutierbar" einschätzten, zu erhärten: Sie brauchen den konkreten Zahlungszweck nicht. Ihnen reicht die Gewissheit, dass es keine Betriebsausgabe war. Tatsächlich wäre als Betriebsausgabe vieles zu werten, womöglich gar die Stimmkauf-Variante. Die hätte gewissermaßen ja auch einen betrieblichen Zweck gehabt. Eines wäre aber sicher nicht betrieblich bedingt: wenn der DFB ein privates Darlehen an Beckenbauer getilgt hätte. Genau davon sind die Ermittler überzeugt. Und davon, dass Niersbach und Schmidt als Unterzeichner der Steuererklärung sowie Zwanziger als damaliger DFB-Chef wussten, dass das Geld nicht der Gala diente, sondern der Rückzahlung des Privatdarlehens.

Die Staatsanwaltschaft befragt auch einen TV-Journalisten

Die Anwälte von Niersbach und Linsi äußerten sich auf Anfrage nicht. Die Anwälte von Zwanziger und Schmidt weisen den Vorwurf der Steuerhinterziehung zurück: Bei den 6,7 Millionen handele es sich um eine Betriebsausgabe. Zwanzigers Anwalt Hans-Jörg Metz sagt, das Geld sei "eindeutig eine Zuwendung zu der Gala" gewesen. Nicht der DFB, so sein Argument, sondern die Fifa habe diese Summe "zur Entschuldung von Beckenbauer verwendet". Für ein privates Vertragsverhältnis zwischen dem damaligen Geldempfänger bin Hammam und Beckenbauer gebe es keine Anhaltspunkte, diese Annahme entspringe der "Fantasie eines Steuerfahnders".

Ähnlich formuliert Schmidts Anwalt Tilman Reichling: "Es gab kein Privatdarlehen an Herrn Beckenbauer. Dies ist eine Erfindung der Steuerfahndung, um den von Anfang an unzutreffenden Vorwurf der Steuerhinterziehung um jeden Preis aufrecht erhalten zu können." Die Behauptungen im Abschlussbericht seien "unzutreffend". Und die Notiz aus dem Carport? Jener Fund, der den Fahndern zur Stützung ihrer These dient, Schmidt habe um den Charakter des Darlehens gewusst? Da verweist der Anwalt darauf, dass weiter vorne in der Notiz ja stehe, der Betrag habe laut Beckenbauer der Abgeltung einer Provisionsforderung aus dem Umfeld der Fifa-Finanzkommission gedient. Ansonsten wolle man sich an Spekulationen zum "Aussagegehalt von Altpapier" nicht beteiligen.

Dabei legt der Abschlussbericht über weite Strecken ein klares Bild nahe: dass es um Beckenbauer - der im Frankfurter Verfahren nur Zeuge, bei der Schweizer Bundesjustiz aber Beschuldigter ist - persönlich ging. Insbesondere die Notizen von Louis-Dreyfus' damaligem Bankberater, der das eigens für den Geschäftsfreund "F. B." angelegte Darlehenskonto betreute, ließen für die Fahnder keinen Zweifel, dass das Geld für Beckenbauer als Privatperson gewesen sei. Zwischen Sommer 2002 und Frühjahr 2005 vermerkte der Berater regelmäßig und zunehmend gereizt, dass F. B. den Kredit nicht zurückzahle. Es gab Treffen und Gespräche, doch es fand sich keine Lösung - bis jemand die Idee mit der Gala hatte. Eine Mitarbeiterin verfasste dann die deutlichste Notiz zum Zweck des Darlehens: Louis-Dreyfus habe dem Geschäftsfreund Geld geliehen, um Fernsehrechte aus dem Nachlass des Kirch-Konzerns erwerben zu können (SZ vom 11.11.2017). Das TV-Rechte-Imperium war im April 2002 insolvent gegangen.

In der Tat lief im Sommer 2002 nicht nur die diskrete Transaktion jener zehn Millionen Franken ab. In aller Stille entstand damals auch eine neue Rechtefirma, die just die Kronjuwelen aus den Trümmern des Kirch-Konzerns erwerben durfte: Infront. Mit Louis-Dreyfus an der Spitze sowie dem Kaffee-Unternehmer Christian Jacobs und dem saudischen Milliardär Saleh Abdullah Kamel als Großinvestoren im Beiboot. Im Fußball vertrat Kamels Interessen zu jener Zeit: Mohamed bin Hammam, Fifa-Vize und Vertrauter des Fifa-Bosses Blatter, der wiederum großes Interesse daran hatte, dass die wichtigen WM-Rechte in die richtigen Hände fielen. Damalige Kirch-Manager berichten, es habe den Plan gegeben, dass Beckenbauer als stiller Teilhaber einsteige.

Passt dazu der Bankvermerk, dass mit dem Darlehen an "F. B." Rechte aus dem Kirch-Konzern erworben werden sollten? Tatsache ist, dass im Herbst 2002 von bin Hammam 1,7 Millionen Franken an Beckenbauers Adlatus Fedor Radmann zurückflossen - und 2007 weitere 5,4 Millionen Franken von Louis-Dreyfus an Radmann/Beckenbauer. Die Anwälte des deutschen Duos beantworten Anfragen zum Thema nicht. Aber klar ist: Privatgeschäfte in diesem Kreis gab es in jedem Fall.

Anfang 2018 kommt es sogar zu einer Durchsuchung der Anwaltskanzlei des Kirch-Insolvenzverwalters

Rund 5000 Seiten trugen die Frankfurter Ermittler zusammen, vieles davon von der Schweizer Justiz. Die Aussagen von mehr als vier Dutzend Personen spielen eine Rolle. Die Anzahl der Durchsuchungen: neun. Unter den Beschuldigten soll Ex-DFB-Präsident Niersbach nach SZ-Informationen der einzige sein, der keine Aussage machte. Andere machten es den Ermittlern auch nicht leicht: Der kleine Kreis Eingeweihter, die noch leben und Bescheid wissen dürften, offenbart Erinnerungslücken. Ein Rechtshilfeersuchen nach Katar blieb unbeantwortet. In der DFB-Zentrale sowie bei Niersbach gab es im Herbst 2015 Löschaktionen. Und auch mit dem Verhalten der heutigen DFB-Führung sind die Fahnder unzufrieden. Sie monieren etwa, dass sie Protokolle der vom DFB zunächst mit der Aufklärung beauftragten Kanzlei Freshfields erst im Juni 2017 erhalten hätten, die Anlagen gar erst im Dezember. Mehr als 20 Monate nach der Anfrage.

Nach Aktenlage versuchten die Behörden vieles, um noch den Durchbruch zu schaffen. Anfang 2018 kam es sogar zu einer Durchsuchung der Anwaltskanzlei des Kirch-Insolvenzverwalters. Und nach SZ-Informationen wandte sich die Staatsanwaltschaft auch an einen TV-Journalisten, der im Januar einen Beitrag im ZDF zu bin Hammam gesendet hatte. Darin bestätigte der Katarer, dass das Geld auf sein Konto floss; es sei nicht für die WM gewesen - doch wofür, das sage er nicht. Die Staatsanwaltschaft wollte von dem Journalisten mögliche weitere Informationen, die der Katarer gegeben haben könnte. Und garnierte ihr Schreiben mit einem brisanten Zusatz: Die wahrheitsgemäße und umfassende Beantwortung der Fragen mache die Durchsuchung von Räumlichkeiten und die Beschlagnahme von Unterlagen entbehrlich. Das ist gegenüber Journalisten ein ungewöhnlicher Hinweis. Die Staatsanwaltschaft sagt dazu, es handele sich "um eine allgemeine formularmäßige Belehrung bei einer schriftlichen Zeugenbefragung. Es sollte jedenfalls niemand unter Druck gesetzt werden".

Da fällt umso mehr auf, dass die Behörden explizit auf die Vernehmung anderer wichtiger Protagonisten der damaligen Zeit verzichteten. Dazu zählt die damalige Spitze des Innenministeriums (BMI), Otto Schily und sein Staatssekretär Göttrik Wewer. Und: André Heller, der künstlerische Kopf und Cheforganisator der geplanten Eröffnungsgala. Für diese sollen die DFB-Millionen ja offiziell geflossen sein. Und die Gala spielt eine Schlüsselrolle: mit ihren sprunghaft gestiegenen Kosten, mit der Frage, warum sie vom ursprünglichen Auftraggeber, der Bundesregierung, kurzfristig auf die Fifa übertragen und dann Anfang 2006 plötzlich abgesagt wurde - und enorme Kosten hinterließ. Wären da nicht auch Fragen angebracht? Die Staatsanwaltschaft verzichtete, weil von einer Befragung "keine neuen, für das hiesige Verfahren relevante Erkenntnisse zu erwarten gewesen wären".

Die Steuerfragen sind das eine, nur ihnen geht die deutsche Justiz nach. Was wirklich gespielt wurde rund um die WM und die 6,7 Millionen, müssen nun Behörden in der Schweiz und in den USA klären.

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