WM 2010: Torhüter:Standhaft tapsiges England

Während Nigeria und Südafrika beweisen, dass afrikanische Torhüter dazulernen können, klagt das Mutterland des Fußballs mal wieder über die Tolpatschigkeit seines Keepers.

Thomas Hummel, Johannesburg

Vincent Enyeama legte den Pokal für den "Mann des Spiels" in seine Arme, er wog ihn ein bisschen hin und her, als würde er ihm zum Einschlafen ein Lied singen wollen. Wohl noch nie hat sich ein Mann-des-Spiels-Pokal so wohl und so geehrt gefühlt wie am Samstag bei Vincent Enyeama.

Der Torwart der nigerianischen Nationalmannschaft wirkte so seelig, als hätte er gerade das erste Weihnachtsgeschenk seines Lebens bekommen. Seine Augen leuchteten. "Das kann mir niemand mehr nehmen, das war das beste Spiel in meiner Karriere, gegen den besten Spieler der Welt", sagte der 27-Jährige, der in Israel bei Hapoel Tel Aviv spielt.

Mit dem besten Spieler der Welt meinte Enyeama natürlich Lionel Messi. Der kleine Argentinier flitzte am Samstagnachmittag im Ellis Park in Johannesburg wie immer durch die Reihen der gegnerischen Abwehrspieler, und wenn sich nur eine kleine Lücke zwischen all den Schienbeinen und Brustkörben öffnete, setzte Messi zu seinen gestreichelten Innenspannschüssen an.

Die neue Passion des Kontinents

Die Bälle flogen also reihenweise Richtung nigerianisches Toreck, dennoch jubelte Messi beim 1:0-Erfolg seiner Argentinier über kein eigenes Tor. Denn auch Enyeama flog reihenweise Richtung Toreck und lenkte alle Schüsse des Weltfußballers um den Torpfosten.

Die Fußballwelt wartet darauf, dass einmal ein afrikanisches Team bei einer Weltmeisterschaft bis zum Schluss im Turnier bleibt. Doch da gab es bislang mindestens einen Haken: Der gesamte Kontinent verfügte über nicht einen passablen Torwart. Afrikaner und Tor, das passte zusammen wie Oliver Kahn und Ballett. Doch nun ist die WM nach Afrika gekommen und der Kontinent hat scheinbar eine neue Passion entdeckt.

Englands Torhüter-Drama, nächster Teil

Auch der Südafrikaner Itumeleng Khune hielt beim Eröffnungsspiel gegen Mexiko einwandfrei. Einige hielten ihn beim 1:1 sogar für den Mann des Spiels. Jeder, so scheint es also, kann dazulernen im hochheiligen Torwartspiel. Jeder? Nein! Eine kleine Insel im Nordwesten Europas wehrt sich standhaft gegen die Torwart-Missionierung.

England hat zum WM-Auftakt beim 1:1 gegen die USA mal wieder sein Torhüter-Drama erlebt. Wie der bedauernswerte Robert Green den Weitschuss von Clint Dempsey über die Linie hat rollen lassen, das weckt auf der Insel düstere Erinnerungen an all die Tapsigkeiten seiner Keeper in der jüngeren Vergangenheit, angefangen bei Ronaldinhos Lupfer-Freistoß aus 40 Metern bei der WM 2002 über David Seaman. Danach griffen David James, Scott Carson und Paul Robinson kolossal daneben.

Nun traf es Robert Green, 30, West Ham United. Immerhin hielt er im anschließenden Spießrutenlauf durch die Presse den Kopf oben: "Dempsey schoss und ich hätte ihn halten müssen. Punkt." Er sei sehr enttäuscht, aber es sei eben passiert "und anderen Menschen ist schon Schlimmeres im Leben widerfahren".

"Gott ist mein Geheimnis"

Green muss den Kopf auch oben behalten, denn die Alternativen für Trainer Fabio Capello sind nicht gerade ermutigend: Joe Hart von Birmingham City, ein Länderspiel. Und eben David James, den sie in England Calamity James nennen, benannt nach einem Comic über einen maßlos tolpatschigen Jungen.

Vielleicht müssen sich Fabio Capello und die Engländer nun tatsächlich ein paar Tipps bei afrikanischen Mannschaften holen, wie man aus Fliegenfängern anständige Torhüter macht. Vincent Enyeama hätte da einen sicheren Rat. Auf die Frage, was an diesem Nachmittag gegen Lionel Messi sein Geheimnis war, antwortete er: "Gott ist mein Geheimnis. Gott hat heute den Unterschied gemacht."

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