WM 2010: Thomas Müller:Wie beim FC Bayern

Als sei so eine WM ein Kinderspiel: Der Debütant Thomas Müller brilliert beim 4:0 gegen Australien, schießt ein Tor - und kreiert für Bundestrainer Joachim Löw einen sehr schmeichelhaften Spitznamen.

Thomas Hummel, Johannesburg

Vor allem die Engländer sind am Tag eins nach dem ersten Auftritt der deutschen Mannschaft bei der WM irritiert. In Johannesburg wohnen fast alle europäischen Besucher in den Stadtteilen Melville oder Sandton, und so treffen Deutsche und Engländer gerne beim Frühstück aufeinander. Und da dauerte es an diesem Montagmorgen nirgendwo sehr lange, bis ein sehr nervös wirkender Mann vom Nebentisch den Kopf rüberstreckte und fragte: "Where do Ösieel and Muller come from?"

Ja, die Fußballwelt hat am Sonntagabend gestaunt über diese junge, für viele unbekannte DFB-Elf, die Australien mit 4:0 fachgerecht zerlegte. Auch die deutsche Fußballwelt muss ja zugeben, von einem offensiven Kombinationsrausch der eigenen Mannschaft überfallen worden zu sein, den man ihr in dieser Form bei einer WM nicht zugetraut hätte. Doch unter all den guten Kickern im weißen Dress ragten zwei Anfangzwanziger noch heraus: Mesut Özil und besonders Thomas Müller.

Dabei schien Özil mit seiner Leichtfüßigkeit lange Zeit für den Titel "Mann des Abends" prädestiniert. Wenn er die Angriffe ein- und weiterleitete, machte er das deutsche Spiel in australischen Augen mitunter schneller als Lichtgeschwindigkeit. Doch irgendwann in dieser Partie, vielleicht als Özil seine zweite Großchance wie so häufig etwas kläglich vergab, wurde Özil in der Wertung des besten Spielers auf dem Platz rechts überholt.

Unerschrocken in die WM-Premiere

Es war die letzte offene Personalie vor dem WM-Auftakt gegen Australien in Durban: Würde der Hamburger Piotr Trochowski oder der Münchner Thomas Müller auf der rechten offensiven Mittelfeldseite spielen? Bundestrainer Joachim Löw erklärte seine Entscheidung hinterher so: "Müller geht gegen defensive Mannschaften mehr in den Rücken der Abwehr, Richtung Tor."

Das hatte der Bundestrainer gut beobachtet, denn Thomas Müller tat ja in seiner ersten Saison beim FC Bayern nichts anderes, als ständig Richtung Tor zu laufen und sich an allen Brennpunkten ins Getümmel zu werfen. Dabei fiel der 20-Jährige mit einer Unerschrockenheit auf, die der Jugend immer zugeschrieben wird. Nur hatte man in Fußball-Deutschland lange niemanden mehr derart unerschrocken gesehen.

Während viele Profis bei einer solchen WM schon froh sind, wenn sie auf den Platz laufen dürfen, dann aber ob der Wucht des Ereignisses leicht erstarren, scheint Thomas Müller dieser Gedanke überhaupt nicht zu kommen: "Wenn ich schon dabei bin, will ich gute Leistungen zeigen", sagte er nach dem Spiel.

Müller spricht von "Louis van Löw"

Dabei fühlt er sich offenbar auch deshalb in der Nationalmannschaft so wohl, weil er darin ein bisschen seinen FC Bayern wiederentdeckt. Insgesamt sieben Spieler flogen aus der Double-Sieger-Mannschaft mit nach Südafrika, und auch spielerisch will Müller Parallelen sehen. "Wie wir den Ball hin- und herschieben und auf die Lücke warten, Ballkontrolle wollen und dann schnell in die Tiefe spielen", meinte er. Dann benutzte er einen Ausdruck, der in diesen WM-Tagen vielleicht noch Flügel bekommen wird: "Louis van Löw."

Thomas Müller fühlt sich jedenfalls in der Verantwortung, der Mann in der Lücke oder eben in der Tiefe zu sein. Das 1:0 bereitete er mit einem Sprint hinter die australische Verteidigungslinie und einem genauen Querpass vor, ständig stellte er die Socceroos mit seinen Tempodribblings und Antritten vor viel zu schwere Aufgaben. Vor seinem 3:0 zeigte Müller zudem, dass er fähig ist, sich selbst eine Lücke zu schaffen. Mit einem Hinternwackler à la Gerd Müller ließ er den Gegenspieler ins Leere fallen und vollstreckte zielgenau.

Selbst Löw staunte über seinen elften Stammspieler: "Bei Müller wundere ich mich immer wieder, mit welcher Frechheit und Lockerheit er spielt." Wie weit diese Frechheit und Lockerheit die DFB-Elf durchs Turnier tragen wird, konnte dieser Abend trotz aller Euphorie allerdings nicht beantworten. Dafür präsentierten sich die Australier nach dem frühen Gegentor und spätestens nach der (unberechtigten) roten Karte für Starspieler Tim Cahill (56.) als zu schwach und schon fast resigniert.

Die Serben sehen noch Panzer

Doch dieser Auftritt im Moses-Mabhida-Stadion sendete ein Signal an die Konkurrenz. Die Presse im Land des nächsten DFB-Gegners Serbien bediente sich dabei des alten Panzer-Vergleichs, wenn es um gewinnende deutsche Fußballer geht. "Panzer erniedrigen Australien", titelte etwa die Zeitung Blic, was in Bezug auf den schmalbrüstigen Thomas Müller noch fragwürdiger anmutet, als der Vergleich zwischen Menschen und Kriegsgerät ohnehin schon ist.

Dass die Engländer sich dem Panzer-Klischee indes verweigern, verdeutlicht nur umso mehr die Irritationen beim möglichen Achtelfinal-Gegner. Der Guardian schreibt von "verstörend guten Deutschen", der Daily Telegraph sah "Flair, Unvorhersehbarkeit und jugendliche Lebenslust". Und bei den englischen Nachbarn am Johannesburger Frühstückstisch drehte sich die Diskussion bald darum, wie viel Geld man nun auf einen deutschen WM-Sieg verwetten kann.

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