WM 2010: Taktik und Trends:FC Bayern: 14 Punkte

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Tore wie in München von Arjen Robben und Thomas Müller, eine Mailänder Abwehr für Brasilien: Die Einflüsse der Vereine bei der WM nehmen zu, die Länder-Stile vermischen sich.

Moritz Kielbassa

Die Eindrücke vom deutschen Fußball in Südafrika sind positiv, obwohl bei den Expertenrunden im WM-Sender SABC die Sachverständigen für Germany Thomas Berthold und Ernst Middendorp sind: ein Retro-Kicker und ein Retro-Trainer. Mit Retro und alten Gewissheiten aber hat diese WM generell nicht viel zu tun, und auch die Bundesliga transportiert neue Frische und Qualität zur Weltmesse. Deutscher Fußball 2010 wird vom Betrachter wahrgenommen als Özilfußball, als Müllerfußball: aktiv, dynamisch, pfiffig, mit Fantasie. Ein anderer Botschafter der Bundesliga erzielte am Montag zum x-ten Male nach demselben Handlungsmuster ein sehenswertes Tor: Kurzer Antritt, Kurvendribbling nach innen, strammer Schuss mit links. "Yeah", plärrte der Kommentator von SABC 1 beglückt, "Robben has arrived."

Ein typisches Robben-Tor: Dribbling über die rechte Seite, Haken zur Mitte, Schuss - drin. (Foto: ap)

Mit seinem 1:0 beim 2:1 gegen die Slowakei hat Arjen Robben von Bayern München die Niederlande ins Viertelfinale gebracht und sich damit auch bei der WM als einer der eindrucksvollsten Solisten vorgestellt. Der 2009 aus Madrid importierte Niederländer ist einer der Kronzeugen für die aktuelle Aufwertung der Bundesliga im internationalen Vergleich. In der "Scorer-Wertung" der WM, der Spieler-Rangliste nach Toren und Torvorlagen, fällt vor allem sein FC Bayern auf.

Schon sieben Treffer waren Münchner Ursprungs: von Thomas Müller (3), Miroslav Klose (2), Martin Demichelis (Argentinien) und Robben. Torvorlagen von Müller, Robben, Schweinsteiger, Lahm und Ribéry (Frankreich) hinzugezählt, liegen die Bayern bei 14 Scorerpunkten. Kein Verein hat bisher eine bessere Bilanz, und mit Reporterhäme könnte man auch noch für jene Tore danken, die der Verteidiger Demichelis seinen Argentiniern hinten eingebrockt hat.

Einfluss der Vereinsstile

Die Tendenz der WM ist eindeutig: Vertraute landestypische Stilmerkmale nehmen bei vielen Teams ab. Eher stärker werden die Einflüsse aus Europas großen Vereinen, den Trendsettern der Sportart, weil dort Profis aller Kontinente Impulse erhalten, die sie in ihre Nationalteams tragen. Sicher gibt es noch nationale Besonderheiten: brasilianische Virtuosität, spanische Kurzpässe, italienisches Kalkül, portugiesische Ballverliebtheit, englisches Tempo, deutsche Tugenden. Doch im globalen Wettbewerb mischen sich auf allen Ebenen Stilnoten, Identitäten und Mentalitäten. Auch die Bundesliga ist ein internationaler Schmelztopf, mit Trainern und Topspielern aus dem Ausland; und immer mehr deutschen Talenten, die modern, nicht klassisch deutsch ausgebildet wurden oder deren familiäre Wurzeln in fernen Ländern liegen.

Brasiliens Künstler können diesmal auch verteidigen wie Inter Mailand, weil Torwart César und die Abwehrbullen Lúcio und Maicon das Defensivdogma ihres Klubtrainers Mourinho abbilden. Argentinien hat nun die besten Stürmer, sie feilten früh an ihren Fähigkeiten in der Primera Divisíon (Messi, Higuaín) und Premier League (Tevez). Den Deutschen predigten die Lehrbeauftragten Klinsmann und Löw über Jahre, wie schnell in England oder Spanien gekickt wird. Uruguay vitalisiert sein einst aus Grätschen und Grätschen bestehendes Spiel durch Torjäger aus Madrid (Forlán) und Amsterdam (Suárez).

Spanien ist - in der Vorrunde nur in Ansätzen- die Fortsetzung des FC Barcelona in roten Trikots, geprägt von der Ballbesitzschule der Katalanen, ergänzt um Stürmer wie David Villa - und Fernando Torres, der aus Liverpool die pragmatischere Idee flotter Konterüberfälle kennt. Spaniens Trainer Vicente del Bosque hat erkannt, dass eitles Pochen auf eine eigene Strategie falsch wäre: "Wir dürfen die Augen nicht verschließen. Wir sollten uns danach richten, was in den Klubs passiert, Barcelona prägt die Ästhetik unserer Spielweise." Großmächte Europas wie Italien und Frankreich, die, mit Verlaub, ihren alten Stiefel spielten, flogen früh heim.

WM 2010: Achtelfinale
:Der Raketen-Robben

Er nimmt Tempo auf, zieht nach innen, schießt - und der Ball ist im Tor. Beim 2:1 der Niederländer gegen die Slowakei macht Arjen Robben das, wofür man ihn so schätzt. Das Spiel in Bildern.

Spieler des FC Bayern tragen hingegen zum Gelingen der Veranstaltung bei, sie erinnern in Südafrika an den kreativen, offensiven, jugendlichen Fußball dieser Saison, der holländisch inspiriert war, durch Trainer Louis van Gaal. Aber auch münchnerisch, weil die Jugendabteilung der Bayern früh in der Ausbildung von Talenten das freche, originelle, individuelle Spiel förderte, den Mut zur Einzelaktion, über Faktoren wie Physis und Ergebnisdruck gestellt. Schweinsteiger, Müller, Lahm - sie alle haben jene Schule besucht. Und mit Rumpelfüßlern nichts mehr gemein.

Ein typischer Van-Bommel-Zweikampf: Er selbst am Boden, der Gegenspieler gleich ebenfalls. (Foto: afp)

Angriffswille und Tempo

Joachim Löws Nationalelf spielt nach anderen Mustern als van Gaals FC Bayern, das schon. Aber vieles sieht doch ähnlich aus: der Wille zum Angriff, die Bewegung, das überraschende rhythmische Beschleunigen und Öffnen des Spiels, das wichtiger ist als immer nur Tempo, Tempo; der beherzte Zug zum Tor, auf geübten diagonalen oder steilen Lauf- und Passwegen, zickzack. Hier mischen sich Klub- und Länderkonzept. Die Nationalelf sucht prompter den Weg zum Strafraum, der FC Bayern passt Gegner müde.

Ohnehin überlagern sich im modernen Fußball die Dinge, die Grenzen zwischen Gegensatzpaaren wie defensiv oder offensiv spielen, Kontern oder Gestalten, sind bei vielen fließend. Auch der FC Bayern hat nicht nur Angriffsschwung zur WM geschickt, sondern auch Mittelfeldkräfte wie van Bommel und Schweinsteiger, die für van Gaals Lehre der Kontrolle über Spiel, Tempo und Räume stehen. Van Bommel ist bei den Niederländern der Aufpasser, dass es die Künstler vorne nicht übertreiben. Er fürs Grobe, Robben fürs Geniale, das ergänzte sich schon im Klub.

Trotzdem nölen Kritiker, die einst für ewige Schönheit bekannte Elftal wurstele sich 2010 so rational und unterkühlt durchs Turnier wie früher die Deutschen (die nun ihrerseits schick wirken). Man könnte sogar frotzeln: Holland spielt wie der alte FC Bayern - Hauptsache gewonnen!

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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