WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Zu viel Nervenkitzel

Blog do BRasil

Ein ungewohntes Bild: Schweizer Schlitten in Rio de Janeiro

(Foto: Michaela Metz)

Erst Deutschland gegen Frankreich, dann Brasilien gegen Kolumbien. Impressionen vom Public Viewing in Rio de Janeiro. Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Michaela Metz, Rio de Janeiro

Zwei Mal Nervenkitzel. Mittags spielt Deutschland gegen Frankreich und dann Brasilien gegen Kolumbien. Das Deutschlandspiel könnten wir doch bei unseren Nachbarn anschauen, dachten wir. Bei den Schweizern. Die haben am Ufer der Lagoa Rodrigo de Freitas das Palaphita Kitch, eine sündhaft teure Open-Air-Bar mit Amazonastouch zum Treffpunkt der Schweizer Fans gemacht. Die Mannschaft hat sich ja nach der qualvollen 0:1-Niederlage gegen Argentinien schon verabschiedet.

Überdimensional große Schlitten, eine Schneekugel, Kühe und Glocken haben die Schweizer hier aufgestellt. Das sieht irgendwie grotesk aus. Schweizerisch-tropisch. Berge gibt es in Rio ja immerhin auch. Der Blick auf den See, die Skyline von Ipanema, die Felsen gegenüber und hoch oben, etwas weiter entfernt auf die Christusstatue ist berauschend.

Anfangs gab es hier eine kleine Irritation, weil die Toiletten des Palaphita Kitch offenbar nur für Schweizer VIPs zugänglich waren, die Brasilianer dagegen die vorsorglich aufgestellten Chemieklos benutzen sollten. Aber das scheint jetzt auch Schnee von gestern zu sein.

Die Fangemeinde hat es sich vor dem riesigen Bildschirm auf politisch korrekten Amazonasholzsofas schon gemütlich gemacht und ist gut versorgt mit brasilianisch-schweizer Fusionsnacks und Caipirinha. Wer hier Franzose ist oder Deutscher oder Brasilianer lässt sich nur schwer feststellen. Schweizer sehen wir gar keinen. Sind die schon alle abgereist? Fast alle Fans tragen die gelben Brasilien-T-Shirts, manche gemixt mit schwarz-rot-goldenen Hüten und Perücken und rot-weiß-blau bemalten Gesichtern. Trotzdem geht es ziemlich geordnet zu hier. Kein Geschrei, keine Knaller, keine lauten Kommentare zum Verlauf des Spiels. Gut, das Spiel wurde durch Hummels Tor früh entschieden. Keine Verlängerung. Kein Elfmeterschießen. Vielleicht lag es daran, dass der Funke nicht übersprang.

Wir verabschieden uns nach dem Spiel jedenfalls von dieser luxuriösen Location und quetschen uns in der Bar Manoel & Joachim ein paar Straßen weiter an den letzten freien Tisch. Thiago, der Ober, bringt uns Bier und gegrillten Tintenfisch. Da erklingt auch schon die brasilianische Hymne und alle singen lauthals mit. Drei Flachbildschirme beschallen uns. Draußen kracht es immer wieder wahnsinnig, irgendwer schwenkt die ganze Zeit eine bettlakengroße Brasilienflagge. Ja, hier sind wir richtig. Die Nerven liegen schon bald blank. Abseitstor der Kolumbianer, das zum Glück nicht zählt, Thiago Silva für das nächste Spiel gesperrt, gelbe Karte für Torwart Julio César, den Helden des letzten Spiels - und dann auch noch Neymar verletzt!

Doch am Ende liegen sich alle in den Armen und sind sehr sehr glücklich. Geschafft! Brasilien ist im Halbfinale. Am Dienstag spielt nun also Deutschland gegen Brasilien. Da bekomme ich jetzt schon Herzrasen!

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