WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Fußballfrei für alle

WM-Tagebuch "Blog do Brasil": Wenn Brasilien Fußball spielt, sind die Straßen leer. Wie hier in Brasilia.

Wenn Brasilien Fußball spielt, sind die Straßen leer. Wie hier in Brasilia.

(Foto: AFP)

Wenn die Seleção spielt, stoppt das Leben in Brasilien - und die Straßen sind leer. In Belo Horizonte haben sie den Tag des Halbfinales gegen Deutschland nun gleich ganz zum Feiertag ausgerufen. Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Thomas Hummel, Belo Horizonte

Ein Wohnmobil mit Berliner Kennzeichen fährt auf der Avenida Atlântica. Es ist eingewickelt in ein Tuch, das aus etlichen Fahnen besteht. Nicht nur der deutschen und brasilianischen, sondern vieler Nationen, die bei der WM dabei sind. Dieser Bus versprüht internationales Flair. Und er steht im Stau. Die Straße an der Copacabana ist wie so oft verstopft, während dieser Tage noch häufiger als sonst. Hier ist das große Public Viewing der Stadt, nachdem die Argentinier ihr Viertelfinale gegen Belgien gewonnen hatten, geht es fast nichts mehr.

Doch das macht dem Berliner Bus bestimmt nichts aus, je langsamer es voran geht, desto länger darf er sich an der Copacabana präsentieren. Es ist ja ein schmuckes Automobil. Und der Stau auf der Avenida Atlântica hat den Vorteil, dass man umso länger die Szenerie am berühmten Strand von Rio de Janeiro beobachten kann. Wer Zeit hat, für den ist so ein Stau hier das Beste, was es gibt.

Ansonsten ist der Stau in Brasilien ein tägliches Ärgernis. In Salvador hat sich manch einer gewundert, wie es zu schaffen ist, eine sechsspurige Autobahn völlig mit Blech zu verstopfen. Selbst am Samstagabend quält sich die Mittelschicht aus ihren reicheren Vierteln so lange hinunter nach Rio Vermelho oder Barra in die Tanzbars, dass sie ganz steif aus ihren Wagen kommt. Der öffentliche Nahverkehr ist nach europäischen Maßstäben leicht unterentwickelt in Brasilien. In Salvador ist just zur WM die erste U-Bahn eingeweiht worden, nach 14 Jahren Bauzeit. Es wurden aber nur fünf Stationen fertig. Das führt auf den Straßen leicht zu Überbevölkerung.

Eine Stadt ohne Menschen

Schauplatz-Wechsel: Estádio do Maracana, Freitagnachmittag, kurz nach 17 Uhr. Zwei, drei Autos huschen vorbei, schneller als erlaubt. Einige Taxifahrer reagieren nicht auf Kunden, sondern biegen rechtzeitig ab. Die Busfahrer freuen sich über wenig Fahrgäste und eine Freiheit, die sie so vermutlich noch nie erlebt haben: Denn die Straßen sind leer. Außer ein paar Verirrten wirkt Rio de Janeiro wie entvölkert.

Wenn die Selecao spielt, stoppt das Leben in Brasilien. Fast. Fast alle Geschäfte schließen Stunden vor dem Anpfiff, fast alle Angestellten und Arbeiter machen mittags Feierabend. Wer kann, der geht nach Hause, das Spiel schauen. Selten hat das gute, alte Wort "Straßenfeger" so gut gepasst. Eine Fahrt vom Maracana zur Copacabana schafft der Taxifahrer (einer derjenigen, die doch arbeiten) in 13 Minuten. Sonst kann es schon mal mehr als eine Stunde lang dauern.

Nun bereitet sich Belo Horizonte auf das große Halbfinale vor. Die Straßen werden am Dienstag von 17 Uhr an wieder frei sein, wer immer mal mit dem Fahrrad oder den Rollschuhen in der Stadt rauf und runter sausen wollte, der hat nun Gelegenheit dazu. Davor allerdings fürchtet die Stadtverwaltung ein respektables Chaos. Denn hier ist vor einigen Tagen eine Brücke eingestürzt. Sie ist auf einen Bus gefallen, zwei Menschen sind gestorben. Nun blockiert der Beton-Block eine der wichtigsten Verkehrswege der Stadt. Was tun?

Nun, haben sich die Stadtoberen gedacht, da ab mittags eh niemand mehr arbeiten will, erklären wir den Dienstag kurzerhand zum Feiertag. Zum ersten Mal während der WM geben Politiker in Brasilien den Leuten wegen der WM frei. Für die Berliner mit ihrem Wohnmobil muss das keine schlechte Nachricht sein. In der früheren Bergarbeiter-Stadt Belo Horizonte gibt es wahrlich keinen Ort, der so schön ist, dass man einen Stau herbeiwünschen würde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: