WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Raus auf die Straße!

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Nach dem Sieg im Elfmeterschießen dürfen die Brasilianer endlich feiern. (Foto: AFP)

Das Achtelfinale gegen Chile strapaziert die Nerven aller fußballbegeiserten Brasilianer - erst als Torhüter Júlio César flennt, können alle unter freiem Himmel feiern. Und wie! Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Michaela Metz, Rio de Janeiro

Zurück in Rio de Janeiro. Und Brasilien spielt! Als ich vor knapp drei Wochen von hier wegfuhr war von der WM nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Außer ein paar Hubschraubern am Himmel und der Invasion der Polizei. Die sind beide immer noch da. Doch jetzt ist die ganze Stadt Brasilgelb. Gelbe Trikots wohin man sieht. Gelb-grüne Perücken und Tröten und gelb-grüne Gesichter. Überall auf den Straßen. Brasilien muss heute gewinnen! Nur die gelben Taxis sind kurz vor dem Spiel nicht mehr zu haben. Keine Chance! Alle besetzt!

In Erinnerung an das wilde Geschiebe und Gedränge beim Fanfest in Salvador - beinahe hätte man uns ausgeraubt - gehe ich es diesmal ruhiger an. Doch auch hier bei Freunden irgendwo im Stadtteil Laranjeiras kocht die Stimmung. Die brasilianische Seleçao stellt ihr Land, ihre Fans und ihren Trainer Felipão auf eine harte Geduldsprobe. Das Spiel verläuft schleppend, die Chilenen kämpfen! Julio César ist halt doch nicht mehr der Jüngste. Und der chilenische Torwart, die schwarz gekleidete Gefahr gegenüber, steht wie ein Panzer vor seinem Tor.

Und Hulk! Buh! Ist doch gekauft der Schiedsrichter! Wieso zählt denn das zweite Tor nicht? Das war nicht der Arm! Das war doch höchstens das Ende der Schulter, als er den Ball annahm, um ihn in ein Tor zu verwandeln. Und jetzt zählt es nicht! Hulk kann es selbst kaum glauben! Noch mal die Zeitlupe. Also fast gar kein Arm! Über dieses Wohnzimmer, die Stadt, ja wahrscheinlich über das ganze Land senkt sich ein lähmender Angstzustand. Das, was nicht passieren darf steht nun im Raum. Brasilien darf nicht verlieren!

Elfmeterschießen nervlich nur schwer zu ertragen

Luiz schafft mehr Bier und Caipirinha herbei um unsere Nerven zu beruhigen. Schon sind die 90 Minuten um. Immer noch eins zu eins. Dann die Verlängerung. Eins zu eins. Das Elfmeterschießen ist nervlich nur noch schwer zu ertragen. Das findet auch Julio César. Er weint. Wahrscheinlich geht ihm gerade durch den Kopf, dass er vor vier Jahren in Südafrika den Ball im Viertelfinale gegen Holland nicht hielt und Brasilien daraufhin ausschied. Damals hatte er viel Kritik einstecken müssen deswegen. Schon ist die Tristesse spürbar, die Enttäuschung der Mannschaft über eine mögliche Niederlage im eigenen Land.

Das war knapp! Bravo Julio César! Zwei Mal gehalten! Brasilien ist im Viertelfinale! Und Julio César weint wieder. Doch diesmal sind es Freudentränen. "Pra Rua!" rufen jetzt alle, "raus auf die Straße", um den Sieg zu feiern! Ich hülle mich in meine Brasilienflagge und wir gehen zur Praça São Salvador. Auf diesem schönen städtischen Platz, einem Treffpunkt des Viertels, hat sich die gelbe Gemeinde schon versammelt. Alle sind selig. Es gibt Bier, Popcorn und Caipirinha. Ein paar Capoeiristas trommeln und singen. Wunderbar! Kein Geschiebe, kein Gedränge. In einer kleinen Bar verliere ich ein Bündel Geldscheine und eine Frau läuft mir über den ganzen Platz hinterher, um es mir zurückzugeben. Ist das nett! Auf der Fanmeile am Strand von Copacabana ist jetzt wahrscheinlich gerade die Hölle los.

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