WM 2010: Spielball Jabulani:"Unmöglich zu fangen"

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Der schreckliche Ball: Wie vor fast jeder Weltmeisterschaft nörgeln die Torhüter über den Spielball - weil die Kugel zu rund und unberechenbar sei. Dabei gäbe es eine ganz einfache Lösung.

Jürgen Schmieder

Nein, dieser Ball ist nicht zu fangen! Diese Flugkurve, diese Geschwindigkeit, es ist unmöglich vorherzusehen, wo die kleine Kugel hinfliegt. Die Fänger beim amerikanischen Baseball-Klub Boston Red Sox waren verzweifelt, als der Verein im Jahr 1995 den Werfer Tim Wakefield einstellte. Wakefield ist ein sogenannter Knuckleballer, er wirft den Ball extrem langsam und ohne Rotation - das Spielgerät tanzt in der Luft hin und her und nicht einmal der Werfer selbst weiß, wo er am Ende landen wird. Die Lösung der Red Sox: Wakefield hat seit 15 Jahren einen persönlichen Fänger, der darauf spezialisiert ist, die schwierigen Würfe zu fangen.

Der US-amerikanische Torhüter Marcus Hahnemann versucht, den WM-Ball zu fangen - erfolglos. (Foto: AP)

Ein Baseball hat durch seine Zusammensetzung aus zwei Waben und einer dicken Naht die Eigenschaft, dass ihn Werfer durch Rotation auf eine extrem kurvige Reise schicken können - oder ihn durch den Verzicht auf Rotation unberechenbar tanzen zu lassen. Er flattert dann, als hätte er einen epileptischen Anfall oder zumindest nervöse Zuckungen. Der berühmte Catcher Bob Uecker sagte einmal über Knucklebälle: "Sind doch einfach zu fangen. Warte, bis sie gegen eine Wand prallen, und heb' sie danach auf."

Der Fußball, der bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika eingesetzt wird, wird aus acht Panelformen zusammengeklebt. Von der absolut runden Kugel weicht der Ball maximal 0,1 Prozent ab, die Flugeigenschaften kommen dem eines Baseballs sehr nahe und wie die Fänger der Boston Red Rox sind derzeit auch die Torhüter, die den Jabulani bei der WM fangen sollen, am Verzweifeln - weil für sie eine Abänderung von Ueckers Spruch gelten könnte: "Warte, bis sie im Tor liegen, und heb' sie danach auf.

"Dieser Ball ist eine Schande", nörgelt etwa Italiens Torwart Gianluigi Buffon, der Brite David James findet den Ball einfach nur "schrecklich", Brasiliens Schlussmann Julio Cesar nennt ihn "grausam" - und der spanische Kollege Iker Cassilas glaubt gar, einen "abgründigen Charakter" im WM-Ball entdeckt zu haben. "Eine nie dagewesene Rundheit" bescheinigt Hersteller Adidas der Kugel, der dieses Attribut jedoch schon vor der WM 1970 und seitdem bei jeder Endrunde verleiht.

Die Nörgeleien über den WM-Ball sind nicht neu, schon bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko urteilte mancher Spieler, der Ball mit seinen zwölf schwarzen Fünfecken und 20 weißen Sechsecken sei nur für das Fernsehen entworfen worden. Und beim ersten vollsynthetischen Spielball, dem Azteca, fürchteten die Akteure in der Endrunde im Jahr 1986, der Ball sei zu schnell und unberechenbar geworden.

Hoher Abflugwinkel

Und nun beschweren sich die Torhüter, weil die Spieler den Ball bei entsprechender Behandlung auf eine ungewöhnliche Flugkurve schicken können. "Ich schwinge das Bein nicht voll durch, der Ball wird eher geschaufelt. Ich treffe ihn halb mit dem Spann, halb mit der Innenseite", sagt etwa Piotr Trochowski über die seitliche Rotation. Cristiano Ronaldo dagegen versucht es eher mit einer anderen Variante: Er trifft den Ball weit unten, zieht dann den Fuß schnell nach oben und verleiht dem Spielgerät dadurch Topspin. Der Schuss hat dadurch einen hohen Abflugwinkel und senkt sich erst kurz vor dem Tor.

Die dritte Variante besteht darin, dem Ball überhaupt keinen Schnitt zu geben - wie es eben der Werfer Wakefield mit einem Baseball tut. Durch Verwirbelungen der Luft tanzt der Ball und kann auch kurz vor dem Tor noch die Richtung ändern. "Es ist unglaublich. Der Ball verhält sich, als würde er von jemandem geführt. Ganz plötzlich verändert er einfach die Flugbahn", sagt der brasilianische Stürmer Luis Fabiano. "Es gibt zwei Möglichkeiten, so einen Ball ohne Spin zu erwischen", sagt Baseball-Trainer Charlie Lau. "Unglücklicherweise funktioniert keine davon."

"Wir sollten einfach gelassen bleiben und uns einfach die Zeit nehmen, uns an den Ball zu gewöhnen", sagt Australiens Torhüter Mark Schwarzer. Der Fänger von Wakefields Würfen macht nichts anderes, als sich an die unberechenbaren Bälle zu gewöhnen. Vielleicht ist der sogenannte moderne Torwart gar nicht jener, der wie ein Feldspieler agieren kann - sondern der, der darauf spezialisiert ist, einen in der Luft herumtanzenden Ball zu fangen.

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