WM 2010: Spanien - Deutschland:Die Wucht der Wahrheit

Wortkarg und mit glasigen Augen verschwinden die deutschen Spieler nach dem WM-Aus im Mannschaftsbus. Bundestrainer Löw stimmt ein Klagelied an, Teammanager Bierhoff lobt die Spanier. Die Zukunft des Duos ist ungewiss.

Thomas Hummel, Durban

Ob Thomas Müller schon einmal so wortkarg war? Nein, er wolle gar nichts sagen, beschied er nach dem Spiel auf dem Weg zum Mannschaftsbus. Er sah dabei die Menschen um ihn herum mit glasigen Augen an, irgendwie blickte er durch sie hindurch. Als hätten ihn die 90 Minuten zuvor zu viel mentale Kraft gekostet, um jetzt noch ein Gespräch führen zu können.

Joachim Loew, Hansi Flick

Bedrückte Mienen im Mannschaftsbus: Nationaltrainer Joachim Löw (rechts) und sein Assistent Hansi Flick nach dem WM-Aus gegen Spanien.

(Foto: ap)

Kurz beschwerte er sich über den Fußball-Weltverband, der ihn als gelbgesperrten Spieler nicht in den Innenraum des Moses-Mabhida-Stadions ließ. Thomas Müller war vor dem Halbfinale von Ordnern auf die Tribüne geleitet worden, weit weg von seiner Mannschaft. Aber selbst die Ersatzbank wäre wohl nicht nahe genug gewesen, um die Niederlage gegen Spanien zu verhindern.

Die Frage, ob ein Thomas Müller auf dem Spielfeld der Partie eine andere Wendung hätte geben können, waberte durch die Katakomben in Durban. Die mit Abstand meist genannte Antwort war: ja. Auch wenn diese Antwort hin und wieder mehr als zwei Buchstaben umfasste. "Er war in den letzten Spielen unberechenbar, hat Tore erzielt", sagte dazu Joachim Löw, Müller gehe Wege in den Rücken der Abwehr, und das tue dem Gegner besonders weh. Und dann schloss der Bundestrainer mit der Feststellung: "Natürlich hätte er unserem Spiel gutgetan."

Für Joachim Löw, der nie über fehlende Spieler spricht, waren diese Worte fast ein Klagelied. Aber der nie klagende Joachim Löw konnte in seiner Eigenschaft als Trainer der deutschen Nationalmannschaft und Fußball-Chefanalyst nicht umhin, die schlichte Wahrheit zu sagen: Thomas Müller fehlte, er war in diesem Halbfinale gegen starke Spanier nicht zu ersetzen.

Dabei hätte ein Mitwirken des 20-Jährigen nicht zwangsläufig einen deutschen Erfolg nach sich gezogen. Doch der Münchner hätte in der Form der vergangenen Tage das Spiel der Deutschen wieder in die Richtung treiben können, die sie so gerne eingeschlagen hätten.

Manager Bierhoff bemängelte, die Mannschaft habe "gerade in der ersten Halbzeit Nervosität und Unsicherheit gezeigt". Thomas Müller war noch nie nervös oder unsicher. "Wir hatten nicht diese Lust und die Frische, unsere Konter zu fahren" beklagte Miroslav Klose. Niemand spielte lustvoller und frischer bei dieser WM als Thomas Müller. Torwart Manuel Neuer kritisierte: "Das Umschalten haben wir heute nicht so gut gemacht." Thomas Müller war der schnellste Umschalter in ganz Afrika.

Vielleicht hätte aber auch Müller die Wucht des Ereignisses ergriffen, der Respekt vor dem großen Gegner. Die elf DFB-Spieler auf dem Platz in Durban erinnerten jedenfalls kaum an die breitbrüstigen Energiefußballer aus den erhebenden Siegen gegen England und Argentinien. Die Spanier, die mit sechs Akteuren vom FC Barcelona begannen, zogen ihr dominantes Passspiel auf, sie attackierten die Deutschen im Aufbauspiel und erreichten damit fast während der gesamten 90 Minuten ein Übergewicht.

Bundestrainer Löw kam nicht umhin, nach dem Klagelied über Müllers Fehlen ein Loblied auf den Gegner anzustimmen: "Die Spanier sind sehr eingespielt, da laufen unglaubliche Automatismen ab." Da wusste er noch nicht, dass auch das einzige Tor des Abends einem Automatismus geschuldet war. Die Ecke nach 73 Minuten von Xavi flog nicht zufällig auf den Kopf seines langjährigen Mitspielers Carles Puyol. "Wir haben bei der Ecke von einer Aktion profitiert, die sie auch in Barcelona machen", sagte Trainer Vicente del Bosque später, "wir haben darüber vor dem Spiel gesprochen."

Löw und Bierhoff: Zukunft ungewiss

Mit dem Tor verdeutlichten die Spanier, dass sie das ganze Repertoire des Fußballs beherrschen. Vorher hatten sie einige Möglichkeiten gehabt, über ihr Kombinationsspiel zum Erfolg zu kommen, doch entweder brachte die sehr gute deutsche Abwehr noch einen Fuß dazwischen, oder spanische Schussversuche verfehlten ihr Ziel. Aber wenn das nicht klappt, dann hilft eben eine Standardsituation. "Ein Standardtor ist immer ein Fehler", bemängelte Löw, dennoch sah er mildernde Umstände, weil Puyol mit "unglaublicher Wucht und Entschlossenheit in den Ball geht".

Wieso indes seine Mannschaft kaum in die Zweikämpfe kam, viele Bälle im Mittelfeld verlor und so stets in der Defensive beschäftigt war, "das kann ich so jetzt auch nicht sagen", wehrte Löw ab. Vielleicht lag es daran, dass die DFB-Trainer seit Tagen das Vorbild Spanien in den Himmel hoben und so ihre eigenen Spieler einschüchterten. Vielleicht ließen sich die Deutschen zu sehr auf das körperlose spanische Passspiel ein, hätten mit mehr Grimm und Härte dagegenhalten müssen, wie Paraguay im Viertelfinale.

Es gab in der gesamten Partie keine gelbe Karte, vermutlich musste noch nie ein Schiedsrichter in einem WM-Halbfinale so selten in seine Pfeife pusten wie Viktor Kassai aus Ungarn. Möglicherweise hatten die Deutschen aber einfach nur Pech, weil die Spanier in Durban "unglücklicherweise ihr bestes Spiel im Turnier" gemacht haben, wie Miroslav Klose meinte.

Jedenfalls kam so ein recht einseitiges Spiel zustande, das in Teilen an das aussichtslose Unterfangen im EM-Endspiel 2008 in Wien erinnerte. Immerhin hielten es sich die Deutschen diesmal zugute, wenigstens einige Torchancen gehabt zu haben. Das Eingreifen von Sergio Ramos kurz vor der Pause gegen Mesut Özil hätte durchaus einen Elfmeterpfiff nach sich ziehen können, die größte Chance vergab Toni Kroos in der zweiten Halbzeit. Die Spanier allerdings hätten bei einer Niederlage noch viel mehr Chancen nachtrauern müssen. Und so lag Bierhoff völlig richtig mit der Einschätzung: "Spanien hat verdient gewonnen, es war die bessere Mannschaft."

Während die Spieler allesamt wortkarg und mitunter mit glasigen Augen zum Bus gingen, hatte Löw seine feste Stimme behalten. "Das zehrt jetzt ein bisschen an der Moral, aber wir sind nicht demoralisiert. Die Mannschaft wird besser werden." Ob er als Trainer sie weiterhin verbessern wird, ließ er offen.

Auch Bierhoff wollte sich nicht festlegen, ob er sein Engagement beim DFB fortsetzen wird. "Mir ist wichtig, mit meiner Frau zu reden, auch mit Jogi (Löw) und Hansi (Flick) und Andi (Köpke), und dann schauen wir mal." Auch am Sonntag nach dem Spiel um Platz drei in Port Eizabeth gegen Uruguay (Samstag, 20:30 Uhr) werde es noch keine Entscheidungen geben.

Bis dahin könnte Thomas Müller seinen Preis als bester Nachwuchsspieler des Turniers gewonnen haben. Er gilt mit Mesut Özil als Favorit auf den Titel. Eine solche Auszeichnung sei doch durchaus eine Ehre und ein persönlicher Erfolg, bekam Müller auf dem Weg aus dem Stadion zu hören. Thomas Müller drehte sich zur Seite, presste die Lippen aufeinander und sagte im Weggehen: "Also heute fühle ich mich nicht als Gewinner." Dann verschwand er im Bus.

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