WM-Qualifikation:"Schon ein paar Nachlässigkeiten"

Thomas Muller

Es müllert in Aserbaidschan: Thomas Müller (weißes Trikot) bringt Deutschland mit dem Tor zum 2:1 auf Siegkurs.

(Foto: Aziz Karimov/AP)
  • Die deutsche Nationalmannschaft gewinnt souverän mit 4:1 gegen Aserbaidschan. André Schürrle erzielt zwei Tore.
  • Trotzdem ist Bundestrainer Joachim Löw nicht ganz zufrieden.
  • Er ärgert sich über Nachlässigkeiten - vor allem in der ersten Halbzeit.

Schon nach zwölf Minuten gab es eine jener Szenen zu sehen, die man bei solchen Spielen insgeheim erwartet: Sami Khedira schaute schuldbewusst drein, als der Schiedsrichter auf ihn zumarschierte, und er protestierte nicht, als er die gelbe Karte empfing. Die mitgelieferte Statistik erklärte wohl, warum Khedira sich eher diskret ärgerte: Weil diese Karte es ihm ermöglichen könnte, früher seinen Jahresurlaub anzutreten. Khedira ist nun gesperrt, wenn es am 10. Juni gegen San Marino geht - und weil Joachim Löw ein paar hoch belastete Führungsspieler vom anschließenden Confederation Cup befreien möchte, dürfte Khedira das Aus gegen San Marino keine gröberen Albträume bereiten.

Ja, so ticken Profis normalerweise, aber wer Khediras Foul später noch mal analysierte, stellte fest: Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit gar kein Urlaubsfoul. Es war ernst gemeint, Khedira musste in höchster Not einen eigenen Fehler ausbügeln.

Beim WM-Qualifikationsspiel in Baku landete die DFB-Elf am Ende einen sicher herausgespielten 4:1-Sieg, mit dem sie ihre makellose Führung in der Gruppe ausbaute. Aber es war zumindest anfangs kein Spiel, in dem man Urlaub buchen konnte, was Joachim Löw anschließend auch bemängelte: "Pflicht erfüllt", sagte der Bundestrainer, "aber es gab schon ein paar Nachlässigkeiten, die normalerweise nicht unserem Anspruch entsprechen." Das Team aus Aserbaidschan hat den San-Marino-Status ja längst hinter sich, die Elf von Trainer Robert Prosinecki wurde dem Favoriten Deutschland mit körperbetontem Spiel durchaus lästig. Die Gastgeber wussten: Wenn die Deutschen Raum haben und Tempo aufnehmen können, sind sie hoch überlegen - also taten die Aserbaidschaner alles, um dem Weltmeister Raum und Zeit vorzuenthalten. Eine Weile klappte das ganz gut, aber mitunter reicht ja ein einziger Moment, in dem der Plan nicht klappt, um sich aus der Partie zu verabschieden - wie in der 19. Minute, als die Deutschen von beidem zu viel bekamen: Sie hatten Raum und Zeit, um aus der eigenen Hälfte herauszukombinieren, über Julian Draxler landete der Ball schließlich auf dem linken Flügel bei Jonas Hector, dessen Hereingabe Andre Schürrle zum 1:0 ins Netz drückte.

Löw durfte sich also gleich mal bestätigt fühlen in seiner rührenden Treue zu Schürrle, den er für den angeschlagenen Mesut Özil in die Startelf berufen hatte. Schürrle war eine von zwei Überraschungen in Löws Formation: Auch mit dem Einsatz des Leverkusen-Torwarts Bernd Leno hatten die Experten eher nicht gerechnet, aber Torwarttrainer Andreas Köpke wollte die Spiele gegen England und Aserbaidschan gerecht unter den Rivalen Leno und Marc-Andre ter Stegen aufteilen - auch, um zu demonstrieren, dass es hinter dem (diesmal angeschlagenen) Manuel Neuer keine klare Nummer zwei gibt.

Nach Schürrles 1:0 sah es nun doch so aus, als könnten die deutschen Spieler nebenher noch durch ein paar Urlaubsportale scrollen. Die Gastgeber wirkten nun etwas gebrochen, ihr Spiel war plötzlich viel weniger körperlich, aber vielleicht waren die Deutschen unbewusst doch schon zu sehr mit der einen oder anderen Buchungsbestätigung beschäftigt. Jedenfalls gaben sie den Gastgebern nun mal kurz Zeit und Raum, und den dazugehörigen Ball lieferte ihnen Thomas Müller. Nach einem Ballverlust des Bayern-Profis rollte der Gegenangriff, Toni Kroos und Jonas Hector joggten im Urlaubsmodus nebenher, was Dimitri Nazarov, im Klub-Alltag Linksaußen beim deutschen Zweitligisten Erzgebirge Aue, das überraschende 1:1 ermöglichte (31.).

Es war ein historisches Gegentor, weil es die längste gegentorfreie Phase der 109-jährigen DFB-Länderspielgeschichte beendete: Seit 678 Minuten hatte die Elf keinen Treffer mehr kassiert, der bis dahin letzte Torschütze gegen die DFB-Elf war Antoine Griezmann im EM-Halbfinale.

Man wolle die Qualifikation "gnadenlos durchziehen", hatte Löw vor der Partie gesagt, es ist inzwischen seine Lieblingsformulierung. Vor der vergangenen EM in Frankreich hatte die Elf die Qualifikation ja etwas verwackelt, was Löw diesmal unbedingt vermeiden will - er will in Russland dringend den WM-Titel verteidigen, und eine professionelle Qualifikations-Kampagne ist für ihn eine Art Einstimmung.

Im Moment kann Löw sich da auf seine Elf verlassen: Nur fünf Minuten Hoffnung gönnten seine Spieler dem Gegner, dann beschloss Müller, dass zu einer gnadenlosen Qualifikation auch gehört, eigene Fehler wieder gutzumachen. Vor dem 1:1 hatte er den Ball eingebüßt, nun profitierte er von einem ähnlichen Missgeschick des Gegners. Nun waren es die Deutschen, die einen blitzgeschwinden Gegenangriff inszenierten und über Schürrle und Müller wieder zur Führung kamen (36.). Und als Mario Gomez vor der Pause nach einer Flanke von Joshua Kimmich einen Kopfball sehr humorlos ins Tor drückte, war das Spiel endgültig entschieden.

In der zweiten Hälfte mussten die Deutschen dann nicht mehr gnadenlos sein, sie schonten nun sich und ein wenig auch die Gastgeber, die nun minütlich müder wurden. Schürrle durfte noch das 4:1 anfügen (80.), und den Rest spielten die Deutschen dann so professionell über die Bühne, dass sie nicht mal mehr auf die Idee kamen, sich gelbe Karten zu organisieren.

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