WM-Qualifikation:Angst um die Frisur

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Weil der gereizt wirkende Ausnahmefußballer Cristiano Ronaldo in der Nationalmannschaft blass bleibt und Stürmer fehlen, hat Portugal die WM 2010 fast schon verpasst.

Javier Cáceres

Auch in Spaniens Hauptstadt schrillen die Alarmglocken ob des portugiesischen Dramas in der Qualifikation zur WM 2010. In den Amtsstuben von Real Madrid, um genau zu sein. Denn: Was tun, wenn Reals neues Kronjuwel Cristiano Ronaldo die Depression ereilen sollte? Wer soll ihn trösten? Und wie?

Seit Samstag steht fest, dass bloß noch ein kleines Wunder Portugal zum WM-Ticket verhelfen kann, und wer das ausufernde Ego und den maßlosen Ehrgeiz des Cristiano Ronaldo auch nur annähernd kennt, der darf um dessen Seelenheil besorgt sein. Denn man kann sich ausmalen, wie sehr der seit seinem 94-Millionen-Euro-Wechsel von Manchester United zu Real teuerste Spieler der Welt leiden würde, wenn er beim wichtigsten Turnier des Planeten tatsächlich nicht dabei sein dürfte.

Schon jetzt wirkt Ronaldo gereizt. Das Land liegt ihm nicht mehr ganz so bedingungslos zu Füßen wie noch vor ein paar Monaten, zuletzt haben sich die atmosphärischen Störungen gehäuft. Als er Ende August ein Vorbereitungsspiel der portugiesischen Nationalelf gegen Liechtenstein versäumte, um in Madrid eine Grippe auszukurieren, unterstellten ihm Verbandspräsident und Medien mangelnde patriotische Pflichtbereitschaft. Ronaldo ätzte zurück: Ob sie vergessen hätten, dass er einst sogar am Tag nach dem Tod seines Vaters bei einem Fußballspiel Dienst am Vaterland geleistet habe? Vor dem Spiel in Dänemark, bei dem Portugal am Samstag erst in letzter Minute zu einem 1:1 kam, wagte eine Zeitung gar zu fragen, ob wohl Ronaldos Gelfrisur dem Regen in Kopenhagen stand halten würde - für portugiesische Verhältnisse ein Akt der Blasphemie, der sich nur aus einer tiefen Enttäuschung erklärt.

Genau genommen darbt Portugals Elf seit jenem Tag, an dem Luiz Felipe Scolari bei der EM 2008 seinen Abschied als Nationaltrainer bekannt gab. Der Brasilianer hatte die Portugiesen in ein EM-Finale (2004) und ein WM-Halbfinale (2006) geführt, nun steht sein Nachfolger Carlos Queiroz vor einem monumentalen Scherbenhaufen, der Erinnerungen an das Jahr 2003 wach werden lässt. Damals fuhr Queiroz mit Real Madrids Galácticos in zehn Monaten schönspielend an die Wand.

"Der Traum ist tot"

In der aktuellen WM-Qualifikation hat Portugal auch stets die Gegner dominiert, doch auf derart sterile Weise, dass bislang bloß zwei Siege und aktuell Tabellenplatz Nummer vier zu Buche stehen. Der erste Platz ist rechnerisch so gut wie unerreichbar, und selbst die Hoffnung auf Platz zwei (und damit auf die Entscheidungsspiele der Gruppenzweiten) ist bloß noch äußerst vage. Aus der Kabine dringen Durchhalteparolen, doch in der Heimat kommen sie kaum noch an. "Der Traum ist tot", schrieb die Zeitung Record schon vor dem Spiel am Mittwoch beim Tabellendritten Ungarn.

An Ronaldo wird die Kritik daran festgemacht, dass er im Nationaldress bei weitem nicht so brilliert wie in der Vorsaison noch im Trikot von Manchester United. Seine Torausbeute war minimal: ein Treffer. "Der Beste der Welt hat erneut nicht überzeugt, dabei hatte ihn Portugal so bitter nötig", jammerte das Sportblatt O Jogo nach dem Remis von Kopenhagen. Einem weiteren Helden, der um die WM-Teilnahme zittern muss, geht es ähnlich: Lionel Messis herausragenden Auftritte beim FC Barcelona haben in der argentinischen Heimat Erwartungen geweckt, die er bislang nicht erfüllen konnte. "Ein Crack bedarf eines Stils und einer Mannschaft, um maximal zu glänzen", hat die niederländische Fußball-Ikone Johan Cruyff neulich erklärt.

Dass Messi ein solches Umfeld in der von seinem Trainer Diego Maradona an den Rand des Ruins geführten argentinischen Chaos-Truppe nicht vorfindet, ist Fakt. Und ob Ronaldos Qualitäten in Portugals Mannschaft zum Tragen kommen, wirkt zunehmend fraglich. Doch dies ist eine Diskussion, die nur leise geführt wird, weil sie bislang vom Offensichtlichen überlagert wurde: der eklatanten Sturmschwäche der Portugiesen. Vergangene Woche wurde nach ermüdenden Debatten der treffsicherste Stürmer der portugiesischen Liga, der Brasilianer Liedson von Sporting Lissabon, eingebürgert. Vermutlich zu spät.

Grundsätzliche Probleme aber will Queiroz nicht eingestehen. Seiner Rechnung zufolge sind die Portugiesen verpfiffen worden. "In sieben Spielen hat man uns fünf Elfmeter versagt" - den fünften beim Remis von Kopenhagen. Er glaube zwar nicht an Hexen oder dunkle Mächte, die an Elfmeterentscheidungen drehen: "Aber geben, gibt es sie", strapazierte Queiroz ein heimisches Sprichwort. Es war nicht die einzige Flucht ins Mystische: Ein portugiesischer Spieler, dessen Namen die spanische Zeitung El País für sich behielt, behauptete allen Ernstes, es liege alles bloß an der Abwesenheit eines Reliefs der Jungfrau von Caravaggio. Scolari, ein gebürtiger Brasilianer, hatte es einst mitgebracht, die Heilige soll ihm beim WM-Titelgewinn 2002 mit Brasilien geholfen haben - er nahm sie zum Abschied wieder mit.

© SZ vom 08.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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