WM 2010: Presseschau:Vom Schlumpf zum Glückspilz

Heute befasst sich die Presseschau "indirekter freistoss" mit Deutschlands Sieg gegen Uruguay, Wesley Sneijders Wandel und der dunklen Geschichte der Fifa im Umgang mit der Apartheid.

Indirekter Freistoss ist die Presseschau für den kritischen Fußballfreund. Fast täglich sammelt, zitiert und kommentiert der Indirekte Freistoss die schönsten und wichtigsten Textausschnitte und Meinungen aus der deutschen, während der WM auch aus der internationalen Presse. Täglich auf sueddeutsche.de und www.indirekter-freistoss.de. Heute befasst sich die Presseschau mit Deutschlands Sieg gegen Uruguay, Wesley Sneijders Wandel vom Miesepeter zum Glückspilz und der dunklen Geschichte der Fifa im Umgang mit der Apartheid.

"Das Spiel um den dritten Platz ist oftmals eine Partie, die kein Team gerne spielt - Deutschland und Uruguay widerlegten diese Theorie gestern Abend", schreibt David Ornstein für die BBC. Von Beginn an sei klar gewesen, dass dies kein Freundschaftsspiel werden sollte. Nachdem Calvani die deutsche Führung durch Thomas Müller egalisiert hatte, hatte das Team um Diego Forlan das Spiel in der Hand: "Uruguays Fußball war schön anzusehen und sie hätten vor der Pause schon durch Suarez in Führung gehen können." Dies geschah dann kurz nach dem Seitenwechsel: "Forlan, Suarez und Cavani bereiteten ihren Gegenspielern so manche Probleme. Nachdem Butt noch gegen Cavani und Suarez klären konnte, verwandelte Forlan anschließend eine Flanke von Egidio Arevalo per Volleyschuss zu seinem fünften Turniertreffer." Nachdem Marcell Jansen eine Boateng-Hereingabe per Kopf zum Ausgleich verwandelte, begann Uruguay, "das seit 1970 kein europäisches Team bei einer Weltmeisterschaft schlagen konnte", zu schwächeln. Khediras Kopfballtreffer zum 3:2-Endstand veranlasste die deutschen Spieler nach Abpfiff zu einem Freudenfest, "das exakt widerspiegelte, was ihnen dieses Ergebnis bedeutet".

Auch Birger Hamann (Spiegel Online) hat zwei Teams gesehen, die sich nicht mit dem vierten Platz zufrieden geben wollten: "Von enttäuschten Halbfinalverlierern war von Anfang an nichts zu sehen. Stattdessen standen sich zwei Mannschaften gegenüber, die unbedingt das 'kleine Endspiel' gewinnen und sich mit einem Sieg aus Südafrika verabschieden wollten. Entsprechend begannen sie auch. Kein Abtasten, kein Taktieren, Deutschland und Uruguay setzten voll auf Offensive." Am Ende wäre der knappe Vorsprung fast noch einmal ins Wanken geraten: "Anschließend versuchten die Deutschen ihre Führung über die Zeit zu retten - und hätten fast noch den Ausgleich kassiert. In der zweiten Minute der Nachspielzeit foulte Friedrich Suarez, ein Freistoß aus rund 18 Metern und zentraler Position war die Folge. Den knallte Forlán an die Latte. Glück für Deutschland, Pech für Uruguay, Abpfiff in Südafrika."

Steffen Dobbert (Zeit Online) hat bei der gestrigen Partie kein Kriterium für ein aufregendes Fußballspiel vermisst: "Lattenschüsse, Ballkombinationen, Freistoßzauberer, Grätschen durch den Regen, ein Abseits- und fünf gezählte Tore. Der 3:2-Erfolg der Deutschen war ein Fußballfest ohne taktische Zwänge. Auch wenn es nur um den dritten Platz ging, die Nationalspieler kämpften, als ginge es um nichts Geringeres als das Erbe Franz Beckenbauers." Bei der anschließenden Siegerehrung erlebte der Autor eine bedeutungsschwangere Geste des DFB-Präsidenten: "Zum Willen der Fifa gehört es, dass selbst alle Drittplatzierten in einer kurzen Zeremonie eine Bronzemedaille überreicht bekommen. Diese Mini-Siegerehrung nach dem Spiel führte zu dem Moment, als Theo Zwanziger, Verhandlungspartner, wenn es um die Verlängerung des Arbeitsvertrages Löws geht, dem Bundestrainer die Medaille umhängte. Joachim Löw wollte sich danach mit einem Händedruck bedanken, doch nach einem Augenblick des Zögerns schnappte sich Zwanziger den Trainer, umarmte ihn und drückte ihn fest an sich. Es sah so aus, als sei Zwanziger viel daran gelegen, dass beide zusammenkommen."

Auch der Daily Telegraph freute sich über ein ansehnliches Spiel: "Beide Mannschaften ehrt es, dass sie solch ein schönes Spektakel gezeigt haben, und das, obwohl es eine unbedeutende Partie war." Dass Dennis Aogo nach zwei Minuten schon die Sense auspackte, passte daher auch so gar nicht ins Bild, zumal "dem jungen deutschen Team solche grobschlächtigen Aktionen mittlerweile ein Dorn im Auge sind". Dennoch habe das Team schnell wieder in die Spur zurückgefunden: "Trotz der schlechten Bedingungen waren die Deutschen danach schnell wieder in ihrem Rhythmus. Schweinsteiger, Müller und Özil zogen wieder ihr gewohntes Kurzpassspiel auf, für das Spanien heute Abend dankbar wäre." Der Autor sieht daher positiv in die Zukunft: "Der dritte Platz war das Mindeste, was die deutsche Elf verdient hat. In vier Jahren könnte in Brasilien der Titel auf sie warten."

Eindeutig verteilte Sympathie

Eindeutig verteilte Sympathie

Das Endspiel zwischen Holland und Spanien könnte eine knappe Sache werden. Eindeutig verteilt wird hingegen die Sympathie der Zuschauer sein, wie Mia Sanyman von der US-amerikanischen Connecticut Post weiß: "Wenn Holland am Sonntag Abend auf Spanien trifft, wird ein Großteil der südafrikanischen Bevölkerung genauer hingucken, besonders weil viele von ihnen holländische Wurzeln haben." Bereits 1625 habe die Dutch East India Company eine Kolonie in Kapstadt errichtet und den Grundstein für die spätere Kultur der Afrikaans gesetzt. Heute sei Afrikaans eine der Amtssprachen in Südafrika. Dennoch: "Viele Afrikaaner lernen heute Englisch anstatt ihre Muttersprache. Das könnte einer der Gründe sein, weshalb sich manche der jüngeren Generation nicht mehr mit ihren Wurzeln identifizieren können."

Christian Eichler befasst sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Wesley Sneijder - dem Mann, der für die Holländer im Finale gegen Spanien den Unterschied ausmachen könnte: "Bei den Kollegen war der kleine Spielmacher wegen seiner Starallüren und seiner Art, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, eigentlich eher unbeliebt. Intern nannte man ihn den 'Schlumpf'. Doch bei der WM hat er die Rolle einer anderen Comicfigur übernommen, die von Gustav Gans. Und so ist er plötzlich beliebt. Denn im Fußball ist der Dusel eines Einzelnen ja auch immer der von zehn anderen." Gemeint ist die Vielzahl an Toren, die der Champions-League-Sieger von Inter Mailand nur mit vermeintlichem Glück erzielt hat: "Sneijders 1:0 gegen Japan wurde von einem Torwart mit falschen Flugkoordinaten begünstigt. Sein Ausgleich gegen Brasilien war eigentlich ein Eigentor von Felipe Melo. Sein 2:1 gegen Uruguay wurde von einem Abwehrbein günstig abgefälscht." Der 26-Jährige sieht das anders: Dieses Glück müsse man suchen, muss man erzwingen. Man müsse die Geilheit haben, das Tor zu machen, wird er von Eichler zitiert. "Dabei hilft auch seine Lebensgefährtin Yolanthe Cabau van Kasbergen, die er am Samstag in Italien heiraten wird. Wegen ihr hat er die Ehefrau und den dreijährigen Sohn verlassen. Die Affäre mit der TV-Moderatorin, die durch eine Überwachungskamera in Amsterdam publik wurde, kostete ihn in Holland viele Sympathien. Nun aber gilt das neue Glück des Spielmachers auch als Glück der Nation."

Christian Ramming (NZZ) geht der Frage auf die Spur, ob die beiden Finalteilnehmer zu Recht im Finale stehen und kommt zu einem eher ernüchternden Fazit: "Ein Team ohne herausragende Qualität oder nur mit Wettkampfglück wird niemals dein WM-Finale erreichen. Das gilt für Spanien wie für Holland. Doch nimmt man die Vorstellungen der beiden an diesem Turnier zum Maßstab, haben beide Titelaspiranten nie während eines ganzen Spiels restlos überzeugt oder gar begeistert." So habe den Oranjes bis auf eine Ausnahme immer nur der minimale Abstand von einem Treffer genügt, die Spanier seien zudem auf lediglich sieben erzielte Treffer gekommen. "Resultate sind keine Wahrheiten. Aber sie sind ein Indiz dafür, dass keiner der beiden Finalteilnehmer seine Gegner nach allen Regeln der Kunst dominierte oder ein Spiel zeigte, das in die WM-Geschichte eingehen wird. Fußball lebt auch davon, dass das Publikum unterhalten und begeistert wird." Dafür seien jedoch andere Teams verantwortlich gewesen, allen voran Deutschland gegen Australien, England und Argentinien. Die vielen knappen Siege der Spitzenteams zeigen nach Ansicht von Ramming, dass "die Unterschiede im Spitzenfußball immer kleiner werden und die Welt somit ein wenig näher zusammenrückt. Das mag auf Kosten des Spektakels und der Unterhaltung gehen, zeigt aber auch, dass der Fußball etwa in Uruguay oder Südkorea um den Fußball in Ghana oder Neuseeland weiß."

Die Fifa und die Apartheid - ein unrühmliches Kapitel

Die Rolle der Fifa während der Apartheid ist ein dunkles Kapitel der Sportgeschichte. Bartholomäus Grill (Zeit Online) verweist auf Spitzenfunktionäre des Weltverbands, die sich während der WM 2010 als "großherzige Gönner" feiern lassen und somit vergessen machen wollen, dass man die südafrikanische Rassenpolitik lange Zeit gedeckt hat. "In Wahrheit hat die Fifa lange Zeit ihre schützenden Hände über den weißen südafrikanischen Fußballverband gehalten, der schwarze, farbige und indischstämmige Spieler ausschloss und zu Menschen zweiter Klasse degradierte. Die WM hätte dem Verband eine ideale Gelegenheit geboten, um sich endlich dafür zu entschuldigen." Daraus wurde jedoch nichts, stattdessen sonnen sich die Verbandsoberen im Sonnenlicht des vermeintlichen Erfolgs: "Sie lassen sich in Südafrika hofieren, und Sepp Blatter, das ist kein Witz, wird sogar als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt. Wofür nur?" Grill greift ein Ereignis hervor, das die Ignoranz der Fifa in besonderem Maße unterstreicht: "Was im Januar 1963 am Kap geschah, gehört zu den unauslöschlichen Schandflecken in den Annalen der Fifa. Der Weltverband entsandte eine Kommission unter der Leitung von Stanley Rous in den Apartheidstaat. Die Herren Funktionäre befanden, dass es 'keine vorsätzliche Diskriminierung' vonseiten des weißen Fußballverbandes gebe. So schlecht ginge es den 'Eingeborenen' nicht, sie hätten schließlich ihre eigenen Organisationen."

Esther Kogelboom (Tagesspiegel) hat sich ins Rotlichtviertel von Johannesburg begeben und beschreibt, wie die vielen WM-Touristen die Prostitution in Südafrika verändert haben. "Wie viele von den 450.000 WM-Touristen männlich sind, weiß niemand. Fest steht aber: Die Fußball-Weltmeisterschaft ist in Südafrika eine Kumpelveranstaltung, für viele Fans ein nostalgischer Abstecher ins Junggesellendasein. Die Ehefrauen und Familien sind weit weg, die Preise niedrig. Die südafrikanischen Sexarbeiterinnen glaubten fest an goldene Zeiten." Prostitution sei in Südafrika immer noch illegal, es sei allerdings über eine Freigabe für die WM diskutiert worden - "mit dem Ergebnis, dass die Polizei jetzt nicht mehr nur den Prostituierten nachstellt, sondern auch den Freiern. Ein großer Misserfolg für die südafrikanische Organisation 'Sweat', die für die Legalisierung des Gewerbes und damit auch für die Rechte der Frauen kämpft."

Presseschau zusammengestellt von Christoph Asche.

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