WM 2006:Niersbach droht der Verlust seiner Ämter

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Nach eingehender Begutachtung des Freshfields-Reports ermittelt die Fifa gegen Franz Beckenbauer (r.) und Wolfgang Niersbach. (Foto: dpa)
  • Die Fifa-Ethikkomission eröffnet ein Verfahren gegen die Macher der WM 2006.
  • Unter anderem wird gegen Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach und Theo Zwanziger ermittelt. Den Funktionären droht eine lebenslange Sperre.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Zürich/München

Wolfgang Niersbachs jüngster Trip zu den Mächtigen im Weltfußball verlief weniger komfortabel als üblich. Am Donnerstag und Freitag vergangener Woche nahm er in Zürich am Vorstandstreffen der Fifa teil, doch zum Plausch mit den Exekutiv-Kollegen gesellte sich ein heikler Termin: Die Ermittler der Fifa-Ethikkommission baten den früheren Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zur Einvernahme. Der Anlass: Niersbachs Verhalten in der "Sommermärchen-Affäre". Spätestens da dürfte Niersbach klar geworden sein, dass ihm die nächste große Unannehmlichkeit droht. Er muss damit rechnen, bald auch seine Vorstandsämter im Weltverband sowie im Europaverband Uefa zu verlieren.

Die Ethikkommission hält sich zu all dem bedeckt, am Dienstag teilte sie allerdings mit, dass sie im Zuge des deutschen WM-2006-Skandals ein umfangreiches Ermittlungsverfahren eröffnet hat: gegen Niersbach, Franz Beckenbauer und vier weitere deutsche Funktionäre. Es geht in erster Linie um Korruptionsverdacht, im Fokus stehen merkwürdige Geldflüsse im Kontext der WM-Vergabe.

Im Sommer 2002 landeten zehn Millionen Franken auf einem Konto im Einflussbereich des Fifa-Funktionärs Mohammed bin Hammam in Katar. Der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus borgte dem deutschen WM-Organisationskomitee das Geld. Drei Jahre später verlangte er die Summe plus Zinsen zurück, die Deutschen überwiesen via Fifa 6,7 Millionen Euro an Dreyfus - bewusst falsch deklariert als Beitrag zur WM-Gala.

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Von Beckenbauer in die Schweiz, von dort nach Katar. Und schließlich auf das Konto von Robert Louis-Dreyfus.

Im Falle von Korruption droht eine lange Sperre

Neben diesen Geldflüssen dürfte die Ethiker unter dem Schweizer Chefermittler Cornel Borbely auch der Umgang mit dem Fifa-Wahlmann Jack Warner (Trinidad & Tobago) interessieren, den die Deutschen so fürsorglich umgarnt hatten. Vielleicht etwas zu fürsorglich: Sie spendierten ihm einen Luxustrip, der fast 50 000 Mark kostete. Spannender noch ist ein Vertrag, den sie nur vier Tage vor der WM-Vergabe im Juli 2000 mit Warner besiegelten - und der dem Skandalfunktionär unter anderem ein lukratives WM-Ticketpaket zusicherte. Unklar ist, ob und in welcher Form dieses Versprechen umgesetzt wurde.

Die Fifa-Ethiker verfolgen nun zwei Verfahrensstränge. Gegen den damaligen Bewerbungs- und Organisationschef Beckenbauer, die früheren OK-Vizepräsidenten Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt sowie Stefan Hans (im OK zuständig im Bereich Finanzen, kürzlich als stellvertretender DFB-Generalsekretär gefeuert) ermitteln sie wegen möglicher Verstöße gegen insgesamt sechs Paragrafen des Reglements, brisant sind vor allem die Artikel 20 und 21: Hier geht es um Korruption, darauf steht lebenslange Sperre. Von einem Konto in Beckenbauers Zugriffsbereich starteten damals, im Mai 2002, ja die Millionen-Transaktionen in die Wüste Katars. Die anderen drei waren später mehr oder weniger stark in die Rückzahlung involviert.

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Zehn Millionen Franken wanderten nach Katar - die entscheidende Frage ist nun: Warum, und was passierte dort damit?

Ex-DFB-Chef Zwanziger gab sich empört über das Verfahren und erklärte, Chefermittler Borbely "wegen des Verdachts der Befangenheit" ablehnen zu wollen.

Niersbach, der am Dienstag bereits seine Kooperationsbereitschaft zusicherte, und den kürzlich als DFB- General zurückgetretenen Helmut Sandrock haben die Ethiker im Visier, weil diese schon im Frühsommer 2015 Kenntnis von unlauteren Machenschaften hatten - sie aber für sich behielten. Dabei müssen Funktionäre solche Informationen gemäß Paragraf 18 des Ethik-Codes weitergeben. Bei Niersbach könnten sich die Ermittlungen auch noch ausdehnen; er saß immerhin auch im fraglichen Zeitraum 2002 bis 2005 im WM- Organisationskomitee.

Das Fifa-Ethikkomitee ist in zwei Kammern aufgeteilt: Unter Borbelys Führung ermittelt der Untersuchungsstab. Käme es zur Anklage, muss die Spruchkammer über das Strafmaß befinden. Diese leitet der Münchner Ex-Richter Hans-Joachim Eckert, der aber als Deutscher in der WM-Affäre wegen Befangenheit ausscheidet. Die Ethikermittlungen werden den Funktionären von damals heftiger zu schaffen machen als jüngst die interne DFB-Aufarbeitung durch die Kanzlei Freshfields. Sie sind zur Kooperation und einer - glaubhaften - Aussage gezwungen, andernfalls kann sich das auf das Strafmaß auswirken.

In jedem Fall drohen mehrjährige Sperren - zumal die Ethikkommission neuerdings ziemlich geradlinig vorgeht. Die Zehn-Millionen-Zahlung nach Katar erinnert durchaus an jene merkwürdige Transaktion aus dem Jahr 2011, als Uefa-Chef Michel Platini auf Veranlassung von Fifa-Präsident Sepp Blatter zwei Millionen Franken erhielt. Das Duo konnte keine glaubhafte Erklärung präsentieren, warum das Geld zu dem Zeitpunkt floss; es gab auch keinen Vertrag dazu. Die Ethiker vermuteten einen Zusammenhang der Zahlung mit der Präsidentenwahl 2011, als Blatter auf Platinis Europa-Fraktion angewiesen war. Sie sperrten beide für acht Jahre (inzwischen durch die Berufungskommission auf sechs Jahre korrigiert).

Zum Zeitpunkt der Katar-Zahlung gab es noch keinen Ethikcode

Der deutsche Fall liegt ähnlich. Die Protagonisten präsentieren keine plausible Darstellung, warum das Geld an Bin Hammams katarische Firma Kemco floss. Bisher lautet die Erklärung von Beckenbauer und seinen Mitstreitern, die zehn Millionen Franken sollten ein Vorschuss auf einen 100-Millionen-Zuschuss der Fifa für die Organisationskosten der WM sein. Das klingt abstrus, wird von der Fifa und Blatter zurückgewiesen - und lässt sich auch nicht durch ein Dokument belegen.

Nach Lage der Dinge sind zwei Varianten wahrscheinlicher. Das Geld war ein nachträgliches Dankeschön für Stimmen bei der Vergabe der WM - oder es stand im Kontext der Wiederwahl Blatters 2002. Die Aufarbeitung indes könnte knifflig werden: Zum Zeitpunkt der Katar-Zahlung gab es noch keinen Ethik-Code - drei Jahre später, bei der Rückzahlung des Geldes an Dreyfus, hingegen schon.

Im Falle einer Sperre müsste Beckenbauer sein Amt als Ehrenpräsident beim FC Bayern niederlegen

Auch fürs Verfahren gegen Niersbach/Sandrock wegen Missachtung der Meldepflicht gibt es einen Präzedenzfall. Vor einer Woche schloss die Ethikkommission ein Verfahren ab, das sich um eine mutmaßliche Manipulation von Freundschaftsspielen Südafrikas vor der WM 2010 drehte. Die Schiedsrichter-Offiziellen Steve Goddard und Adeel Carelse standen zwar nicht im Zentrum des Skandals, hatten aber Kenntnis davon und nichts offenbart: Beide wurden zwei Jahre gesperrt.

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Mehrjährige Sanktionen dürften vor allem zwei Personen sehr schmerzen. Niersbach hat als Einziger aus dem Sextett noch hohe, lukrative Ämter in den Vorständen von Fifa und Uefa inne. Und Beckenbauer kassierte erst kürzlich in einem anderen Ethikverfahren wegen mangelnder Kooperation bei der Aufklärung der WM-Vergaben 2018/2022 eine Geldstrafe und eine Ermahnung. Eine Sperre beträfe alle Fußballaktivitäten; auch Ämter wie die Ehrenpräsidentschaft beim FC Bayern, das jährliche Beckenbauer-Camp oder die Arbeit als Fußballexperte im TV. Seine Rolle als Fachmann beim Sender Sky gab Beckenbauer übrigens schon vergangene Woche auf. Zum Abschied gab's eine Flasche Rotwein.

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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