WM 2010: Merkel beim Viertelfinale:Stolz wie Mutti

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Rund um das WM-Viertelfinale erlebt Angela Merkel ihren besten Tag seit langem. Deutschland feiert, sie darf in die Kabine, Schweinsteiger umarmt sie. Nur beim Jubeln auf der Tribüne muss sie sich etwas einsam vorkommen.

Johannes Aumüller

Sicher, Angela Merkel hat sich mit Horst Seehofer schon oft gezofft, aber was hätte sie in diesem Moment dafür gegeben, den CSU-Chef neben sich zu haben? Oder zumindest den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, mit dem sie sich nicht minder oft gestritten hat. Wahrscheinlich wäre sogar Oskar Lafontaine in Ordnung gewesen, Hauptsache, es hätte irgendeinen gegeben, mit dem sie hätte jubeln können.

WM 2010: Stimmen zum Spiel
:"Mir ist gut ums Herz"

Angela Merkel outet sich als "ängstlicher Mensch", aber nach dem 4:0 gegen Argentinien ist auch die Kanzlerin im Freudentaumel. Torschütze Thomas Müller erwartet nach dem Einzug ins Halbfinale ein Erdbeben in Deutschland. Die Stimmen zum Spiel.

Aber so? Da saß sie - überraschenderweise in einem roten Blazer und nicht wie Joachim Löw und Hans-Dieter Flick in einem blauen Oberteil - auf der Tribüne des Kapstadt Green Point Stadion in Reihe zehn, Platz zwei, eingeklemmt zwischen vielen älteren Herren, die qua Amt entweder zu Neutralität verpflichtet waren oder sogar zum Gegner Argentinien hielten: zum Beispiel der ebenso einflussreiche wie umstrittene argentinische Fußballverbandschef Julio Grondona, der noch einflussreichere und noch umstrittenere Fifa-Boss Sepp Blatter, Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma und ein grimmig dreinschauender "unbekannter Offizieller", wie die Agenturen formulieren.

Eine Sitzordnung, die zur Folge hatte, dass sich die Bundeskanzlerin beim Jubeln etwas einsam vorkommen musste. Vom frühen 1:0 war sie ebenso überrascht wie der Rest der Zuschauer und reagierte noch so zögerlich wie nach der Bekanntgabe der Ersten-Wahlgang-Abstimmung am Mittwoch. Nach dem 2:0 sprang sie auf, klatschte und schaute fast schon verzweifelt nach links und nach rechts - doch da war niemand, der mitjubelte.

"Es war ein Traum"

Beim 3:0 vergaß sie alle Sicherheitsbedenken und marschierte ein paar Meter über die Tribüne zu den DFB-Offiziellen um Verbandsboss Theo Zwanziger, damit sie sich mal wenigstens abklatschen konnte. Auf dem Rückweg war sie froh, dass zwischen all den mürrisch blickenden Grondonas und Blatters wenigstens die deutschstämmige südafrikanische Oppositionschefin Helen Zille ein bisschen mitlächelte. Nach dem 4:0 aber brauchte Merkel keine Mitjubler und Mitabklatscher mehr. Da sprang sie nur noch auf, jubelte und schaute mit so viel Stolz aufs Spielfeld wie nur eine Mutti auf die Leistung ihrer Kinder blicken kann: Gut habt ihr das gemacht.

Angela Merkel hat wahrlich harte Wochen und Monate hinter sich. Ihre schwarz-gelbe Koalition stolperte von einem Problem zum nächsten, Steuern, Gesundheit, Familie, in keinem einzigen Politikfeld gibt es einen klaren Kurs. Zwischendurch diffamierten sich die Koalitionäre gegenseitig als "Gurkentruppe" und "Wildsäue", und bei der Bundespräsidentenwahl schrammte Merkels auserkorener Kandidat Christian Wulff nur knapp an einer Blamage vorbei. Selbst ihre Reise nach Südafrika stand in der Kritik: Die immensen Kosten seien eine grobe Verschwendung, zürnte der Bund der Steuerzahler.

Und jetzt Kapstadt, das totale Kontrastprogramm - ganz wie es sich ihre PR-Strategen gewünscht hatten. Merkel, die ausgelassen auf der Tribüne jubelt. Merkel im ebenso vertrauten wie fröhlichen Gespräch mit Michael Ballack. Merkel bei den Spielern in der Kabine, und anders als zu Zeiten von Helmut Kohl lief kein Spieler weg, sondern gab es laut Bild "Hey, hey, hey"-Rufe und eine Umarmung von Schweinsteiger, ein gemeinsames Bier und die Aufforderung, eine Rede zu halten. "Es war ein Traum", beginnt sie.

Bei Kohl gelernt

Merkel hat in vielen Dingen von ihrem Ziehvater Helmut Kohl gelernt, auch in der Frage, wie sich (erfolgreicher und schöner) Fußball für positive Berichterstattung nutzen lässt. Wahrscheinlich weiß sie auch, dass auf die deutschen Erfolge bei der WM 1954, der EM 1972 und der WM 1990 stets tolle Wahlergebnisse für den jeweiligen Regierungschef folgten. Warum soll jetzt nicht eine furios aufspielende deutsche Nationalelf für bessere Stimmung und bessere Umfragen sorgen?

Dabei darf Merkel aber nicht vergessen: In einer so desolaten Lage wie ihre Regierung waren die Regierungen von Adenauer, Brandt und Kohl nie. Und noch während sie mit den Spielern in der Kabine ein Bier trinkt, vermelden die Agenturen nacheinander kritische Bemerkungen von Finanzminister Wolfgang Schäuble, Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg und Ex-FDP-Chef Wolfgang Gerhardt. Gegen die Wirtschaftskrise, die hohe Staatsverschuldung und den ständigen Streit in der Koalition hilft eben nicht einmal eine Umarmung mit Bastian Schweinsteiger. Gott sei Dank gibt's am Mittwoch das Halbfinale gegen Spanien - und Merkel kann sich wieder in den Flieger nach Südafrika setzen.

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