WM-Kader des DFB:Messi, Ronaldo, Petersen

WM-Kader des DFB: Souveräner Auftritt: Nils Petersen bei der Pressekonferenz in Eppan.

Souveräner Auftritt: Nils Petersen bei der Pressekonferenz in Eppan.

(Foto: Miguel Medina/AFP)
  • Die Berufung von Freiburgs Stürmer Nils Petersen in den vorläufigen WM-Kader war die vielleicht größte Überraschung von Bundestrainer Joachim Löw.
  • Das Trainerteam wird aber nicht müde zu betonen, dass die Nominierung nicht nur an Petersens Charakter lag.
  • Vielmehr habe Petersen Qualitäten als Einwechselspieler - die könnten im Laufe einer WM wichtig werden.

Von Christof Kneer, Eppan

Wenn es stimmt, dass vor allem der erste Eindruck zählt, dann hat Nils Petersen nichts zu befürchten. Von rechts kam plötzlich ein Ball auf ihn zugeflogen, Petersen drehte sich kurz und hieb den Ball ohne schuldhaftes Zögern ins Netz.

Solche Bilder mögen Mittelstürmer. Am liebsten wäre ihnen, man würde nur solche Bilder zeigen, Stürmer, Ball, Drehung, Torjubel. In diesem Fall wäre es sicher auch erlaubt, die Szene weiterlaufen zu lassen, man bekäme dann den großen Miroslav Klose zu sehen, der zum Gratulieren durchs Bild läuft. Klose ist inzwischen eine Art Assistenztrainer bei der Nationalmannschaft, er soll den Stürmern geheime Laufwege und von der Menschheit bisher unentdeckte Räume zeigen, und auf Applaus von ihm darf man sich schon was einbilden. "Klose lobt Petersen": So was dürfte man als Zeile unters Bild schreiben. Nicht unters Bild schreiben sollte man drei weitere Fakten über Nils Petersens erstes Trainingstor bei der Nationalmannschaft.

Erstens: Es war ein Kick auf kleine Tore. Zweitens: Petersen stand einen Meter vom Tor entfernt. Drittens: Das Tor war leer.

Okay, wer es ganz genau nimmt, könnte vielleicht noch einen vierten Punkt anfügen: Ja, Sandro Wagner hätte dieses Tor wahrscheinlich auch gemacht.

Sandro Wagner ist nicht dabei im WM-Trainingslager in Südtirol, was vor allem bei Sandro Wagner auf Unverständnis stößt, der sich, wie er bei jeder passenden Gelegenheit sagt, für den besten deutschen Stürmer hält (passende Gelegenheiten finden sich übrigens immer). Nils Petersen würde so etwas niemals sagen. Das liegt an seinem Naturell, aber gewiss auch daran, dass er beim SC Freiburg spielt, jenem Verein, dessen köstlicher Trainer selbst dann tadellos unglücklich sein kann, wenn er eigentlich glücklich ist. Christian Streich hat sich ernsthaft gefreut, dass sein Stürmer in den vorläufigen WM-Kader berufen wurde, und er würde sich auch ernsthaft freuen, wenn sein Stürmer es ins endgültige Aufgebot schaffen würde. Aber so ein kleines bisschen bekümmert wäre Streich schon auch, weil Petersen dann beim Freiburger Trainingsauftakt fehlen würde, und weil das bestimmt mindestens den Abstieg bedeuten würde.

Tatsächlich ist Petersen das überraschendste Mitglied in Löws Reisegruppe. Er ist schon 29 Jahre alt, er hat erst null Länderspiele. Und zu Beginn der vorigen Saison war er der Ersatzmittelstürmer beim Abstiegskandidaten SC Freiburg.

Das ist die Geschichte: Joachim Löw nimmt vielleicht einen Stürmer mit zu einem Messi-Ronaldo-und-Griezmann-Turnier, der zu Beginn der vorigen Saison nicht mal an einem Stürmer namens Florian Niederlechner vorbeikam. Petersen wurde in Freiburg immer nur eingewechselt; erst als dieser Niederlechner sich schwer am Knie verletzte, wurde Petersen zum Stammstürmer beim SC Freiburg. Und schoss dann trocken 15 Saisontore - bei einer Mannschaft, die, selbstverständlich zum großen Kummer ihres Trainers, nur wenige Torchancen herausspielt.

Löw muss sein ästhetisches Spiel auch ins Ziel bringen

Joachim Löw macht sich manchmal einen Spaß daraus, die Leute zu überraschen, aber Nils Petersen ist mehr als nur ein Gag. Löw hat sehr aufrichtig etwas vor mit ihm, beziehungsweise: So ganz genau weiß er das zwar selbst noch nicht, aber er geht einfach mal davon aus. Löw betrachtet Petersen als Experiment, auf dessen Ausgang er selbst gespannt ist.

Die Trainingsqualität beim DFB sei "schon eine andere", hat Petersen am Freitag gesagt, er müsse "hier jeden Tag an die Grenze gehen". Er habe "die Hoffnung, auf diesem Niveau mitzuschwimmen", aber ob ihm das gelingt, weiß er ebenso wenig wie der zuständige Bundestrainer. Aber Löw leistet sich diese Fantasie: Er sieht etwas in Petersen, und mit der hemmungslosen Lässigkeit eines völlig autonomen Bundestrainers nimmt er sich die Freiheit, dieses Etwas einfach mal aufs Messi-Ronaldo-und-Griezmann-Turnier hochzurechnen.

Löws Bauchgefühl sagt, dass Petersen, der in der Bundesliga auf hohem Niveau seine Tore schießt, seine Tore auch auf sehr hohem Niveau schießen kann - und dieses Bauchgefühl will Löw in den Südtiroler Trainingstagen nun mit Bildern unterlegen. Im Moment könnte Löw ja beim besten Willen noch nicht sagen, ob er Petersen am Ende wirklich mit nach Russland nimmt - er wird sich Petersen einfach mal anschauen und dann entscheiden, ob er mit seiner Fantasie richtig lag.

Nils Petersen hat einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen bei seinem ersten Presseauftritt als A-Kadermitglied, er war sehr reflektiert und sogar einen bisschen lustig, und er hat erzählt, dass er erst "drei Anrufe in Abwesenheit" auf seinem Handy hatte, bevor der Bundestrainer ihn erreichte. Aber beim DFB wehren sie sich heftig gegen die Unterstellung, wonach Petersen die Nominierung vor allem seinem gewinnenden Wesen zu verdanken habe. Im Trainerstab versichern sie, Löw habe wirklich nichts gegen Sandro Wagners offensiven Charakter, aber Tore in einem WM-Viertelfinale traue er ihm eher nicht zu. Petersen halte er dagegen für den bestmöglichen Einwechselspieler, ihm traue er zu, ein Spiel mit einer einzigen Aktion zu verändern. Tatsächlich hat Petersen im Laufe seiner Ligajahre schon 20 Jokertore erzielt, "sicher hat mich auch diese Eigenschaft hierher gebracht", sagt er.

Der Strafraum könnte noch ein großes Thema werden beim anstehenden WM-Turnier, der Erfolg von Löws Weltmeistermannschaft wird am Ende davon abhängen, ob sie ihr ästhetisches Spiel auch ins Ziel bringt. Auf den ewigen Thomas Müller wollen sie sich diesmal nicht allein verlassen, zu wechselhaft spielte der Münchner in dieser Saison, und so hofft Löw nun auch auf den sündhaft schnellen Timo Werner, den rasend routinierten Mario Gomez - und vielleicht auch auf jenen Mann, der zu Saisonbeginn noch Ersatz hinter einem Stürmer namens Niederlechner war.

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