WM-Kader Brasiliens:Scolaris Zettel

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Auch er stand auf dem Zettel: Bayerns Dante (Nummer 13) darf zur WM. (Foto: Antonio Lacerda/ dpa)

Fußball-Nationaltrainer Scolari faltet eine Notiz mit 23 Namen auf - und ganz Brasilien hält kurz die Luft an: Der WM-Kader für das Land steht. Eine Berufung ist verblüffend.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Es war ein Staatsakt, als Brasiliens Fußball-Nationaltrainer am Mittwoch sein Aufgebot für die Weltmeisterschaft bekannt gab. Immerhin ging es um jene Landsleute, die zwischen 12. Juni und 13. Juli in der Heimat diese WM gewinnen sollen. Die A hexa erobern müssen, den sechsten Titel, auf den das Riesenreich seit 2002 wartet.

Also saß Luiz Felipe Scolari, 65 Jahre alt, in Anzug und Krawatte in einem Saal des Stadtteils Flamengo von Rio de Janeiro auf einer Bühne. Neben sich diese seltsamen Funktionäre des brasilianischen Verbandes CBF, hinter sich eine brasilianische Flagge und Sponsorenlogos, vor sich Hunderte Kameras und Reporter. Natürlich übertrag TV Globo das Ereignis live.

Felipão, wie ihn alle nennen, der große Felipe, faltete einen Zettel auf.

Darauf standen 23 Namen. Über diese hatten sich ungefähr 195 Millionen Brasilianer sowie der interessierte Rest der Menschheit zuvor ausführlich den Kopf zerbrochen. Allerdings war es nicht ganz so dramatisch wie vor zwölf Jahren. Damals, vor der Reise nach Japan und Südkorea, hatte das Publikum erstens noch seine Zweifel an Felipão, diesem Sohn italienischer Einwanderer aus Rio Grande do Sul im Süden der Republik.

Vorher ein gemütlicher Spaziergang

Zweitens hätten vor allem viele Bewohner von Rio, die Cariocas, gerne noch einmal Romário dabei gehabt, den Torjäger des Triumphs von 1994 und heutigen Chefkritiker aus dem Parlament von Brasília, den der seinerzeit neue Coach aber ignorierte. Scolari versteckte sich damals in vorsichtshalber in einem Hotel, "ich musste improvisieren". Diesmal ging er vor seinem Auftritt gemütlich spazieren, "es ist ruhiger, nicht so viel Lärm. Ich hatte es relativ einfach". Denn trotz der enormen Erwartungen gab es wenig Raum für Ärgernisse und Überraschungen.

Brasilien hielt also kurz die Luft an. Scolari las vor, Brasilien hörte zu. Als Torhüter werden Júlio César vom FC Toronto, Jéfferson von Botafogo aus Rio und Victor von Atlético Mineiro aus Belo Horizonte nominiert. Die Abwehr sollen Daniel Alves vom FC Barcelona, Maicon (AS Rom), Marcelo (Real Madrid), Maxwell (Paris Saint-Germain), Dante vom FC Bayern, David Luiz (Chelsea), Henrique (Neapel) und Thiago Silva von Paris Saint-Germain, der Teamkapitän, stabilisieren. Im Mittelfeld stehen Fernandinho von Manchester City, Hernanes (Inter Mailand), Luiz Gustavo (Wolfsburg), Oscar, Ramires und Willian (Chelsea) sowie Paulinho (Tottenham). Für den Sturm wurden schließlich Bernard von Schachtjor Donezk aus der unruhigen Ukraine, Fred von Rios Fluminense, Hulk aus Sankt Petersburg, Jô von Atlético Mineiro und schließlich der wankelmütige Volksheld Neymar aus Barcelona nominiert.

Einigermaßen verblüffend ist nur die Berufung des Abwehrmannes Henrique aus Neapel, 27, den Scolari dem ehemaligen Wunderstürmer Robinho, 30, vom AC Mailand vorzog. Dass weitere Prominente wie Kaká, 32, und Ronaldinho, 34, draußen blieben, hatte man sich dagegen schon gedacht. Sieben zusätzliche Spieler müssen nun noch für eine 30er Liste nominiert werden, weil die Fifa das so verlangt, aber das ist nichts als eine Formalität. Brasiliens WM-Kader steht ab sofort.

Bloß vier Kandidaten stehen in Brasilien unter Vertrag, der Rest verdient sein Geld in Europa. Die Bundesliga ist mit Dante und Luiz Gustavo vertreten - Mentor Felipão lobt, dass die zwei stets in exzellenter Form aus Deutschland kämen. Den Bayern-Profi Rafinha dagegen kann er bei diesem wichtigsten Ereignis der jüngeren Landesgeschichte nicht gebrauchen; er hat bessere Rechtsverteidiger, allen voran Dani Alves vom FC Barcelona.

17 Auserwählte bestreiten ihre erste WM, Weltmeister war anders als der Übungsleiter und Cheftaktiker noch keiner von ihnen. Der Stamm jedoch hat sich beim Konföderationen-Pokal 2013 bewährt, als die Seleção in durchaus berauschendem Stil im Finale die Spanier abfertigte und 90 Minuten lang von den Protesten gegen Korruption und Geldverschwendung ablenkte. "Mehr Hunger als Erfahrung" entdeckt die Zeitung Folha de São Paulo. "Wendig" sei das Team, findet der Estado do São Paulo.

Am 12. Juni beginnt für Brasilien die Mission die Mission gegen die starken Kroaten. In São Paulo, falls die Arena Itaquerão bis dahin fertig wird. Warum eine solche Show bei der Präsentation eines Aufgebots, fragte später jemand den Nationaltrainer. "Das ist die Grandezza Brasiliens und der Seleção, die fünfmal Weltmeister war", konterte Scolari. Druck? "Unsere Spieler spielen Fußball auch zum Vergnügen."

© SZ vom 08.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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