WM 2010: Italien:Bloß keinen reinkriegen!

Italiens Fußballer rücken zusammen gegen die Attacken aus der Politik und beschwören ihre Defensivkunst. Abwehrchef Fabio Cannavaro zeigt eine neue Stärke: den hintersinnigen Konter.

Birgit Schönau

Auch in Südafrika tun die Azzurri das, was sie anerkanntermaßen am besten können: sich verteidigen. Und zwar lange, bevor sie an diesem Montag auf Paraguay treffen. Es wäre ja vielleicht auch übertrieben, in Angst vor Roque Santa Cruz zu erstarren ("Wir schlagen Italien 1:0 oder 2:0"), wenn man sich erstmal gegen die Attacken der eigenen Regierung wehren muss. Und das tut Fabio Cannavaro, Kapitän und Abwehrchef, ganz souverän.

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Alles wäre leichter, hätte auch im Spiel jeder seinen eigenen Ball: Die Italiener Leonardo Bonucci, Gianluce Zambrotta, Simone Pepe und Gennaro Gattuso (von links) üben noch.

(Foto: afp)

Zum ersten Mal war die Squadra Azzurra, bis zum 11. Juli immerhin noch amtierender Weltmeister, nicht von den Vertretern ihres Landes verabschiedet worden. Silvio Berlusconi glänzte durch demonstrative Zurückhaltung, was ja sonst nicht seine Stärke ist, und seine Regierung drohte allen Staatsangestellten, die es wagen würden, für die Spiele der Italiener ihre Arbeit schleifen zu lassen. Dabei richtete bis dato sogar das Parlament der bestbezahlten Abgeordneten der Welt seinen Sitzungsplan nach der Nationalmannschaft.

Jetzt rief ein Minister der Republik Italien den Spielern hinterher, sie sollten gefälligst auf ihre Prämien verzichten, um in Zeiten der Krise mit gutem Beispiel voran zu gehen. Der Minister heißt Roberto Calderoli, er ist ein Politiker der Lega Nord und führt das Ministerium für Vereinfachung. Fabio Cannavaro hätte jetzt zum Beispiel fragen können, warum sich Italien in Zeiten der Krise ein Ministerium für Vereinfachung leisten muss, mit einem Minister, dessen auffallendste Tätigkeit darin besteht, öffentlich Gesetze zu verbrennen. Aber Cannavaro konterte hintersinnig, die Squadra Azzurra werde selbstverständlich einen Teil der eventuell erspielten Prämien spenden.

Cannavaros Konter

"Jeder gibt, so viel er will. Wir finden das ganz normal als Signal in Krisenzeiten", sagte Cannavaro. Das Geld gehe an die Stiftung für die 150-Jahrfeier der Einigung Italiens. "Denn wir Nationalspieler wollen einigen statt spalten", so Cannavaro, "wir zeigen seit vielen Jahren, dass wir uns mit den Problemen Italiens auseinandersetzen."

1:0 für Cannavaro. Minister Calderoli und seine Partei werden nämlich die 150-Jahrfeier boykottieren, sie halten nicht so viel von Italiens Einheit.

Prämien gibt es erst ab Platz drei, und dass bis dahin der Weg lang und steinig ist wie ein sardischer Maultierpfad, das weiß auch Capitano Cannavaro. "Wir werden niemals spielen können wie Brasilianer, Spanier und Portugiesen. Und die werden sich niemals verteidigen können wie wir", erklärte Cannavaro -, dass er Argentinien und England nicht erwähnte, war natürlich Zufall. Fakt ist, dass Italien niemals einen Torwart haben wird wie Robert Green, jedenfalls nicht für länger als ein Spiel. Tatsache ist aber auch, dass die italienische Abwehr längst nicht mehr so sicher steht wie vor vier Jahren, während Walter Samuel leider der einzige Argentinier ohne italienischen Pass geblieben ist.

"Wir brauchen keine Stars"

Sogar Marcello Lippi gibt sich nicht ganz so zuversichtlich wie Cannavaro ("Wir brauchen keine Stars"), sondern denkt angeblich darüber nach, die offenkundigen Schwächen seiner Hintermannschaft mit einem Mann mehr in der Offensive wettzumachen. Aber solche Pläne bleiben erfahrungsgemäß im Verborgenen, bis ein Turnier beendet ist. "Prima non prendere", zuerst keinen reinkriegen, an diesem Dogma des Calcio Italiano würde Lippi als Allerletzter rütteln.

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Am besten können sie verteidigen: Abwehrchef Fabio Cannavaro (links) und Torwart Gianluigi Buffon.

(Foto: afp)

Um den Nationaltrainer verdichten sich die Gerüchte über seinen Wechsel nach Dubai. Nach der WM könnte Lippi seinem Kapitän Cannavaro zum Klub Al Ahli folgen, für vier Millionen Euro netto im Jahr. Zurzeit verdient der 62-Jährige etwas mehr als ein Viertel davon.

Lippi schweigt eisern, was den Eindruck verstärkt, bei den Italienern mache bald der Letzte das Licht aus. Auch Gennaro Gattuso kündete seinen Abschied an: "Mit 33 soll man den Jungen Platz machen." Wie Cannavaro verteidigt der Mittelfeldspieler von Berlusconis AC Mailand die Nationalmannschaft mit Zähnen und Klauen: "Wir reden nie über Politik, aber unsere Politiker reden dauernd über Fußball. Das ist verrückt."

"Dann ändert sich die Musik"

Lippis alte Kämpen tun alles, um den Teamgeist von 2006 heraufzubeschwören. Allein gegen alle, nach diesem Motto ist Italien schon oft weit gekommen. Doch diesmal wird der Regisseur Andrea Pirlo verletzungsbedingt zumindest in den ersten Spielen der Vorrunde ausfallen. Ob sein Mittelfeldkollege Daniele De Rossi gegen Paraguay 90 Minuten durchhält, stand am Sonntag auch noch nicht fest.

"Wir werden schon die richtige Aufstellung gegen Paraguay finden", versicherte Gattuso: "Und wenn wir dieses erste Spiel gewinnen, dann ändert sich schnell die Musik." Auf den Karren der Sieger werde er diesmal niemanden aufsteigen lassen, hat Marcello Lippi schon angekündigt. Er selbst aber und seine Azzurri wollen zum Abschied noch einmal hoch hinaus.

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