WM in Oberstdorf:Im Zirkus der Emotionen

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Beim Medienspektakel in Oberstdorf hat sich zwischen Langläufern und Journalisten eine Atmosphäre der Feindseligkeit entwickelt.

Von Thomas Hahn

Helle Nacht im Deutschen Haus. Kellnerinnen eilen durchs Spalier der Gäste. Musik spielt, Gespräche irren durcheinander, und Tobias Angerer sagt, dass er über diesen Augenblick jetzt nicht hinausdenken mag. Um seinen Hals hängt die Medaille, die er ein paar Stunden zuvor mit der deutschen Langlauf-Staffel gewonnen hat, das kleine silberne Zeugnis eines glücklichen Endes, und liebevoll lässt er es immer wieder durch die Finger gleiten. Die WM von Oberstdorf ist zu Ende für ihn, und er ist froh darüber, denn das Herz eines Langläufers kann Einiges vertragen, aber irgendwann muss Schluss sein. Scheußlich-schöne Tage hat er hinter sich, ein Wintermärchen mit viel bösem Zauber und einem Finale in der Loipe, das ihm ganz neue Abgründe aufzeigte. Der Schwächeanfall kurz vor dem Ziel, diese plötzliche Besinnungslosigkeit, die seine Staffel fast aussichtslos zurückwarf, die Rettung durch Axel Teichmann. "Das war heute ein bisschen viel für mich", sagt Tobias Angerer, und für einen Moment kann man in seinen Zügen die zerrissene Gemütslage eines gebeutelten Kämpfers erkennen. Trauer, Erschöpfung, Glück.

Angerer ging von der Bühne als tragischer Held eines echten Langlaufdramas und damit auch irgendwie als nützlicher Diener dieser nordischen Ski-WM, die vom ersten Tag an ein deutsches Medienspektakel war. Tiefe Betroffenheit war aus manchen TV-Kommentaren herauszuhören, teilweise sogar zorniger Spott, weil der Sport sich anfangs die Freiheit erlaubte, seine natürliche Dynamik zu entwickeln und keine Rücksicht darauf nahm, dass das deutsche Fernsehen seinen Zuschauern Medaillen versprochen hatte. Dazu höhnte der Boulevard, und schon war eine Atmosphäre der Feindseligkeit geschaffen, welche die deutschen Langläufer um den Weltcup-Führenden Teichmann auf ihren bisherigen Beutezügen nicht kennen gelernt hatten.

Die Medaillen von Kombinierern und Skispringern brachten kaum Entspannung, für die Konsumenten der Populärmedien waren die Langläufer kurzzeitig die Deppen der Nation, und gerade in dem Moment, als der Erfolg doch noch zurückkehrte, konnte man sehen, wie sehr die Sportlerseelen darunter gelitten hatten. Axel Teichmann ist ein Baum von einem Mann, und mit seiner unbewegten Miene wirkt er immer so, als könnte kein Sturm ihn umblasen. Aber als er Angerers Martyrium noch in einen Silberrang verwandelt hatte, standen Tränen in seinen Augen. Dieses Silber war für ihn "die wichtigste Medaille, die ich je gewonnen habe", und später sagte er: "Wir haben uns nicht als Sportler schlecht behandelt gefühlt, sondern als Menschen."

So ist diese WM durchaus auch ein Lehrstück aus dem entarteten Teil der Sportwelt gewesen und wohl nur ein milder Vorgeschmack dessen, was die deutschen Fußballer erwartet, wenn sie nächstes Jahr zu ihrer Heim-WM antreten. Die Langläufer kamen aus der Stille ihres zehrenden Trainingsalltags und sollten plötzlich die perfekten Clowns im Zirkus der Emotionen sein. Aber die Natur ihres Sports gibt so etwas nicht her, weil dort Krankheiten, Techniker-Fehler oder Irrtümer im Trainingsaufbau auch bei vollem Einsatz schmerzliche Niederlagen hervorbringen können. "Wir haben uns die Öffentlichkeit hart erarbeitet", sagte der deutsche Startläufer Jens Filbrich zwischendurch tapfer, "jetzt müssen wir auch damit umgehen können, wenn es nicht so läuft." Und Tobias Angerer sagte: "Vielleicht müssen wir mit der Situation auch erst mal wachsen." Aber sie konnten die publikumswirksamen Reaktionen auf ihre ersten Niederlagen nicht so leicht ausblenden. Zwischenzeitlich drohte diese WM ihr Image als seriöse Riege zu zerstören, und so passte auch die Beobachtung ins Bild, die ein junger Langläufer aus Australien machte.

Jake Roarty ist 17 und träumt von Olympia. Er ist eines von 40 Sporttalenten aus 16 Nationen, die am internationalen Jugendlager des Weltskiverbandes Fis teilnehmen. Diese WM hat ihn bestärkt in dem Wunsch, seine sportliche Karriere voranzutreiben, er hat sie als Ski-Fest erlebt mit friedlichen Sportfreunden, vollen Tribünen und perfekt präparierten Strecken. Aber er hat auch die vielen Kameras gesehen und die wartenden Journalisten, und er sagt: "Ich glaube, viele Athleten haben ein bisschen Angst vor der Sportwelt und davor, wie die Medien sie beeinflussen."

Was tun, wenn die Niederlage zur Bedrohung wird? Jake Roarty sagt: "Ich nehme an, eine negative Sache, die immer wieder im Sport aufkommt, ist Doping. Hoffentlich sind hier alle sauber." Doch auch in Oberstdorf wurde klar, dass er damit eher einem frommen Wunsch als der Wirklichkeit nachhängt, worüber auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen konnte, dass der ganz große Skandal bis zum letzten WM-Wochenende ausblieb. Das Thema lief im Hintergrund mit. Bengt Saltin, der Antidoping-Experte der Fis aus Kopenhagen, hatte vor den Wettkämpfen bei den Gesundheitstests der Athleten so viele verdächtige Blutbilder gezählt wie selten, was den Verdacht verstärkte. Es gab Getuschel wegen der neuen Stärke der Russen. "Man ist nie sicher", sagte auch Frankreichs Vincent Vittoz nach seinem Goldgewinn in der Verfolgung, der selbst immer noch ratlos vor den Fragen zu seinem widersprüchlichen Dopingtest steht mit einer positiven A-Probe auf das Maskierungsmittel Furosemid und einer negativen B-Probe wenige Tage vor der WM; Vittoz beteuerte: "Die B-Probe bin ich." Zwischendurch vermeldete die Fis die Zwei-Jahres-Sperre des weißrussischen Langläufers Denis Worobjew, der beim Weltcup im Val di Fiemme mit Wachstumshormonen in der Gürteltasche erwischt worden war. "Das ist etwas schockierend", sagte Fis-Generalsekretärin Sarah Lewis. Und die deutschen Erfahrungen konnten durchaus das schlechte Gefühl beflügeln, dass der viel beklagte Druck, den einzelne Medien über Gebühr entfachen, Sportbetrügern irgendwann als Alibi dienen könnte.

Der Wetterbericht meldete, dass Sonnenschein das letzte Wochenende der Oberstdorfer Spiele einleiten sollte. Thomas Weiß, Medienkoordinator des Oberstdorfer Organisationskomitees, sagte, die Hoffnung, 300.000 Zuschauer in die Stadien zu locken, werde wohl übertroffen. Die ARD lobte sich und das ZDF in einer Mitteilung als "Beispiel für öffentlich-rechtliche Qualität". Und die Allgäuer Tourismus-Vermarkter durften zufrieden zurückblicken auf eine gelungene Werbeveranstaltung in einer echten Winterlandschaft. Friedlich trieb die WM ihren letzten Entscheidungen entgegen, scheinbar unberührt von ihren Konflikten, und erfreute sich an den Bildern, die sie selbst hervorgebracht hatte mit ihren sportlichen Dramen und abendlichen Festlichkeiten: tanzende Schneeflocken im Buntlicht, leidende Läufer am Burgstall, fliegende Fahnen am Schattenberg, atemlose Helden. "Jetzt zählt wieder die Zukunft", sagte Jens Filbrich versöhnlich. Und auch Tobias Angerer lächelte. "Es war eine tolle Zeit", sagte er. "Ich habe wieder einiges gelernt." Im Guten wie im Schlechten. Vergessen wird er nichts.

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