WM 2022:"Hitzerisiken und vermeidbare Todesfälle"

Foreign laborers work in Doha

Lebensgefahr: Auf Katars Baustellen sollen nach wie vor Hunderte Wanderarbeiter ums Leben kommen - viele Todesursachen seien ungeklärt.

(Foto: dpa)
  • Die Fifa und die katarischen Organisatoren beteuern, dass sich die Arbeitsbedingungen im Land des WM-2022-Ausrichters verbessern.
  • Ein neuer Report von Human Rights Watch kritisiert die Arbeitsbedingungen hingegen scharf.
  • Zwar gebe es Fortschritte - doch das sei zu wenig, um schwerste Gesundheitsrisiken und mutmaßlich Todesfälle zu verhindern.

Von Thomas Kistner

Der Fußball-Weltverband Fifa drängt angeblich auf bessere Arbeitsbedingungen in Katar, dem Ausrichterland der WM 2022. Auch viele Klubs, die über Sponsorenverträge die Öl-Millionen aus dem Golfstaat in ihren Betrieb einfließen lassen, geben sich oft tief besorgt. Das Emirat selbst hat Besserung und Schutzmaßnahmen für die Arbeiter auf den Baustellen versprochen. Doch kommt das Vorhaben nach Einschätzung von Experten kaum voran.

In einem am Mittwoch publizierten Bericht fordert die international tätige Organisation Human Rights Watch (HRW) die Fifa und deren Mitgliedsverbände nun auf, die "Maßnahmen zum Schutz der Bauarbeiter" zu forcieren; es geht um "Hitzerisiken und vermeidbare Todesfälle". HRW tritt für die Wahrung der Menschenrechte ein und findet, der Fußball müsse in diesem Sinne Druck auf Katar ausüben.

HRW geht weiterhin von Todesfällen im Zusammenhang mit der WM-Bautätigkeit aus. Der Bericht hält zwar fest, dass das zuständige Supreme Committee Fortschritte eingeleitet habe - so sei im Vorjahr ein besseres Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Arbeitspausen festgelegt worden, um die klimatischen Belastungen durch Hitze und Feuchtigkeit auszubalancieren. Doch das sei zu wenig, um Gesundheitsrisiken zu vermeiden und Todesfälle zu verhindern. Zumal diese Maßnahmen nur für die direkt an den WM-Baustellen tätigen Arbeitsmigranten gelten, also rund 12 000 Menschen. Das entspricht aber nur 1,5 Prozent der rund 800 000 Bauarbeiter, die im Emirat insgesamt tätig sind.

Zudem dürfte eine große Zahl der nicht direkt an den Stadien Beschäftigten dennoch für WM-Arbeiten eingesetzt werden, etwa bei der Infrastruktur. "Wenn Katars WM-Organisatoren ein klimabasiertes Arbeitsverbot verhängen können, dann kann auch die Regierung Katars dem folgen und für einen besseren Hitzeschutz für alle Arbeiter sorgen", sagt Sarah Whitson, die HRW-Direktorin für den Mittleren Osten.

Katars Behörden hätten es versäumt, zwei Schlüsselempfehlungen umzusetzen

Human Rights Watch rügt dezidiert die undurchsichtige Darstellung von Todesfällen unter den Wanderarbeitern. Das Emirat habe auf Anfrage mitgeteilt, dass es 2016 zu 35 Todesfällen am Arbeitsplatz kam, die sich "meistens aus Stürzen, vermutlich auf Baustellen", ergeben haben. Jedoch habe die Regierung nicht die Gesamtzahl der Todesfälle vorgelegt - zugleich würden vereinzelte Informationen von Botschaften der Herkunftsländer der Beschäftigten belegen, "dass die Zahl der jährlichen Todesopfer in die Hunderte geht". Das betrifft vor allem Arbeiter aus Bangladesch, Indien und Nepal.

Da es keine Autopsien gibt, sei es schwer möglich, konkrete Todesursachen zu ermitteln. Schon eine 2014 in Auftrag gegebene Untersuchung habe gezeigt, dass es ungewöhnlich viele Fälle von Herzstillstand gebe - "ein allgemeiner Begriff, der keine Todesursache benennt". Katars Behörden hätten es versäumt, zwei Schlüsselempfehlungen von damals umzusetzen. Zum einen habe Katar seine Gesetze nicht reformiert, um Autopsien gerade bei "unerwarteten oder plötzlichen Todesfällen" zu ermöglichen. Zudem habe das Land "keine unabhängige Studie zu der anscheinend hohen Anzahl von Todesfällen veranlasst, die vage auf Herzstillstand zurückzuführen sind".

Al Bayt Stadium Tour

Stürze, Hitze, lange Arbeitszeiten: Auf den WM-Baustellen in Katar – hier in Doha – herrschen nach wie vor kritische Zustände.

(Foto: Lars Baron/Getty)

Beispielhaft zeigt sich das anhand der Informationen, die das Supreme Committee über die Todesfälle vorlegte. Demnach wurden bei WM-Projekten zwischen Oktober 2015 und Juli 2017 acht Todesfälle als "nicht arbeitsbezogen" eingestuft. Sieben davon seien mit "Herzstillstand" und "akutem Atemstillstand" begründet worden - für HRW "Begriffe, die die zugrunde liegende Todesursache verdecken und es unmöglich machen, festzustellen, ob sie mit Arbeitsbedingungen wie dem Hitzestress zusammenhängen". Die Zahl an "nicht arbeitsbezogenen" Todesfällen bezieht sich außerdem nur auf jene Arbeiter, die unmittelbar auf den WM-Baustellen tätig sind.

Aus Kreisen einiger HRW-Mitarbeiter, die mit dem Bericht befasst waren, heißt es nun, Katar gehe nicht richtig mit dem System um, das das Verhältnis von Arbeit zu Pausen festhält; die Daten würden auf "grobe Fahrlässigkeit" hinweisen. Katar habe gegenüber Human Rights Watch erklärt, dass 2016 mehr als 400 Stunden Arbeitsunterbrechungen gestattet worden seien; auf Basis der klimatologischen Daten für diese Zeit haben HRW-Mitarbeiter allerdings einen weit höheren Pausen-Bedarf errechnet. Demnach hätten die Arbeiter mehr als 700 Stunden unter Bedingungen malocht, die nicht zur Arbeit geeignet sind; basierend auf einem Acht-Stunden-Tag entspricht das fast 90 vollen Arbeitstagen.

Auch der FC Bayern steht in der Kritik

Diese Rechnung stelle die ungeklärten Todesfälle, zumal unter überwiegend jungen Männern, sowie die nicht zertifizierten Todesursachen in einen "wichtigen Kontext". Dazu heißt es im offiziellen HRW-Bericht: Katar sollte das auf die Sommerarbeitszeiten beschränkte Arbeitsverbot "ersetzen durch eine rechtsverbindliche Anforderung, die auf den tatsächlichen Wetterbedingungen basiert". Was HRW dem Emirat vorhält, ist auch als Botschaft an dessen Nutznießer im Fußballgeschäft gerichtet. "Die Fifa und die Verbände sollten verdeutlichen, dass sie Gesetz- und Praxisveränderungen erwarten, die ein Golf-weites Beispiel dafür sind, wie man Bauarbeiterleben rettet. Jetzt - und in Zukunft", teilt HRW-Direktorin Whitson nun mit.

Der Bericht kam womöglich nicht zufällig an dem Tag heraus, an dem zwei vom Emirat gesponserte Fußballklubs aufeinandertreffen: Paris St. Germain und der FC Bayern München. Erstere machten zuletzt Schlagzeilen durch den 222-Millionen-Euro-Transfer des Brasilianers Neymar, den Katar finanzierte. Und die Münchner verkündeten jüngst, dass der Flughafen von Katar, der bereits seit einiger Zeit als sogenannter Platin-Sponsor des deutschen Rekordmeisters firmiert, nun auch als sichtbarer Sponsor auf dem Trikotärmel wirbt. Geschätzt zehn Millionen Euro pro Saison, heißt es, fließen in die Kasse; konkrete Zahlen nennt der FC Bayern nicht.

Nicholas McGeehan, der am jüngsten Katar-Report mitgearbeitet hat, mittlerweile aber nicht mehr für HRW tätig ist, sagt: "Der FC Bayern wurde von HRW im Januar 2016 sehr deutlich gewarnt vor möglichen Auswirkungen seiner Beziehung zu Katar." Zudem führt er aus: "HRW offerierte Beratung zu den Schritten, die der Klub tun könnte, um seinen Ruf zu schützen. Seitdem hat sich die Beziehung zu Katar vertieft, aber Bayern schwieg weiter zur Frage des Missbrauchs von Arbeitern." McGeehan sagt, der Verein sei "in einer sehr sichtbaren Kommerzbeziehung" mit einer Regierung, die das Leben junger Männer missachte: "Es wäre angebracht für den FC Bayern, seinen Einfluss auf Katars Regierung zu nutzen und öffentlich sofortige Schritte zu fordern, um das Leben der Wanderarbeiter in Katar zu schützen."

Die Bayern wiesen stets Vorwürfe wegen ihrer Bindung zu und ihrem Umgang mit Katar zurück. Bei der letzten Reise des Klubs dorthin teilte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge mit, man stehe in einem "guten Austausch" mit Nicht-Regierungs-Organisationen sowie Vertretern der Politik und unterstütze die Bemühungen der Fifa, für Arbeiterrechte einzustehen. Sein Eindruck sei, sagte Rummenigge, dass sich in Katar etwas bewege.

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