WM 2011: Halbfinale:Gegen das Establishment

Starke Kleine, schwächelnde Große, knappe Ergebnisse: Die WM spiegelt die neue Leistungsdichte im Frauenfußball wider. Beim nächsten Weltturnier in Kanada wird das wieder ein bisschen anders sein.

Thomas Hahn

Mit der Zukunft hat Tom Sermanni kein Problem, im Gegenteil. Die Zukunft, der er als australischer Frauenfußball-Nationaltrainer in diesen Tagen entgegensieht, ist die beste Zukunft, die seine Mannschaft je hatte. "Wenn keine Verletzungen dazwischenkommen, haben wir in ein paar Jahren ein sehr gutes Team", sagt er.

Fussball-WM: Deutschland - Japan

Gut dabei: Die japanischen Fußballerinnen, gegen Deutschland eigentlich Außenseiter.

(Foto: dapd)

Natürlich, vor der ferneren Zukunft kommt die nähere Zukunft, die im September erst mal das Qualifikationsturnier für Olympia 2012 mit den besten Mannschaften Asiens vorsieht. Fünf Spiele in zehn Tagen, das wird hart. Und vor der näheren Zukunft kommt die noch nähere Zukunft, in der Sermanni das Viertelfinal-Aus gegen Schweden zu verarbeiten hat.

Dazu braucht er "ein paar Tage und ein paar Gläser Rotwein" sowie die Video-Analyse der WM-Spiele, die bestimmt auch nur ein geteiltes Vergnügen wird: Einerseits kann Sermanni dabei nochmal den großartigen Offensivgeist seiner Mannschaft bewundern, andererseits flimmert ihm dann auch deren Abwehrverhalten entgegen, mit dem sie gerade den Schwedinnen im Viertelfinale sehr entgegenkam. Das wird weh tun.

Tom Sermanni ist ein Schotte mit Humor, und wahrscheinlich findet er es selbst amüsant, dass man sowohl die Siege als auch die Niederlagen seines Teams bei dieser WM als Symptom für ein und dasselbe Phänomen lesen kann. Außenseiter Australien hat in der Vorrunde mit seinem Talent zum Vorwärtsgang den früheren Weltmeister Norwegen geschlagen und aus dem Wettbewerb geworfen, was ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass die kleineren Verbände aufbegehren gegen das Frauenfußball-Establishment.

Gleichzeitig haben die Australierinnen einen Hang zu leichten Fehlern und eine Naivität gezeigt, die man sich mit etwas technischem Geschick vielleicht im Länderspielbetrieb der späten achtziger Jahre erlauben konnte - aber nicht mehr im dichten Feld der sechsten Frauenfußball-WM. Australiens erfahrene Schweden-Legionärin Heather Garriock (Malmö), 28, wirkte deshalb auch etwas unleidlich, als sie ihr Team in ihrem Schlussplädoyer als Dienstleistungsparadies entlarvte: "Wir haben den Gegnern die Tore auf dem Silbertablett serviert."

Es ist in diesen Tagen vor den WM-Halbfinals am Mittwoch sehr einfach, Leute zu finden, die von der neuen Leistungsdichte im Frauenfußball schwärmen. Thomas Dennerby, Sermannis schwedischer Amtskollege, sagt sogar: "Der Wettbewerb bei den Frauen wird täglich größer, und so wird es bleiben."

Das Gerede vom besseren sportlichen Niveau schmückt die Siegreichen und entschuldigt die Gescheiterten. Allerdings: Es stimmt auch, anders kann man das Geschehen gar nicht bewerten. Nach dem torarmen Beginn haben sich WM-Neulinge wie Kolumbien oder Äquatorialguinea in der Gruppenphase zwar dann doch noch deutlichere Klatschen eingefangen, aber nichts, was an das 0:11 Argentiniens gegen Deutschland bei der WM 2007 erinnerte.

Der Arbeitssieg hat auch für die größten Favoriten an Wert gewonnen. Von vier Viertelfinals mündeten drei in der Verlängerung, zwei im Elfmeterschießen. Und Tom Sermanni fantasierte keineswegs, als er in der Pause des Viertelfinals beim Stand von 1:2 noch an den Sieg Australiens glaubte: Schweden stand unter Druck.

Alles anders in Kanada

Der Grund für das neue Tempo ist klar: Selbst Verbände aus ausgewiesenen Macho-Gesellschaften entdecken den Frauenfußball als Marktlücke. Die Mexikaner zum Beispiel haben festgestellt, dass eine gewonnene WM-Qualifikation gegen eine Sportgroßmacht auch dann Spaß bereitet, wenn sie sich im Frauenfußball ereignet; Mexiko schickte den Olympiasieger USA in die Playoffs.

Im Frauenfußball ist die Weltordnung noch nicht derart in nationale Traditionen gegossen wie bei den Männern. Hier geht noch was für Länder wie Neuseeland oder Australien, die als Fußball-Winzlinge gelten. Also haben sie angefangen, neue Strukturen zu schaffen für den Sport. "Bessere Programme, mehr Profifußball. Das Spiel expandiert", sagt Sermanni, "wenn du nicht Schritt hältst damit, wie sich das Spiel bewegt, verlierst du ziemlich schnell den Anschluss."

China hat auf diese Weise die WM verpasst, Norwegen erstmals das WM-Viertelfinale. Und Titelverteidiger Deutschland vielleicht auch deshalb das Halbfinale?

Australiens Fußballerinnen-Gemeinde hat jedenfalls den Takt der Entwicklung aufgenommen. Sie ist zwar noch ein Stück entfernt vom Profisport, aber seit drei Jahren gibt es immerhin eine Liga mit acht Teams, die W-League. "Das hat mehr Spielerinnen die Möglichkeit gegeben, auf hohem Niveau zu spielen", sagt Heather Garriock. Die Folge ist die technisch beste Nationalmannschaft, in der sie je gespielt hat. Durchnittsalter: knapp 22. "Wir haben so viel Potential", sagt Heather Garriock, "wir haben so viel, auf dem wir aufbauen können." Es fehlt nur noch die Erfahrung, "die fußballerische Reife", wie Sermanni sagt.

Der Weltfußball-Verband Fifa müsste eigentlich ziemlich zufrieden sein mit seiner Frauen-WM, in der alles Vorhersehbare abgeschafft zu sein scheint und sich die Besten auf den Füßen stehen. Aber die Fifa will offenbar mehr Spiele. 2015 in Kanada werden statt 16 Teams 24 an der WM teilnehmen. "Da wird es wahrscheinlich schwächere Gegner geben", sagt Tom Sermanni.

Seiner Mannschaft wird das etwas Druck nehmen, weil die Gruppenphase entspannter wird. Aber es könnte sein, dass es Tom Sermanni und den anderen dann wieder etwas schwerer fällt, Argumente dafür zu finden, dass die Welt des Frauenfußballs zusammengerückt ist.

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