WM 2010: Ghana:Prinzregent der Möbelpacker

Der Auftritt des gebürtigen Berliners Kevin-Prince Boateng beim 1:1 gegen Australien lässt Ghana vom Achtelfinale träumen. Doch Deutschlands muskelbepackter Gegner im letzten Gruppenspiel offenbart auch Schwächen.

Thomas Hummel, Rustenburg

Ghanas Trainer Milovan Rajevac ist Serbe, erinnert aber vor allem nach den Spielen an einen Pariser Maler in Montmartre: Das schüttere Haar fällt in einem wirren Scheitel in die Stirn, er zieht oft die Mundwinkel nach unten und tut zumindest so, als würde ihn das ganze Geschwätz sehr verdrießlich stimmen. Vor allem, als in Rustenburg die Beobachter aus Ghana unangenehme Fragen stellten, schien Rajevac vor Langeweile kaum mehr den Kopf hochhalten zu können.

WM 2010: Ghana: Kevin-Prince Boateng (rechts) im Zweikampf mit dem Australier Harry Kewell: Der gebürtige Berliner lässt Ghanas Nationaltrainer schwärmen.

Kevin-Prince Boateng (rechts) im Zweikampf mit dem Australier Harry Kewell: Der gebürtige Berliner lässt Ghanas Nationaltrainer schwärmen.

(Foto: ap)

Haben wir heute den Sieg weggeworfen? Warum hat man die Überzahl nicht bemerkt? Warum schießt die Mannschaft nur Elfmetertore? Raljevac' Puls schien sich bedrohlich zu senken, seine Antworten liefen immer auf den gleichen letzten Satz hinaus: "Das Resultat ist ziemlich gut." Ghana holte trotz einer frühen roten Karte für Australien zwar nur ein 1:1, übernahm aber vor dem letzten Spieltag der Vorrundengruppe D den ersten Platz. Und Rajevac hatte ja recht: Selbst wenn seine Mannschaft gewonnen hätte, die Ausgangssituation wäre vor dem Spiel am Mittwoch in Johannesburg gegen die Deutschen keine andere gewesen. Ein Remis reicht Ghana zum Einzug ins Achtelfinale dieser WM, bei einer Niederlage droht das Aus.

Hans Sarpei, der in Köln aufgewachsene Rechtsverteidiger Ghanas, stand wenig später vor einem Pulk deutscher Journalisten und begann bereits das verbale Abtasten: "Sie müssen erstmal Tore machen, man sieht bei dieser WM, wie schwer das ist." Und er gab auch schon Einblick in die ghanaische Taktik für das Gruppenfinale in Soccer City: "Deutschland muss jetzt das Spiel machen und wir werden Möglichkeiten haben, vielleicht kontermäßig was zu erreichen", sagte er.

Footballverdächtige Muskelberge

Hinter Sarpei schoben sich seine Mitspieler vorbei und offenbarten dabei das nächste Problem der Deutschen: Hätten nicht knapp 35.000 Zuschauer im Royal-Bofakeng-Stadion bezeugt, diese Truppe habe zweifelsfrei Fußball gespielt, man hätte Haus und Hof verwettet, dass es sich hierbei entweder um die härtesten Möbelpacker des Kontinents handelte oder um die Angriffslinie der Super-Bowl-Gewinner New Orleans Saints. Footballverdächtige Muskelberge zwängten sich da unter T-Shirts, bei manch einem verschwand fast der Hals hinter den Nackenmuskeln.

Ghanas Spieler entscheiden trotz harter innerafrikanischer Konkurrenz den Titel der muskulösesten Oberkörper bei dieser WM klar für sich. Doch diesen Kader auf reine Kraftbolzen zu reduzieren, wird ihm nicht gerecht.

Vor allem nach dem 1:0 der Australier zeigten die Afrikaner den im Stadion sitzenden Bundestrainer Joachim Löw und Chefstratege Urs Siegenthaler ihre Stärken. Und die befanden sich wie schon beim Sieg gegen Serbien vor allem in der Mitte des Platzes. Das Zentrum mit Anthony Annan und Kevin-Prince Boateng dominierte das Geschehen, stoppte die australischen Angriffe und leitete eigene ein. Dabei musste bei Löw ein bisschen Wehmut aufkommen angesichts der Leistung Boatengs.

Verdacht auf Überheblichkeit

Der 23-Jährige hätte ja auch bei ihm in der Mannschaft spielen können. Der in Berlin geborene Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters hatte alle Nachwuchsteams des DFB durchlaufen, ehe angeblich mehrfache Disziplinlosigkeiten eine weitere Karriere im deutschen Team verhinderten. Kurz vor der WM wechselte er zum ghanaischen Verband, absolvierte in Rustenburg sein drittes Länderspiel. Und was für eins.

Da kam sogar Trainer Rajevac kurz ins Schwärmen. "Boateng hat ein sehr gutes Spiel gemacht. Er hatte exzellente Aktionen und organisierte das Spiel für uns", lobte der Serbe. Er hätte nach der ersten Halbzeit noch mehr Hymnen auf den Berliner anstimmen können, derart perfekt hatte dieser das Spiel seines Teams dirigiert. Kurz vor der Pause verhinderte nur eine großartige Parade des australischen Torwarts Mark Schwarzer sein 2:1. Löw und Siegenthaler werden sich notiert haben, dass am Mittwoch der Erfolg nur darüber führt, Boateng und Annan in der Spielfeldmitte effektiver zu stören als das die Australier konnten.

Angeleitet von diesen Duo entfalteten die Offensivspieler ihre Stärken. Andre Ayew, 20, verfügt über einen exquisiten linken Fuß und ging immer wieder in Dribblings. Asamoah, der Hoffenheimer Prince Tagoe und vor allem Gyan übten durch ihre reine Wucht teils massiven Druck auf die Australier aus. Doch im Abschluss sah es dann so aus, wie tags zuvor bei der deutschen Mannschaft: Die Streubreite der Schüsse war enorm. So schoss nach Harry Kewells Handspiel auf der Torlinie wieder Gyan vom Elfmeterpunkt das einzige Tor für Ghana. Nach der Pause offenbarten die Afrikaner indes einige Schwächen.

Immer für einen Fehler gut

"Wir sind blind nach vorne gerannt, einfach drauflos. Jeder hat geschossen, anstatt dass wir uns klare Chance erarbeiten", bemängelte Sarpei. Er führte das auf die Jugend der Mannschaft zurück. Einige Black Stars bewegten sich bisweilen derart träge über den Platz, dass der Verdacht auf Überheblichkeit vorlag. Zunehmend verloren die meisten auch ihre beeindruckende Kraft, sie trugen am Ende schwer an ihren Muskelpaketen.

Löw und Siegenthaler dürften zudem einige Schwächen in der Defensive notiert haben, was ihnen allerdings für Mittwoch nur zum Teil weiterhilft. Rajevac musste auf Kapitän John Mensah wegen einer Prellung verzichten, den Hoffenheimer Isaac Vorsah schonte er, wodurch der Serbe eine völlig neue und unerfahrene Innenverteidigung auf das Feld schickte. Mensah und Vorsah dürften in Soccer City wieder dabei sein. Dafür könnte John Pantsil ausfallen, der solide Rechtsverteidiger wurde kurz vor Schluss mit Verdacht auf Nasenbeinbruch vom Platz getragen.

Wie es Rajevac auch dreht, eine Schwäche wird er auch mit der Ruhe eines Pariser Malers bis Mittwoch nicht beheben können: Torwart Richard Kingson ist immer für einen Fehler gut wie beim 1:0 durch Brett Holman.

So blickte der serbische Trainer trüb in die Runde, als ein Ghanaer ihn fragte, ob er denn dem ghanaischen Volk versprechen könne, das Achtelfinale zu erreichen. Uff, äh, na ja. "Wir werden unser Bestes tun", sagte Rajevac, "aber jeder kann verlieren."

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