WM 2010: Foulspiel:Brutales Beben im Bein

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Bei der WM in Südafrika ist ein Foulspiel im Trend: das so genannte "Fußdrüberhalten". Diese Knochenbrecher-Aktionen sind hochgradig gefährlich und die Schiedsrichter damit häufig überfordert.

Thomas Hummel

Die Fußball-Weltmeisterschaft gerät vor dem Fernsehgerät bisweilen zu einem Stummfilm der Schmerzen. Host Broadcasting Services beliefert im Auftrag des Weltverbands Fifa die Sender mit Bildern, und irgendwo in dieser Firma müssen Leute mit leicht sadistischer Neigung sitzen, die sich für ihre neue Superzeitlupe am liebsten die schrecklichsten Zusammenstöße und brutalsten Fouls aussuchen.

Der Ivorer Ismael Tioté rammte seine Stollen in das Schienbein des Brasilianers Elano, der eine starken Prellung erlitt und ausgewechselt werden musste. (Foto: ap)

So sahen die Millionen TV-Zuschauer am Sonntagabend detailgenau, wie der Ivorer Ismael Tioté seine Stollen in das Schienbein des Brasilianers Elano rammte. Die lautlosen Erschütterungen in Elanos Bein verursachten von Soweto bis Flensburg Phantomschmerzen. Kurz danach verursachte Kader Keitas ausgetreckte Sohle ein Beben im Bein von Michel Bastos. Es war fürchterlich.

Anschauungsunterricht von Ribéry

Das Bemerkenswerte an diesen Szenen: Schiedsrichter Stéphane Lannoy gab nicht einmal Gelb. Dabei hatte zumindest Keita sein Bein auch ohne Zeitlupe sichtbar regelwidrig dem Gegenspieler entgegengestreckt. Tiotés Tritt indes steht beispielhaft für ein zwar nicht neues, bei dieser WM aber hochmodernes Foulspiel, das für die Schiedsrichtern schwer erkennbar ist: zu fußballdeutsch "Fuß drüberhalten" oder "Fuß draufhalten". In München auch bekannt unter dem Namen: "Ribéry-Foul."

Die Fifa hat die Regeln in den vergangenen Jahren sukzessive verschärft. Das Tackling von hinten, das Trikotziehen oder das taktische Foul an der Mittellinie werden viel härter bestraft als vor 20 Jahren. Die Profis haben sich darauf eingestellt. Und sich neue Mittel gesucht, um den Gegner einzuschüchtern, ihm weh zu tun, zu fußballdeutsch: "ihm den Schneid abzukaufen" oder auch ganz nach Effenberg "ein Zeichen zu setzen".

Dafür ist der beiläufige, mitunter unscheinbare Tritt das ideale Mittel. Erkämpft ein Gegenspieler den Ball im Rutschen, springen die Profis nicht mehr über ihn, sondern verpassen ihm fünf bis zehn Stollenabdrücke zwischen Knie und Knöchel. Auch im stehenden Zweikampf heben die Spieler ihre Zehen, um so den idealen rechten Winkel im Knöchel für den wirkungsvollen Tritt zu schaffen. Franck Ribéry vom FC Bayern gab im Halbfinale der Champions-League Anschauungsunterricht, als er Leandro Lopez von Olympique Lyon derart auf den Fuß trat. Sein Fehler war nur, dort zu lange zu verweilen und der Schiedsrichter das Foul bemerkte. Als Ribéry dann die rote Karte sah, war der Aufschrei dennoch groß.

Wenigstens die Schlimmsten

Dabei muss die Fifa gegen das "Fuß drüberhalten" hart vorgehen. Die Verletzungsgefahr durch die gestreckten Beine und angewinkelten Knöchel ist riesig, Elano etwa kann froh sein, mit einer Prellung davongekommen zu sein. Das Problem dieser fiesen Aktionen bleibt indes, dass der Schiedsrichter mit bloßem Auge kaum einschätzen kann, ob dem Foul ein Unfall durch unglückliches Zuspätkommen zugrunde liegt, oder ein bewusstes Inkaufnehmen einer Verletzung des Gegners.

Weshalb das Thema Fernsehbeweis wieder einmal auf den Tisch kommt. Wenn schon die Millionen Zuschauer die Knochenbrecher-Aktionen superlangsam erleiden müssen, warum nicht auch ein zusätzlicher Schiedsrichter? Auch der könnte nicht immer alle Zweifel ausräumen. Aber wenigstens die schlimmsten Treter aus dem Verkehr ziehen. Doch vermutlich dauert es, bis der erste offene Schienbeinbruch die Fans zwischen Soweto und Flensburg in Zeitlupe erschüttert.

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