WM-Fahrer Erik Durm:Beseelt vom heiligen Stück Stoff

Germany v Cameroon - International Friendly

Erik Durm (li.): WM-Fahrer dank Löw

(Foto: Martin Rose/Getty)

Linksverteidiger Erik Durm hat vor einem Jahr noch in der dritten Liga gegen Provinzklubs gespielt - nun ist er die überraschendste Personalie im endgültigen Kader für die WM. Seine Berufung dürfte die Dortmunder entschädigen.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Erik Durm klopfte liebevoll auf die Tasche, die über seiner Schulter hing. Mit dieser zärtlichen Geste gab er zu verstehen, dass er seit diesem Abend im Besitz eines Gegenstands war, der für den Rest der Welt ein gewöhnliches Stück Stoff war, für ihn aber ein privates Heiligtum darstellt. Das Trikot, das er am Sonntag bei seinem ersten Einsatz als Nationalspieler getragen hat, wird Erik Durm als Reliquie aufbewahren, so viel steht schon fest.

Denn es hat, auch das steht fest, nach dem Test gegen Kamerun in Mönchengladbach keinen glücklicheren Nationalspieler gegeben als den 22-jährigen Verteidiger von Borussia Dortmund. Und dabei konnte Durm lediglich ahnen, dass sein Glück noch lange nicht erschöpft war. Dass er mit der deutschen Mannschaft zur WM nach Brasilien fahren soll, das hat er erst am Montag erfahren, als der Bundestrainer seinen Kader fürs Turnier bekannt machte. Im Mönchengladbacher Nordpark schwelgte Durm einstweilen im Hochgefühl des Augenblicks: "Ich lasse es auf mich zukommen", sagte er, "verdient haben es eh alle 26."

Es gibt einige Spieler im deutschen WM-Kader, die von ihrem Aufstieg nicht bloß überrascht, sondern überwältigt sind. Für Christoph Kramer, 23, war es bereits ein "Wunder", dass ihn der Bundestrainer vor drei Wochen in den nothalber zusammengebastelten Kader für den Testkick des B-Teams gegen Polen aufgenommen hatte.

Und Matthias Ginter, 20, hat nach jener torlosen Partie in Hamburg kaum zu hoffen gewagt, dass er die Reise ins Trainingslager nach Südtirol mitmachen dürfte - geschweige denn die Reise nach Südamerika. Aber Durm ist die größte Überraschungspersonalie im deutschen Aufgebot, bis vor einem Jahr war der Alltag seines Fußballerlebens noch von Gegnern wie Wacker Burghausen und Preußen Münster bestimmt. Der gebürtige Pfälzer war eine Saison zuvor vom FSV Mainz 05 nach Dortmund gewechselt - zur Verstärkung der zweiten Mannschaft.

Gute Einsatzchancen in Brasilien

Innerhalb nicht mal eines Jahres ist Durm also von der dritten Liga in die Nationalmannschaft befördert worden, und nachdem Löw nun entschieden hat, die vermeintliche Stammkraft Marcel Schmelzer zu Hause zu lassen, ist auch an dieser Stelle das Karrieremärchen nicht vorbei. Der 22-Jährige ist nun der einzige Spieler im deutschen Kader, der halbwegs amtlich als Linksverteidiger firmiert, die Einsatzaussichten für das Turnier in Brasilien sind ziemlich gut.

Die nötige Lehre hat ihm Jürgen Klopp erst im Laufe der Saison zukommen lassen, bis dahin fungierte er in der Dortmunder U 23 als Linksaußen oder im linken Mittelfeld, diese Herkunft ist seinem agilen Spiel durchaus anzusehen. Als Verteidiger bewährte sich Durm in 19 Bundesligapartien und in sieben Champions-League-Einsätzen, unter anderem gegen Real Madrid. "Das war bis jetzt mein persönliches Highlight, aber für die Nationalmannschaft zu spielen hat noch mal einen höheren Stellenwert", stellte er nun selig fest, und wie es sich gehört, war sowohl vom erfüllten Kindheitstraum wie auch vom Gänsehautgefühl beim Erklingen der Nationalhymne die Rede.

Der Bundestrainer bewertete seinen Auftritt ohne Enthusiasmus, aber mit dem üblichen Debütanten-Kompliment ("hat seine Sache ordentlich gemacht"). Durm wurde auf seiner Seite wenig gefordert. Aber er deutete an, dass er gegenüber seinem Teamkollegen Schmelzer vor allem offensiv Vorteile hat.

Den Dortmundern, die üblicherweise die Interessen ihrer Spieler gegenüber dem Bundestrainer vehement wahrzunehmen pflegen, dürfte der Protest gegen Schmelzers Degradierung vom Stammspieler zum Daheimgebliebenen schwer fallen. Sie wurden sozusagen gleichwertig entschädigt.

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