WM 2010: Eröffnungsspiel:Zwischen Lähmung und Lust

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Zu Beginn wie ein Oberliga-Team, am Ende enttäuscht über das Unentschieden. Südafrika leidet im Eröffnungsspiel gegen Mexiko unter den riesigen Erwartungen - und bleibt ein Mysterium.

Thomas Hummel, Johannesburg

Itumeleng Khune kauerte in seinem Strafraum, seinen zusammengefalteten Körper zum Tor gerichtet. Es sah fast aus wie eine religiöse Geste, als würde der Torhüter mit dem Gesicht im Rasen sein Tor anbeten. Vielleicht betete Khune auch oder, wahrscheinlicher, beschwerte er sich bei seinem Gott, wieso er diesen einen Ball in der letzten Minute nicht ein wenig nach rechts gelenkt hatte.

Itumeleng Khune, Südafrikas Torwart, kauert im Strafraum. Soeben hatte seine Mannschaft die Chance zum Sieg vergeben. (Foto: ap)

Ganz Afrika hätte am liebsten in dieser 90. Minute einen Gott nach Soccer City geschickt. Als Stürmer Katlego Mphela den Gegenspielern davongelaufen war, als hätten diese mit schwerem Gegenwind zu kämpfen. Mphela drang mit dem Ball in den Strafraum ein, zielte aber eben gegen den rechten Torpfosten. Und ganz Afrika stöhnte auf.

Diese Szene bildete den dramaturgischen Höhepunkt eines Nachmittags, den die Welt so schnell nicht vergessen wird. Zumindest die afrikanische Welt. Das wird letztlich weniger am 1:1 der Südafrikaner gegen Mexiko im Eröffnungspiel der 19. Fußball-WM liegen. Zuvor hatte zum ersten Mal ein afrikanischer Präsident eine Fußball-Weltmeisterschaft in seinem Land eröffnen dürfen. Jacob Zuma, Südafrikas Präsident, wiederholte in Soccer City in Johannesburg die Worte, die zum Motto dieser WM wurden: "Ke nako - die Zeit ist gekommen." Es ist ein Satz, der nachhallt, wie das "Wir sind wieder wer" der Deutschen nach dem WM-Sieg 1954. Ein Fußballereignis soll einer Nation, einem ganzen Kontinent neues Selbstvertrauen geben.

Schon seit Tagen sind die Menschen wie elektrisiert davon gewesen, im Mittelpunkt des Weltinteresses zu stehen. Dieses Gefühl voller Freude, voller Überschwang prägt das Land. Im Stadion Soccer City sangen und tanzten die Zuschauer schon Stunden vor dem Spiel (insofern sie sich rechtzeitig durch den immensen Stau gekämpft hatten). Und auch die Bafana Bafana, die Nationalmannschaft, stieg laut singend aus dem Mannschaftsbus. Auf dem Weg zum Aufwärmen bewegten sich die Spieler in rhythmischen, tanzenden Bewegungen durch den Spielergang. Es schien, als wollten auch die Fußballer auf einer Woge des Glücks und der Lebenslust in die WM hineingleiten.

Doch dann mussten die Afrikaner einsehen, dass eine Vorfreude nicht ewig andauern kann. Irgendwann muss so eine WM angepfiffen werden. Was insofern fast zur Katastrophe führte, weil die Bafana Bafana eben nicht locker und leicht ins Turnier glitt, sondern insgeheim eine Heidenangst mitbrachte. "Am Anfang war meine Mannschaft sehr beeindruckt von dem Ambiente", sagte Trainer Carlos Alberto Parreira nach dem Spiel. Sie waren nicht beeindruckt, sie waren wie gelähmt, als würden alle Spieler mit starkem Gegenwind kämpfen.

WM 2010: Eröffnungsspiel
:Bafana Bafana!

Bunt gewandete Tänzer, riesige Käfer, afrikanische Rythmen - und unbeschreibliche Begeisterung auf den Rängen. Südafrika feiert den WM-Auftakt - und ist am Ende doch ein wenig enttäuscht. In Bildern.

Nach 120 Sekunden vergaben die Mexikaner ihre erste große Torchance, nach 18 Minuten die zweite, nach 32 Minuten die dritte. Dann lenkte Verteidiger Bongani Khumalo eine Flanke fast ins eigene Netz. Kurz vor der Pause rettete die Südafrikaner eine bizarre Abseitsstellung des Mexikaners Carlos Vela - Torwart Khune flog bei einer Flanke zwar irrlichternd durch den Strafraum, aber so früh, dass er Vela eben abseits stellte. In dieser Phase standen den Südafrikanern alle Götter dieser Welt bei, und auch die mexikanischen Angreifer, die die besten Möglichkeiten ausließen. "Wenn du da keine Tore schießt, leidest du", sollte Mexikos Trainer Javier Aguirre später klagen, "und wir haben sehr gelitten."

Siphiwe Tshabalala (gelbes Trikot) zimmert den Ball in den Winkel. (Foto: ap)

Denn in der Kabine bewirkte irgendein Zauber, dass die Südafrikaner ihre Lähmung loswurden. Plötzlich konnten sie rennen, kämpfen, sich durchsetzen, die Kugel zum Mitspieler passen, bisweilen einen Gegner ausspielen. Und Siphiwe Tshabalala konnte diesen Ball in den Torwinkel zimmern, als hätte er die Kraft aller afrikanischen Götter in diesen Schuss vereint (55.).

"Das Tor drehte das Spiel", analysierte Aguirre. Tatsächlich hätte die Bafana Bafana die Partie danach unbedingt gewinnen müssen, Teko Modise vergab zweimal alleinstehend vor Torwart Oscar Perez. Am Ende traf Mphela nur den Pfosten. Und so reichte es, dass Kapitän Aaron Mokoena einmal vergaß, mit seinen Kollegen gemeinsam den Strafraum zu verlassen und den Gegner abseits zu stellen. Plötzlich standen nach einer Flanke drei Mexikaner frei vor dem Tor und Rafael Marquez verwandelte zum 1:1 (79.).

Hoffnung für Südafrika

Diesem Nachmittag wohnt nun das Mysterium inne, wie stark die beiden Mannschaften wirklich sind. Vor allem die Gastgeber bewegten sich zwischen dem Niveau eines schwachen Oberliga-Teams und einem ordentlich kombinierenden, durchaus ernst zu nehmenden WM-Gastgeber. Trainer Parreira glaubt jedenfalls, von nun an Letzteres auf den Platz zu schicken: "Ich glaube, wir haben das Eis gebrochen, im nächsten Spiel werden wir noch mehr Selbstvertrauen haben."

Auch das Rätsel der für europäische Augen recht ungewöhnlichen Sing- und Tanzeinlagen vor dem Spiel, löste Parreira mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit auf: Die Neuseeländer führten einen Kriegstanz auf, die Brasilianer beteten vor dem Spiel in der Kabine, die Südafrikaner tanzten und singen. "Sie lieben es, das ist ihre Form, sich den Stress und den Druck zu nehmen", erklärte er. Dieses Eröffnungsspiel gab den Südafrikanern die Hoffnung, noch eine ganze Weile bei dieser WM zu tanzen und zu singen. Sie werden das zumindest bis zum nächsten Spiel mit Sicherheit auch tun.

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