WM 2010: England:Terrys verhinderte Revolution

Es war die denkwürdigste englische Pressekonferenz seit zehn Jahren: John Terry kündigt vollmundig einen Aufstand gegen Trainer Capello an. Doch seine Mannschaftskollegen ziehen nicht mit - und Terry muss klein beigeben.

Raphael Honigstein

"Vielleicht werden heute Abend auch einige von uns nach Hause fahren müssen", hat John Terry gesagt, als ihn ein Reporter des französischen Fernsehens auf seinen Klubkollegen Nicolas Anelka und dessen vorzeitige Abreise von der Weltmeisterschaft ansprach. Und dabei grinste er.

England Press Conference

Man werde, versprach John Terry auf einer Pressekonferenz, den Trainer Fabio Capello in der für Sonntagabend anberaumten Mannschaftssitzung "auf Dinge hinweisen, die unserer Meinung nach verändert werden müssen".

(Foto: getty)

Hinter dem kleinen Witz lugte eine große Drohung hervor: Man werde, versprach der Verteidiger des FC Chelsea, den Trainer Fabio Capello in der für Sonntagabend anberaumten Mannschaftssitzung "auf Dinge hinweisen, die unserer Meinung nach verändert werden müssen". Falls das den nicht gerade als Spielerversteher bekannten Italiener störe, sei ihm das "egal". Er spreche im Namen der englischen Mannschaft, behauptete er. Was schon eine irritierende Botschaft war, schließlich hatte Capello ihn im Frühjahr nach einer öffentlichen Erotik-Affäre von allen Kapitänspflichten entbunden.

Der vollmundig angekündigte Aufstand wurde allerdings wieder abgeblasen, der vermeintliche Putschistenführer Terry sagte in der Abendsitzung kein einziges Wort. Aufgeschreckte Mitglieder des Trainerstabs hatten ihn am Nachmittag abgefangen und zum Schweigen bewegt, außerdem war sein Vorstoß bei den Kollegen keineswegs auf Gegenliebe gestoßen.

"Schlau sein ist immer ein Fehler"

"Ziemlich entsetzt" hätten die Spieler die Live-Übertragung seiner Pressekonferenz in ihren Hotelzimmern verfolgt, erzählte ein Berater eines Nationalkickers, im Team wolle man keine Revolution und schon gar nicht Terry als selbsternannten Spielertrainer. Der 29-Jährige musste einsehen, dass er isoliert war und gab klein bei. Die schonungslose Aussprache verkam so zum Monolog des Trainers, der Englands Defizite beim 0:0 gegen Algerien kulant im Ton, aber hart in der Sache anhand einer Videoanalyse veranschaulichte.

"Terry wollte sehr schlau sein, das ist immer ein Fehler", schrieb die Times über die denkwürdigste England-PK seit Kevin Keegans Rücktritt nach dem 0:1 gegen Deutschland im alten Wembley-Stadion vor zehn Jahren. Gar "machiavellische Qualität" attestierte die Daily Mail dem Auftritt im Medienzentrum des Royal Bafokeng Sports Campus, weil "JT" formal vorgab, den Trainer zu unterstützen ("wir stehen zu hundert Prozent hinter ihm"), zugleich aber klarmachte, dass es nun an der Zeit sei, endlich auf die Wünsche der Spieler zu hören.

Als einziger einsatzbereiter Stammspieler in der Innenverteidigung hatte sich Terry offenbar stark genug gefühlt, den Machtanspruch zu stellen: "Ich bin für diese Aufgabe geboren", sagte er am Sonntag. Dass derzeit Steven Gerrard (FC Liverpool) für den verletzten Rio Ferdinand (Manchester United) den skipper für England gibt, betrachtet Terry persönlich nur als Übergangsregelung.

"Vergeudete Zeit"

Eigene Interessen mögen den Ausschlag für seine (versuchte) Revolution gegeben haben, doch das heißt nicht, dass die Mannschaft einen großen Teil seiner Bedenken nicht teilt. Capellos Tick, erst zwei Stunden vor Anpfiff die Aufstellung bekannt zu geben, wird hinter vorgehaltener Hand stark kritisiert; gezielte "Elf gegen Elf"-Übungen im Training seien so nicht möglich.

Auch eine Systemumstellung auf ein 4-5-1 mit Wayne Rooney als Solo-Spitze würde breiten Anklang finden. Der zaghafte Riese Emile Heskey hat als Rooneys Sturmpartner keine Lobby mehr, dafür würden viele lieber Joe Cole auf dem linken Flügel sehen. "Er ist neben Wayne der Einzige, der Abwehrreihen öffnen kann", plädierte Terry für seinen Chelsea-Kumpel. Cole, 28, hat bisher noch keine Minute bei der WM gespielt.

Den Spielern ist zudem nicht verborgen geblieben, dass sich Capello nach dem grauenhaften 0:0 gegen Algerien merklich von ihnen distanziert hat. "Ich habe das Gefühl, dass die vergangenen zwei Jahre vergeudete Zeit waren", sagte der 64-Jährige, "im Training ist alles gut, aber auf dem Platz lähmt die Furcht die Beine und die Köpfe. Ich weiß nicht, warum und wie es soweit gekommen ist".

Eine prophylaktische Einlassung

Als Angsthasen lassen sich englische Profis höchst ungern bezeichnen. Und Rooney war nicht begeistert, als ihm Capello mentale Probleme unterstellte. Bequemer wäre es für Englands "goldene Generation" natürlich, wie in der Vergangenheit bei Sven-Göran Eriksson und Steve McClaren die fachlichen Fehler den Vorgesetzten ankreiden zu können. Terrys Einlassung war somit auch prophylaktischer Natur, gedacht dazu, die Schuld-Debatte nach einem Vorrunden-K.o, in Richtung Capello zu lenken.

"Ich persönlich finde es eine Frechheit, wenn gesagt wird, dass wir Angst haben", sagte der in seinem Klub als "Mr.Chelsea" verherrlichte Mann, dem man das ruhig abnehmen darf. Selbstzweifel, das ist die größte Stärke und Schwäche von John Terry zugleich, hat er im Gegensatz zu seinen Mitspielern noch nie gehabt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: