WM 2010: Elber über Dunga:"Sie hätten Dunga umgebracht"

Carlos Dunga, finden viele Brasilianer, hat ihrem geliebten Fußball die Leichtigkeit genommen. Der ehemalige Stürmer Giovane Elber sieht das differenzierter. Er spielte mit Dunga zusammen beim VfB Stuttgart.

Javier Cáceres

Lieben werden die Brasilianer Carlos Dunga, 46, wohl selbst dann nicht, wenn er die Seleção in Südafrika zum WM-Titel führt. Weltmeister werden mit dem falschen Fußball - was soll das wert sein? Ohne Ronaldinho und Adriano? Mit einer Spielanlage, in der Verteidigen wichtiger ist als Zauberei? Der Nationaltrainer, finden viele Brasilianer, hat ihrem geliebten Fußball die Leichtigkeit genommen. Der ehemalige Stürmer Giovane Elber, 37, Champions-League-Sieger mit dem FC Bayern im Jahr 2001, sieht das differenzierter. Von 1993 bis 1995 hat Elber mit Dunga zusammen beim VfB Stuttgart gespielt.

Giovane Elber bei Maccabi München gegen FC Bayern München Allstars

"2006 war eigentlich nur Party. Die Vorbereitung war, pardon, Scheiße. Die haben nur Caipirinhas getrunken und Samba getanzt", sagt der brasilianische Ex-Nationspieler Giovane Elber.

(Foto: imago)

SZ: Herr Elber, an diesem Dienstag bestreitet Brasilien sein Auftaktspiel gegen Nordkorea. Wie gut hat der Nationaltrainer Carlos Dunga die Mannschaft für die WM gerüstet?

Elber: Sehr gut. Dunga hat der Seleção sein Gesicht übertragen. Die Defensive ist kompakt, spielt aggressiv. Es ist nicht mehr der Halligalli-Fußball von 2006.

SZ: War 2006 nicht eher nur Halligalli - und kein Fußball?

Elber: Ja, stimmt, da war eigentlich nur Party. Die Vorbereitung war, pardon, Scheiße. Die haben nur Caipirinhas getrunken und Samba getanzt.

SZ: Das macht ja auch Spaß...

Elber: Ja, klar macht das Spaß! Aber doch nicht vor einer WM! Dunga wollte vermeiden, dass sich so etwas wiederholt, und er hat es geschafft. Aus dem 2006-Kader sind im Prinzip nur zwei, drei Spieler dabei. Das Team ist diszipliniert und mannschaftsdienlich. Okay, Kaká ist ein Weltstar. Aber die restlichen Spieler sind vor Dunga alle gleich. Jeder muss für den anderen laufen. Und alle tun das auch. Die Berufung von Grafite vom VfL Wolfsburg war gewissermaßen exemplarisch.

SZ: Inwiefern?

Elber: Sie zeigte, dass Dunga Spieler daheim gelassen hat, die kein Selbstvertrauen hatten. Oder denen er nicht vertraute. Egal, welchen Namen sie tragen. Nehmen Sie Ronaldinho: Bei jeder anderen Nationalelf würde einer wie er mit nur einem Bein spielen. Ich frage mich, ob er in seinem Inneren die WM gar nicht spielen wollte, oder ob er nur zu spät gesehen hat, dass er mehr machen muss. Aus Mailand hört man immer nur, dass er nicht arbeitet und faul ist. Das hat Dunga auch mitbekommen. Bei Adriano lag das ähnlich. Bei uns war alle Welt davon ausgegangen, dass er nominiert wird. Aber Dunga hat erkannt, dass Adrianos Kopf noch immer nicht in Ordnung ist.

"Wie ein Deutscher"

SZ: Obwohl er 1994 die brasilianische WM-Mannschaft als Kapitän zum WM-Titel führte, wird Dunga von der Presse enorm angefeindet.

WM 2010: Elber über Dunga: "Seine Art, Fußball zu spielen, galt als unbrasilianisch", sagt Giovane Élber über Brasiliens Nationaltrainer Carlos Dunga. Die Presse habe es zu Unrecht auf Dunga abgesehen, findet Élber.

"Seine Art, Fußball zu spielen, galt als unbrasilianisch", sagt Giovane Élber über Brasiliens Nationaltrainer Carlos Dunga. Die Presse habe es zu Unrecht auf Dunga abgesehen, findet Élber. 

(Foto: afp)

Elber: Ja. Seit seinem ersten Arbeitstag. Er macht das, man kann schon sagen: wie ein Deutscher. Aber das Grundproblem ist, dass die Arbeit für die Presse sehr viel schwieriger geworden ist. Früher konnten die Medien machen, was sie wollten. Jetzt hat Dunga sehr darauf geachtet, dass in Ruhe trainiert wird und die Hausaufgaben gewissenhaft erledigt werden können.

SZ: In der brasilianischen Mannschaft stehen im Prinzip sieben Spieler hinter dem Ball. Der Torwart, die vier Verteidiger, dann noch die beiden defensiven Mittelfeldspieler...

Elber: Das wird Dunga in Brasilien vorgeworfen. Viele denken, er spielt viel zu defensiv. Dabei ist das gar nicht so. Der macht das schon richtig, finde ich. Wenn man den Ball verliert, dann muss man ihn zurückbekommen. Da müssen viele Leute hinter dem Ball sein, plus zwei, drei, die Konter fahren.

SZ: Hängt damit das Offensivspiel nicht zu sehr von Kaká ab, der nicht mal ein geborener Spielmacher ist?

Elber: Wenn er einen schlechten Tag hat, dann wird's in der Tat schwer. Kaká sucht natürlich den Abschluss. Aber er ist auch jemand, der seine Vorderleute mit guten Pässen gut in Szene setzen kann.

"Seine Art zu spielen galt als unbrasilianisch"

SZ: Hat Robinho beim FC Santos zu der Form zurückgefunden, die ihn einst zu einem der begehrtesten Spieler gemacht hat? Es heißt, er habe ein grandioses Halbjahr hinter sich.

Elber: Er hat hervorragend gespielt. Aber auf der anderen Seite muss man sagen: Es war nur in der Staatsmeisterschaft von São Paulo. Das ist zwar eine gute Staatsmeisterschaft...

SZ: ... in São Paulo leben 18 Millionen Menschen, einige der besten Klubs sind dort angesiedelt...

Elber: ...aber es ist nicht so, dass man sagen kann: Boah, der ist weltklasse. Selbst die brasilianische Meisterschaft ist fordernder, doch sie hat noch nicht begonnen. Unbestreitbar ist, dass der Schritt zurück für Robinho enorm wichtig war, denn bei Manchester City hat er kaum gespielt.

SZ: Dunga sagte einmal, wenn die brasilianische Mannschaft 1994 die WM in den USA nicht gewonnen hätte, dann wären ihre Mitglieder in Brasilien nach der Rückkehr umgebracht worden.

Elber: Dunga schon.

SZ: Tatsächlich?

Elber: Mit Dunga war die Presse schon nach der WM 1990 extrem hart ins Gericht gegangen. Damals hieß es, Dunga sei schuld am Ausscheiden Brasiliens gewesen. Nur Dunga, Dunga, Dunga, Dunga. Seine Art, Fußball zu spielen, galt als unbrasilianisch. Vor ihm waren alle defensiven Mittelfeldspieler elegant, alle Kopf hoch, schön gespielt. Dunga war ein Zweikampfspieler und ging enorm hart zur Sache. Und wenn man dann gegen Argentinien ausscheidet...

SZ: Man hat den Eindruck, es habe sich in Dunga festgefressen, dass er ständig mit den Künstlern verglichen wurde, mit den großen Mittelfeldspielern der Achtziger wie Cerezo, Falcao.

Elber: Ja, weil es auch auf das heutige Team projiziert wird. Viele sagen in Brasilien, dass nun die Nationalelf so spielen wird wie Dunga früher. Aber wenn man zu schön spielt, gewinnt man nichts.

SZ: Einspruch: Spaniens Nationalelf und der FC Barcelona sind doch gerade Beispiele, dass es doch geht.

Elber: Aber in diesem Jahr hat Barcelona (außer der spanischen Meisterschaft/d. Red.) nichts gewonnen. Aber ja: Vielleicht schafft Spanien es diesmal, sie spielen wirklich Traumfußball.

SZ: Wird das hier eine afrikanische, eine südamerikanische oder eher eine europäische WM?

Elber: Ich glaube, eher eine südamerikanische. Argentinien und Brasilien sind gute Mannschaften. Spanien schafft es bis ins Finale. An Deutschland glaube ich nicht. Das Viertelfinale müssen sie schaffen. Aber mehr traue ich den Deutschen nicht zu. Mein Geheimfavorit? Holland.

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