WM 2010: Deutschland:Der Geist von Malmö

Manuel Neuer, Sami Khedira, Mesut Özil: Die U21-Europameister von 2009 bilden die personelle Basis für die deutsche WM-Elf 2010. Es heißt, die "Generation Schweden" habe das Sieger-Gen.

Christof Kneer

Vor einem Jahr war Jerome Boateng auch schon im Trainingslager, mit der deutschen U21-Auswahl, am schönen Tegernsee. Es war derselbe Rhythmus wie jetzt bei der A-Elf in Südtirol, schlafen, trainieren, essen, schlafen, aber zweierlei war grundlegend anders: Es gab keine tägliche Pressekonferenz, für die sich die Nation interessierte. Und mit ihm auf demselben Trainingsplatz übte sein Halbbruder Kevin-Prince, im gleichen Hemd mit dem Bundesadler.

Training Fußball-Nationalmannschaft in Südtirol

Gemeinsam Karriere machen: Die U21-Europameister Sami Khedira, Mesut Özil und Andreas Beck (von links) üben mit Köpfchen - und zwar bei den Erwachsenen.

(Foto: dpa)

Ein Jahr später würde man Kevin-Prince Boateng eher nicht mehr empfehlen, sich auf dem DFB-Gelände in Eppan blicken zu lassen. Für ihn würden sie nicht direkt einen Empfang organisieren wie ursprünglich für die Kanzlerin, was nicht daran liegt, dass er neuerdings für Ghana antritt. Kevin-Prince Boateng war es, der im Trikot des FC Portsmouth den DFB-Kapitän Michael Ballack aus der WM trat, und man kann Jerome, den jüngeren der beiden, schon verstehen, wenn er in den Tagen von Südtirol vor Beginn eines jeden Pressegespräches klarstellt, "dass ich nicht über meinen Bruder und nicht über meine Familie sprechen werde". Er sagt, er wolle "nur Fragen zur Nationalmannschaft beantworten" - und besonders gerne spricht er über jene Nationalmannschaft, mit der er im Sommer 2009 am Tegernsee übte.

"Spielt der Kerl immer so?"

Jerome Boateng, 21, galt als führendes Mitglied jener deutschen U21-Auswahl, die vor einem Jahr in Schweden den Europameistertitel eroberte, mit einem 4:0-Finalsieg über England. Boateng hat alle Spiele bestritten, von der ersten bis zur letzten Minute, und als verbürgt gilt der Ausruf eines englischen Talentscouts, der Boateng im Vorrundenspiel gegen Spanien auskundschaftete: "Spielt der Kerl immer so?", fragte der Mann verdutzt. Als Boateng kurz darauf Schweden verließ, war er zum prägenden Innenverteidiger des Turniers geworden; inzwischen hat ihm das einen kostbaren Vertrag bei Manchester City eingebracht, wo er nach der WM anfangen wird.

Wer das U21-Turnier damals studiert hat, wird sich nicht groß wundern, wenn er diesen Boateng jetzt ein Jahr später bei der Erwachsenen-WM in Südafrika erwischt. Wundern wird sich allerdings, wer die Jubelbilder von vor einem Jahr hervorkramt. Es gibt da eines, auf dem steht Boateng neben Mesut Özil, der von Marko Marin umschlungen wird. Dahinter wuchtet der Kapitän dieser Elf, ein gewisser Sami Khedira, den Pokal in die Höhe, und hinter seinen Schultern trifft man zwei Gesichter, die jenen von Andreas Beck und Dennis Aogo täuschend ähnlich sehen. Und am Rand huscht noch der Torwart dieser Mannschaft durchs Bild, ein gewisser Manuel Neuer. "Es ist schon Wahnsinn, dass wir uns ein Jahr später alle bei der A-Mannschaft wieder treffen", sagt Jerome Boateng. "Dass zwei, drei von uns den Sprung in den WM-Kader 2010 schaffen, hätte ich vielleicht erwartet - aber so viele?"

Was Deutschland anbetrifft, so ist die WM 2010 die Fortsetzung der U21-EM mit anderen Mitteln. Im Grunde muss man auch Serdar Tasci zur "Generation Schweden" hinzurechnen, er war Stammkraft in der obersten Nachwuchsauswahl von Horst Hrubesch und verpasste das Turnier nur verletzungshalber. Kevin-Prince Boateng, der ältere Bruder, hat es übrigens nicht mehr in den Schweden-Kader geschafft. Er verletzte sich kurz vor dem Turnier, so lautete die offizielle Version. In der inoffiziellen kommt das Wort "Disziplinlosigkeit" vor.

Generation Schweden

Deutlich früher als geplant hat die Jugend nun die große Bühne betreten, und sie hat nicht vor, sie so schnell wieder zu verlassen. "Wir sind damals in Schweden zusammengesessen und haben über unsere Ziele gesprochen", sagt Jerome Boateng, "und ein paar von uns haben sich vorgenommen, es gemeinsam nach oben schaffen." In der Politik wird gerne vom "Anden-Pakt" geraunt, einer inoffiziellen Interessenvertretung von damals noch sehr jungen CDU-Politikern, die sich gegenseitige Treue schworen; womöglich wird im Sport in ein paar Jahren vom "Schweden-Pakt" berichtet werden, einer inoffiziellen Interessenvertretung von damals noch sehr jungen Fußballern.

Sie haben sich keine Treue geschworen, aber sie hätten nichts dagegen, gemeinsam Karriere zu machen. Sie wissen, dass die Gelegenheit günstig ist: Dank der groben Nachlässigkeiten in der DFB-Nachwuchsarbeit der neunziger Jahre gibt es keine 28- oder 30-Jährigen, die die Plätze blockieren. Es gibt nur die Generation Lahm & Schweinsteiger, die die gut ausgebildete Verstärkung freundlich willkommen heißt.

Ein Stück Sammer im Löw-Lager

So sind die Anfangzwanziger schon ein kleiner Machtfaktor geworden in Joachim Löws Team, mindestens drei (Torwart Neuer, Khedira, Özil), eher vier von ihnen (plus Boateng) werden in der WM-Startelf erwartet. Ein Aspekt, der diesem Kader auch ein verbandspolitisch pikantes Detail abgewinnt: Mitten im Löw-Lager steckt auf diese Weise ein Stück Sammer. Der Sportdirektor wird der mit Löw und vor allem mit Manager Oliver Bierhoff rivalisierenden Fraktion zugerechnet, manchen gilt er schon als Schattenbundestrainer.

Er kann das Patent auf die Generation Schweden für sich reklamieren, er entdeckt in ihr jene Werte, für die er steht. "Diese Mannschaft hatte das im Jugendbereich so lange vermisste Sieger-Gen", sagt Matthias Sammer, der gemeinsam mit Trainer Hrubesch hart an dieser Mentalität gearbeitet hat. Als die Mannschaft bei der U21-EM die Vorrunde überstanden hatte, kamen keinerlei Glückwünsche vom Sportdirektor. "Wir haben uns schon erst gewundert", sagt Jerome Boateng, "aber wir haben dann verstanden, was das heißen sollte: dass wir nicht zu früh zufrieden sein sollen."

Aus Reibung entsteht Wärme

Die Generation Schweden steht für die Erkenntnis, dass aus Reibung Wärme entstehen kann. Sie waren nicht von Beginn an der verschworene Schweden-Pakt, der am Ende das Finale von Malmö gewann. So gab es anfangs durchaus Spieler, die etwa die Kapitänsrolle von Sami Khedira kritisch hinterfragten, bevor der Stuttgarter sie überzeugte. Am Ende aber stand eine Elf, die "einen richtigen Geist" hatte, wie Boateng das nennt. Der Geist von Malmö muss sich jetzt zum ersten Mal bewähren, weit weg in Südafrika.

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