WM 2010: Der deutsche Angriff:Das Pfeifen im Strafraum

Trotz der Stürmertore von Podolski, Gomez und Cacau im jüngsten Testspiel gegen Ungarn bedarf das Angriffsspiel der deutschen WM-Mannschaft dringend einer Zuspitzung.

Christof Kneer

Wenn man die Welt von dieser Seite aus betrachtet, ist sie schwer in Ordnung. "Stürmer-Trio trifft beim 3:0 in Ungarn" meldet die verbandseigene Homepage des Deutschen Fußball-Bundes, und für alle, die diese Erfolgsgeschichte gerne ein bisschen ausführlicher genießen würden, empfiehlt sich ein Mausklick.

Dort finden sich alle Daten zum Fest: Lukas Podolski (5., Elfmeter), Mario Gomez (69.), Cacau (72.). Wenn die Deutschen schlau sind, kopieren sie diese Statistik 31-mal und verschicken sie großformatig und rot unterstrichen an die restlichen 31 WM-Teilnehmerländer, denen dann bestimmt der bewährte Schreck in die Glieder schießt: Hilfe, die Turniermannschaft schießt sich warm für die WM!

Wenn die anderen Länder schlau sind, werden sie die Welt aber von der anderen Seite aus betrachten. Dann würden sie die einschüchternde Statistik kühl entsorgen und sich stattdessen eine DVD des deutschen Spiels in Ungarn organisieren.

Kloses surreale Laufwege

Auf dieser DVD wäre zu erkennen, wie Podolski sein Elfmetertor zum Anlass nahm, den Rest des Spiels zu ignorieren. Es wäre zu erkennen, wie Mario Gomez vor dem 2:0 der Ball davonhüpft und wie das Tor nur fällt, weil Ungarns Torwart Kiraly sicherheitshalber auf eine torwartähnliche Bewegung verzichtet. Und es wäre zu erkennen, dass der aktuell beste deutsche Angreifer einer ist, der für die Startelf eher nicht in Frage kommt: Cacau, der Schütze des 3:0, dessen quirliger Spielstil ihn nicht unbedingt zur Solospitze qualifiziert. Und natürlich wäre auf der DVD zu erkennen, dass Miroslav Klose nicht zu erkennen ist.

Es sei "kein leichtes Unterfangen, Miroslav Klose wieder in Form zu bringen", sagte Joachim Löw unter dem Eindruck des Tests in Budapest. Dort hatte Klose den künstlerischen Wert seines Auftritts noch mal erhöht; seine Laufwege sind inzwischen so surrealistisch, dass ein Sportlehrer langsam daran verzweifeln muss. Klose grätschte links hinten, er wurde rechts am Flügel gesichtet, manchmal rutschte er hinter die offensive Mittelfeld-Dreierreihe zurück.

Es sind die rührende Versuche eines verunsicherten Spielers, sich über ganz banale Ballkontakte Sicherheit und Spielgefühl zurückzuerobern; wer aber die verletzliche Stürmerseele kennt, weiß, dass sie für ein vernünftiges Geborgenheitsgefühl etwas ganz anderes braucht: einen ganz banalen Torerfolg.

Für Klose spricht nur die Vergangenheit

So gesehen darf sich Mario Gomez auf dem Weg der Besserung fühlen, aber auch seine Art des Spiels wirkt zurzeit wenig vertrauenerweckend. Er leidet wie Klose unter dem eher mittelstürmerfeindlichen Spiel des FC Bayern, dessen Flügelartisten Robben und Ribéry dem Stilmittel Flanke skeptisch gegenüberstehen. Klose und Gomez haben einstweilen Antizipationsvermögen, Punch sowie ihre Stammplätze eingebüßt - und Löw weiß inzwischen, dass ihn dieses Thema länger beschäftigen dürfte als geplant.

Es ist Löws Politik, dass sich im Laufe eines Turniers vieles fügt, dass sich so manches Problem von selbst erledigt. Noch vertraut Löw darauf, dass speziell Klose noch rechtzeitig einfällt, dass er ein WM-Spezialist ist. Je fünf Treffer steuerte er zu den Turnieren 2002 und 2006 bei, und aus dieser verbandshistorischen Faktenlage resultiert jene zuletzt auch vom neuen Kapitän Philipp Lahm bemühte Theorie, wonach DFB-Teams bei Turnieren der Torschuss traditionell leichter fällt als anderen Nationen. "Miro hat man schon oft abgeschrieben, aber wenn es drauf ankam, war er da", sagt Löw. Aber man weiß nicht mehr so genau, ob der Bundestrainer an diesen Satz noch glaubt - oder ob es sich um Pfeifen im dunklen Strafraum handelt.

Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Dimension der Sturmkrise durchaus dramatisch ist, denn Löw führt einen Kader mit sich, der treffsicherer Angreifer noch nötiger hat als handelsübliche WM-Kader. Auch beim Spiel in Ungarn war ein für deutsche Verhältnisse erfrischend hohes Flitzeraufkommen erkennbar, aber die schönen Kombinationen von Özil, Marin, Trochowski, Kroos und Co. bedürfen dringend der Zuspitzung. Die Dribbler, Kurzpasser und Gassenspieler brauchen jemanden, der den Ball ganz banal über die Linie drückt. Dem nett aussehenden Spiel fehlt der letzte Drücker.

Zu wenig Druck von Kießling

Auch im Trainingslager in Südtirol haben die DFB-Trainer immer wieder "die mangelnde Chancenverwertung" beanstandet, selbst beim 4:0 gegen den Drittligisten FC Südtirol kamen die Kombinationen allzu oft kurz vor der Torlinie zum Erliegen. Auch der Leverkusener Stefan Kießling, der sich mit einer imponierenden Ligaquote für den Kader qualifizierte, hat bisher kaum Binnendruck im Kader erzeugt, seine Trainingsleistungen gelten intern als ausbaufähig.

Einstweilen trösten sie sich beim DFB mit jenem Testspiel, das vorige Woche unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen wurde: Da besiegte die deutsche Elf eine U-20-Auswahl von Eppan mit 24:0. Je fünf Treffer erzielten Mario Gomez und Miroslav Klose.

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