WM 2010: Deutsche Elf:Gestatten: Herr Schweinsteiger, Chef

Spätestens mit seiner Leistung beim 4:0 gegen Argentinien qualifiziert sich Bastian Schweinsteiger für den Titel "Spieler der WM". Seine Entwicklung ist nicht erstaunlich, sie lässt sich mit einem Satz erklären.

Jürgen Schmieder

Es war diese Aktion, mit der Bastian Schweinsteiger die Zuschauer in Kapstadt in Erstaunen versetzte. Gemeint ist nicht der messieske Sololauf, der in ein Zuspiel zu Arne Friedrich und damit das 3:0 für die deutsche Elf gegen Argentinien mündete. Gemeint ist auch nicht der formidabel getretene Freistoß zu Beginn des Spiels, der von Thomas Müllers Scheitel an den Fuß des argentinischen Torhüters und von dort ins Tor zum 1:0 sprang. Es war dieser Moment zu Beginn der zweiten Halbzeit, als Schweinsteiger den Ball von Lionel Messi stibitzte, die Kollegen zur Ruhe mahnte und das Spielgerät dann zu einem Mitspieler passte.

WM 2010 - Argentinien - Deutschland

Bastian Schweinsteiger am Ende eines grandiosen Sololaufes, der zum 3:0 führte.

(Foto: dpa)

Es mag im kollektiven Jubel über die begeisternde Vorstellung der deutschen Elf beim 4:0 gegen Argentinien ein wenig untergegangen sein, doch gab es in diesem Viertelfinale durchaus eine Phase, in der die Argentinier diese Partie kontrollierten, ja dominierten. In der nicht wenige Zuschauer fürchteten, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis der Ausgleich fallen würde. In dieser doch langen Phase, sie dauerte von der 35. bis zur 65. Spielminute, da brauchte die deutsche Elf einen Chef - und dieser Chef war Bastian Schweinsteiger.

"Es war ein grandioses Länderspiel von ihm, was er gearbeitet hat, wie viel er gelaufen ist, wie er die Mannschaft geführt hat, wie er das Spiel organisiert hat", sagte Joachim Löw nach dem Spiel. Freilich war auch der Bundestrainer verzückt vom Sololauf Schweinsteigers ("Besser kann man das nicht machen") und feierte den Treffer mit einer Hüpferei, die Jürgen Klopp zur Ehre gereichte - doch begeisterte sich Löw mehr über die Vorstellung seines Mittelfeldspielers in den Minuten zuvor.

Wenn ein Spiel nämlich eine Eigendynamik entwickelt und so ziemlich alles zugunsten der eigenen Elf läuft, da können viele glänzen, da braucht ein keinen Chef. Dessen Qualitäten werden sichtbar in den heiklen Momenten einer Partie.

Schweinsteiger wurde nicht nur zum "Man of the match" gekürt, spätestens seit diesem Nachmittag ist festzustellen, dass nicht Lionel Messi, nicht Wayne Rooney, nicht Cristiano Ronaldo, sondern nur noch zwei Spieler für den Titels des prägenden Akteurs bei dieser Weltmeisterschaft in Frage kommen: der stets Tore erzielende Spanier David Villa und Bastian Schweinsteiger.

Der Bayern-Spieler selbst spielte nach der Partie seine Rolle in dieser Elf herunter, wie er es seit Beginn des Turniers tut: "Man braucht einen großen Teamgeist, um unter die besten Vier zu kommen. Es macht Spaß mit dieser Mannschaft", sagte er fast lapidar. Er ist kein Anführer wie Michael Ballack, der auf dem Spielfeld dominant auftritt, abseits davon noch dominanter und seinen Kollegen schon mal deutliche Ansagen via Pressekonferenz schickt. Ohne die Qualitäten Ballacks schmälern zu wollen, so ist Schweinsteiger doch eine andere Art Führungspersönlichkeit - und zwar eine, die wie gemacht ist für diese junge Mannschaft.

Die vier Zyklen eines Fußballers

Es ist bereits viel geschrieben und erzählt worden über die Wandlung des Mittelfeldakteurs vom "Basti" zum "Bastian", vom "Schweini" zum "Chef", die Gründe dafür wurden so zahlreich genannt, dass mancher Fußballfan sie auswendig aufzählen kann. Was jedoch immer wieder erwähnt werden werden muss - und zwar so lange, bis es jeder Fußballfans auswendig aufsagen kann -, ist die Rolle des Louis van Gaal in dieser Geschichte.

WM 2010 - Argentinien - Deutschland

Der Chef freut sich: Bastian Schweinsteiger nach dem 4:0 der deutschen Elf gegen Argentinien.

(Foto: dpa)

Ein Fußballspieler durchlebt, vereinfacht ausgedrückt, während seiner Karriere vier Zyklen: Talent, Stammspieler, Führungskraft, Spielertrainer. Auf die deutsche Elf angewendet befindet sich Thomas Müller in Phase eins, Mesut Özil in Phase zwei, Bastian Schweinsteiger in Phase drei und Miroslav Klose in Phase vier - wobei bemerkenswert ist, wie ausgeglichen die Mannschaft von Joachim Löw mit Spielern aus allen Zyklen besetzt ist.

Während dieser einzelnen Zyklen braucht ein Fußballspieler wenig Unterstützung, wenig Anleitung. Er braucht sie am Ende einer Phase und beim Übergang in die nächste, also etwa zwölf Monate lang - wobei die Zeiträume freilich variieren. Die Liste jener Spieler, denen diese leitende Figur fehlte und die deshalb lange Zeit in einem Zyklus feststecken und sich womöglich nie weiterentwickeln, ist sehr lang.

Schweinsteigers Übergang vom Talent zum Stammspieler verlief nicht reibungslos. Nach der berauschenden Weltmeisterschaft 2006 hatte er Probleme, seine Form wurde gemeinhin mit "WM-Loch" umschrieben. Ihn plagte eine rätselhafte Krankheit, er saß häufig auf der Ersatzbank, Manager Uli Hoeneß behauptete gar, man habe ihm "zu viel Puderzucker in den Hintern geblasen."

Der Übergang vom Stammspieler zur Führungskraft dagegen war scheinbar spielerisch. Van Gaal erkannte, dass Schweinsteiger nicht am besten spielt, wenn er macht, was er will - sondern wenn er macht, was er kann. Er beorderte ihn ins zentrale Mittelfeld, stellte ihm den Spielertrainer Mark van Bommel zur Seite und beobachtete dann vergnügt, wie Schweinsteiger zum Chef wurde - oder wie Uli Hoeneß es formuliert: "Er war ein flippiger junger Mann, der keine Orientierung hatte im Leben. Jetzt ist er ein Mann geworden."

Manchmal, da kommt er aber doch wieder zum Vorschein, dieser flippige junge Mann. Beim Sololauf vor dem 3:0, da war auch das Talent Schweinsteigers als Dribbler wieder zu erkennen - nur, dass nicht Schweinsteiger, sondern die argentinischen Gegenspieler in diesem Moment keine Orientierung hatten. Als die ihre Anfälle von Schwindel überwunden hatten, da stand der Chef Schweinsteiger schon bei Arne Friedrich und ließ sich die Ehre erweisen.

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