WM-Auslosung in Costa do Sauípe:Schöne Bilder wahren den Schein

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Abgeschottet von der politischen Realität Brasiliens fällt an diesem Nachmittag die Entscheidung über die Gruppenspiele der Fußball-WM. Im Postkarten-Idyll am Atlantikstrand erfüllt die Fifa alle Klischees einer heilen Welt - und hofft, dass der Volkszorn draußen bleibt.

Von Peter Burghardt, Costa do Sauípe

Will einer diese bizarre Auslosung für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien wohlwollend betrachten, dann kann er sich natürlich an der Umgebung erfreuen. Costa do Sauípe liegt ungefähr 100 Kilometer nördlich von Salvador an der Küste Bahias, ein exklusiver Badeort, an dem gewöhnlich besser verdienende Menschen Urlaub machen. Man gelangt über die erstklassig ausgebaute Estrada do Coco dorthin, die Kokosstraße. Immer dem Schriftzug "Final Draw" mit dem bunten WM-Emblem hinterher.

Kultur, Staus, Gewalt und Armut bleiben zurück. Stattdessen wiegen sich grüne Palmkronen in der feuchtheißen Brise; der Strand und das türkisfarbene Meer leuchten unter der Sonne. Die Ferienanlagen, zwischen denen die Party stattfindet, sind von eher aseptischem Geschmack - ein Setting, das sicher schöne Bilder liefert. Am Donnerstagmorgen zogen zwar plötzlich Wolken auf, was die versammelten Funktionäre, Sportler, weitere Berühmtheiten und Journalisten kurz irritierte. Dann verschwand das Unwetter schnell wieder.

Noch weißer als der Sand ist nur das mehrstöckige Zelt, in dem am Freitag ab 17.45 Uhr europäischer Zeit die Lose gezogen werden. Es sieht dem einst von den Verpackungskünstlern Christo und Jeanne-Claude eingehüllten Reichstag nicht unähnlich, nur die Kuppeln fehlen. Auf der Bühne werden dann in vier Töpfen 31 von 32 Kugeln mit den Namen der qualifizierten Ländermannschaften liegen, die auf acht Vorrundengruppen verteilt werden.

Hausherr Brasilien ist mit seiner Auswahl, der seleção, für das WM-Eröffnungsspiel am 12. Juni in São Paulo gesetzt. Und wartet gespannt darauf, wer der erste Gegner sein wird. Das Schicksal in die Hand nehmen werden ehemalige Weltmeister, darunter der Deutsche Lothar Matthäus und der Franzose Zinédine Zidane. Beim Losen mitmachen darf auch der 86 Jahre alte Uruguayer Alcides Ghiggia.

Der frühere Stürmer hatte bei der brasilianischen WM 1950 im vollen Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro das kleine Uruguay zum Titel geschossen und das große Brasilien in die Verzweiflung gestürzt. Der abergläubische Brasilianer Pelé dagegen mag keine Kugeln ziehen, weil er Angst hat, dass er seiner Heimat zu unangenehme Gegner zuteilen könnte. Wobei die Fifa mit einem komplizierten Reglement dafür sorgt, dass sich die besten Teams am Anfang gar nicht begegnen können.

Hunderte Millionen Zuschauer in 193 Nationen werden sich das Spektakel ansehen, die WM-Auslosung alias Final Draw wird ein Gassenfeger. Samt Rahmenprogramm dauert die Zeremonie so lange wie ein Fußballspiel, also 90 Minuten. Anders als bei den Mittagsspielen der WM läuft in dem Saal allerdings die Klimaanlage. Im Rampenlicht der kühlen Bühne steht nun natürlich auch der Fifa-Präsident Joseph Blatter aus der Schweiz, ein kleiner Mann mit dem Habitus eines Fürsten. Unter ihm wurde der Fußball-Weltverband endgültig zum zwielichtigen Geldvermehrungsklub und tritt in Brasilien wie eine Kolonialmacht auf.

In Costa do Sauípe erfüllt die Fifa nun alle Klischees. Dabei musste sie sich ihre Traumwelt nur teilweise basteln, sie steht hier am Atlantik ansonsten schon von Natur aus - abgeschirmt von Widerständlern. Dennoch wurden für diese eineinhalb Stunden beachtliche 26,5 Millionen Reais ausgegeben, 8,2 Millionen Euro, also ungefähr 91.000 Euro pro Minute. Angesichts der TV-Einnahmen wird dies trotzdem ein Geschäft. Und einen Teil der Kosten hat die Landesregierung von Bahia bezahlt, einer der ärmsten Regionen Brasiliens.

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Ohnehin wird dieses Turnier teurer als alle bisherigen Weltmeisterschaften. Brasiliens vormaliger Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Provinzgouverneure sowie Bauherren setzten gegen alle Vernunft durch, dass in zwölf Städten gespielt wird. Dabei besitzen Austragungsorte wie Manaus, Brasília, Natal oder Cuiabá nicht mal einen Profiklub, der diese Stadien nach der WM füllt. Mindestens acht Milliarden Reais wurden allein für die neu gebauten oder renovierten Arenen verschleudert, 2,5 Milliarden Euro. Das ist mehr, als die Spielstätten in Deutschland 2006 und Südafrika 2010 zusammen gekostet haben.

Obendrein gab es auf den Baustellen bereits vier Tote. Kürzlich starben zwei Arbeiter, als ein Kran mit einem Stück Tribünendach auf das fast fertige Stadion Itaquerão von São Paulo stürzte. Und Straßen, Zuglinien oder Flughäfen sind trotz Brasiliens Aufschwung enorm im Rückstand, von Schulen oder Krankenhäusern ganz zu schweigen.

Im Juni demonstrierten Hunderttausende Brasilianer während des WM-Tests, dem Konföderationen-Pokal, gegen Geldverschwendung, Korruption und miserable Infrastruktur. Selbst viele Fußballfreunde finden, dass Nahverkehr, Bildung und Gesundheit wichtiger sind als Freistöße und Elfmeter. Auf einmal war Brasilien weniger Karneval, Samba und Fußball als vielmehr Hort einer nachdenklichen Widerstandsbewegung.

Während der WM wird der Volkszorn vermutlich wieder wachsen. Dem Losen mit Stars und Musik dürften Andersdenkende dagegen fernbleiben, dafür ist Costa do Sauípe zu abgelegen und zu geschützt. Die Schranke am Kontrollposten hebt sich nur für den, der akkreditiert ist; dahinter schlängelt sich die Zufahrt zwischen Sponsorenlogos hinab ans Ufer. Außerdem haben die Veranstalter ein Großaufgebot von Soldaten und Militärpolizisten postiert. Auch nennen die Sicherheitsexperten die Wörter "Terrorismus" und "Demonstrationen" schon mal in einem Satz, obwohl die meisten Demonstranten friedliche Bürger sind.

Ärger gab es nun auch noch wegen der hellhäutigen Fernsehmoderatoren bei der Auslosung. Zunächst waren dunkelhäutige Schauspieler nominiert, das hätte zur afrobrasilianischen Bevölkerungsmehrheit Brasiliens und vor allem des Bundesstaates Bahia gepasst. Ein Richter will sogar wegen Rassismus gegen die Fifa ermitteln. Während der Show treten immerhin ein paar einheimische Musiker auf, darunter die Rhythmusgruppe Olodum. Sie sang in einem Videoclip mit Michael Jackson einst ein anklagendes Lied, das auch heute wieder passt: "They don't care about us." Sie kümmern sich nicht um uns.

© SZ vom 06.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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