WM-Aus für Mittelfeldspieler:Reus durchlebt den Ballack-Moment

Lesezeit: 3 min

Teamkollegen versuchen dem verletzten Marco Reus wieder auf die Füße zu helfen. (Foto: AFP)

Es ist ein Schock für die deutsche Nationalmannschaft: Marco Reus hat sich das Syndesmoseband angerissen und fällt für die WM in Brasilien aus. Bundestrainer Löw nominiert umgehend Shkodran Mustafi nach. Er will damit die Defensive stärken.

Von Saskia Aleythe, Mainz

Es ist die 44. Minute, in der die Herzen der Zuschauer in Mainz einen heftigen Knacks bekommen. Ein kollektiv mieses Gefühl legt sich über die Arena, wo bis eben noch alles in WM-Stimmung war, im letzten Testspiel gegen Armenien. Nun wälzt sich Marco Reus auf dem Rasen, hält sich den Knöchel und schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. Es ist der Moment, der bloß nicht zu diesem einen Moment geraten soll, den einst Michael Ballack erlebte. Das WM-Aus kurz vor Turnierbeginn. Doch er ist es.

Es ist 2.04 Uhr in der Nacht zum Samstag, als DFB-Pressesprecher Jens Grittner über Twitter die Diagnose verschickt. "Teilriss des vorderen Syndesmosebandes oberhalb des linken Sprunggelenks", ist da zu lesen, "weitere Entscheidungen teilen wir gesondert mit". Da schien der Verband noch immer an einer Möglichkeit zu werkeln, doch nicht gleich das WM-Aus für Reus verkünden zu müssen. Die Nacht über dementsprechend auf der Homepage des DFB: Ein Spielbericht zum 6:1 gegen Armenien - die Reus-Verletzung tauchte zunächst nur am Rande auf.

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Von Saskia Aleythe, Mainz

Doch kurz vor Samstagmittag ist es dann klar. Marco Reus wird in Brasilien nicht spielen können. "Für ihn und für uns ist dies extrem bedauerlich", sagte Bundestrainer Joachim Löw. "Marco war super drauf. Er hat im Trainingslager und in den beiden Spielen gegen Kamerun und Armenien einen hervorragenden Eindruck hinterlassen, hat vor Spielfreude gesprüht. In unseren Überlegungen für Brasilien hat er eine zentrale Rolle gespielt", sagte Löw.

"Ich weiß wirklich nicht, wie ich das in Worten ausdrücken soll, was ich gerade empfinde. Ein Traum ist von einer zur anderen Sekunde geplatzt", sagte Reus der Bild am Sonntag. Der deutschen Nationalmannschaft wünschte Reus, "dass sie unser Ziele auch ohne mich erreicht."

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Für Reus rückt nun Shkodran Mustafi von Sampdoria Genua in den Kader. Der Abwehrspieler hat das Trainingslager in Südtirol absolviert, ist dann aber nicht in das 23-Mann-Aufgebot berufen worden. "Es ging uns nicht darum, Marco Reus eins zu eins zu ersetzen", erläuterte Löw. Auf den Positionen hinter der Spitze habe er mit Podolski, Schürrle, Götze, Müller, Özil, Draxler und auch Kroos "genügend Alternativen". Deswegen habe er sich für eine weitere Option für den Defensivbereich entschieden, meinte Löw.

Die Oberseite des Fußes und die Außenseite des Knöchels sollten während des Laufens normalerweise keinen Kontakt zum Boden haben. Doch bei Marco Reus' linkem Fuß war es fast genauso. In der 44. Minute wollte er Yedigaryan schräg von hinten den Ball abluchsen, verhakte sich und knickte um. Schon beim Fallen verzog Reus das Gesicht schmerzgeplagt. André Schürrle eilte herbei und strich dem sich windenden BVB-Spieler über den Nacken. "Das ist eine Katastrophe", sagte Schürrle nach dem Abpfiff, "Marco ist für uns sehr wichtig".

Nur mit Unterstützung der Mediziner schaffte es Reus wieder in die Vertikale. Er schaute so erschüttert drein, dass ihm Dr. Müller-Wohlfahrt ermutigend das Gesicht tätschelte. Die Betreuer steckten ihre Arme unter seine und brachten Reus vom Platz, das linke Bein hing abgewinkelt hinab. Und der Kopf des Dortmunders fast noch tiefer.

Es war eine Zäsur in diesem Spiel, das noch zur großen Toroffensive werden sollte, und natürlich war das Team besorgt. "In der Halbzeit habe ich gesehen, dass sein Fuß schon ein wenig geschwollen war", erklärte Löw noch am Abend im ZDF. Reus wurde umgehend zur Kernspinuntersuchung ins Krankenhaus gebracht, die Diagnose folgte wenig später.

Die Stimmung in der Kabine sei bedrückt gewesen, erzählte nach der Partie Roman Weidenfeller, "weil wir auch gemerkt haben, dass Marco schon ein Gewicht hat". Reus gehörte in den vergangenen Monaten zu der eher raren Spezies der fitten und formstarken Nationalspieler, auch wenn er nicht gerade zur besseren Chancenverwertung der deutschen Mannschaft beitrug. Seine Lust am Spiel zeigte er auch gegen Armenien, und wer will, kann in seiner Verletzung eine zwar nicht Ballack-mäßige, aber dennoch besondere Tragik erkennen: Der verhängnisvolle Zweikampf war eben dieser Spielfreude geschuldet, es war keine zwingende Aktion, sondern Fleißarbeit. Ballack war kurz vor dem Turnier in Südafrika vom Ghanaer Kevin-Prince Boateng hart gefoult worden.

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Die Genesungswünsche und Hoffnungen aus allen Mannschaftsteilen blieben vergebens. Lukas Podolski wollte "alle Daumen drücken", Reus' Vereinskamerad Henrikh Mkhitaryan aus der armenischen Elf kündigte auf Facebook sogar ein Gebet an. Mats Hummels laborierte einst selbst lange an einem lädierten Syndesmoseband - "ich bekomme immer ein schlechtes Gefühl, wenn ich so etwas sehe", sagte er. Für ihn war schnell klar: Sollte es das Syndesmoseband erwischt haben, wird es für Reus nichts mit der WM.

Das deutsche Team wird durch den Ausfall des Mittelfeldakteurs geschwächt nach Brasilien reisen. Bis zum ersten Spiel gegen Portugal ist immerhin noch ein bisschen Zeit, Schock und Ohnmacht zu vertreiben - das ist derzeit die Hochleistungsaufgabe von Joachim Löw. Die angeknacksten Herzen aber werden wohl erst später heilen.

Mit Material von dpa.

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