Wladimir Klitschko:Held oder Huhn

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Die Schwergewichtsszene braucht dringend einen großen Boxer, nach dem WM-Kampf am Samstag soll es Wladimir Klitschko sein.

Bertram Job

Klein darf diesmal gar nichts sein, darauf haben sie sich offenbar geeinigt. Klein passt ja auch nicht zum Schwergewichts-Boxen, schon gar nicht in New York. Also thronen sie hier gleich in drei Reihen vor dem Presse-Auditorium, die Preisboxer und ihre Impresarios, und sie verneigen sich vor diesem Ort, während draußen der Regen durch Manhattans Straßen peitscht.

Was haben die Leute in dieser Arena nicht schon an großen Duellen erlebt, heißt es immer wieder, und dann prasseln bedeutungsschwere Namen auf die Zuhörer herab. Rocky Marciano, Muhammad Ali, Larry Holmes, Lennox Lewis: Sind die Besten ihrer Ära hier nicht durch ihre schwersten Prüfungen gegangen?

Später wird Wladimir Klitschko mit bewegter Stimme feststellen, dass er so eine opulente, gut zweistündige Pressekonferenz in neunundvierzig Kämpfen noch nicht erlebt habe. Doch Superlative sind an dieser Stelle fast Pflicht. Es gab ja Zeiten, da wurde der Madison Square Garden an der Penn Station unwidersprochen das ,,Mekka des Boxens'' genannt.

Und an diese Zeiten will Klitschko in seinem 50. Profikampf anknüpfen, am Samstagabend (So. 4Uhr MEZ), wenn sich der Weltmeister der IBF im Schwergewicht seinem amerikanischen Herausforderer Calvin Brock stellt. In den Augen seiner Betreuer sowie der Entscheider des amerikanischen Pay-TV-Kanals HBO darf Klitschko aber nicht bloß den Titel verteidigen, den er im Frühjahr gegen Chris Byrd errungen hat. Er soll sich unbedingt auch als der einzig wahre, rechtmäßige Schwergewichts-Champion seiner Epoche erweisen. Denn im Grunde genommen brauchen sie ihn so dringend wie noch nie.

Neben ihm kommen und gehen die Titelhalter der konkurrierenden Verbände in einem so atemraubenden Tempo, dass der gemeine Fan kaum ihre Namen behalten kann. Und damit fehlt, was zuletzt Wladimirs Bruder Vitali bis zu seinem verletzungsbedingten Rücktritt zumindest im Ansatz verkörperte: Ein Mann, der eindeutig König seiner Klasse ist und zudem auch noch vorzeigbar.

Gut zwei Jahre ist es erst her, dass der Hoffnungsträger mit seiner Abbruch-Niederlage gegen Lamon Brewster die Erwartungen zum zweiten Mal enttäuschte. Doch Wladimir Klitschko ist jetzt 31 und zehn Jahre Profi, aus dem Wackelkandidat ist ein Champion geworden, dem Amerika den roten Teppich ausrollt. ,,Er ist der beste aller Titelträger'', findet sein Gegner Calvin Brock. Und Emanuel Steward, Klitschkos Trainer, bemüht bereits die ganz große Dimension. ,,Selbst Louis und Ali hätten Probleme bekommen, wenn sie auf Wladimir in seiner jetzigen Verfassung gestoßen wäre'', sagt Steward, ,,es gibt Wladimir, und es gibt die anderen.''

Ob der designierte Held wirklich schon so weit ist? Vor allem den Fernsehleuten von HBO käme es sehr gut zupass, denn ein Vakuum in der Weltspitze des Schwergewichts ist für das Geschäft die schlechteste Situation. Deshalb muss dieses Duell der ultimative Showdown sein. Der anerkannt beste Titelträger gegen den anerkannt besten Herausforderer, so HBO-Vizepräsident Kerry Davis - das ist nichts weniger als ,,der beste verfügbare Titelkampf''. Dabei winkt dem Sieger nach Einschätzung des Titelverteidigers die uneingeschränkte Anerkennung, unabhängig von seiner Nationalität. ,,Die Fans wollen einfach einen guten Champion'', glaubt Klitschko, ,,egal, wo du herkommst. Wenn du aber ein Chicken bist, bist du eben einfach ein Chicken.''

Noch aber weiß niemand, in welche Kategorie Calvin Brock gehört. Der 31-jährige Herausforderer aus Charlotte in North Carolina musste nach seiner kläglichen Pleite im Auftakt-Kampf des olympischen Turniers von Sydney zunächst über die Dörfer ziehen, um sich als Profi zu etablieren - die großen Promoter zeigten zunächst kein Interesse an ihm. Nach mehr als fünfeinhalb Jahren und 29 Siegen in 29 Kämpfen aber schob sich der studierte Wirtschaftswissenschaftler allmählich in den Mittelpunkt. Inzwischen gilt der ungeschlagene ,,Boxing Banker'' als bestes Faustpfand der amerikanischen Box-Szene, die die Kontrolle über den prestigeträchtigsten Titel längst abgegeben hat. Wenn überhaupt einer, so ist vielleicht er die von allen gesuchte große amerikanische Hoffnung. Der gottesfürchtige Profi hat ein gutes Timing für seine schnelle Rechte entwickelt und glaubt: ,,Nun ist die Zeit gekommen, um meinen Traum zu verwirklichen.''

Allerdings sieht sogar das Gros der amerikanischen Experten in dem gerade 1,88 Meter großen und eher vorsichtigen Herausforderer (Klitschko: 1,98 Meter) den klaren Außenseiter. ,,Brock ist ein legitimer Top-10-Anwärter", urteilte einer in Boxing Monthly, ,,aber als legitime Bedrohung wird er nicht gesehen''. Es ist also gut möglich, dass am Samstagabend alles eine Nummer kleiner ausfällt als zuvor inszeniert, und der vermeintliche Megafight auf normale Maßstäbe schrumpft - eine unaufgeregte freiwillige Titelverteidigung an einem aufregenden Ort.

© SZ vom 10.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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