Wintersport: Vierschanzentournee:Der Unbeeindruckte

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Thomas Morgenstern wehrt alle Angriffe ab und siegt zum Tournee-Auftakt. Das deutsche Ergebnis ist passabel - Bundestrainer Schuster muss dennoch Unpopuläres bekannt geben.

Thomas Hahn, Oberstdorf

Aus dem Nebel stach der Favorit, und als würde er an einem unsichtbaren Seil zu Tale segeln, senkte sich Thomas Morgenstern, der Olympiasieger aus Villach, tief hinab in den Hang. 138 Meter, Tagesbestweite.

Der Beste in Oberstdorf: Tournee-Favorit Thomas Morgenstern. (Foto: AFP)

Der Angriff war abgewehrt, den der Finne Matti Hautamäki aus dem Hinterhalt vorgetragen hatte, aber dieser Sieg zum Auftakt der 59. Vierschanzentournee war nicht nur deshalb eine ziemlich wertvolle Errungenschaft für Thomas Morgenstern: Mit seinem Vortrag, den auch schlechte Bedingungen nicht störten, hatte er ein Zeichen der Stärke ausgesandt an seine Konkurrenz, die an diesem Tag keineswegs nur aus der eigenen Mannschaft kam.

Hautamäkis weiter Satz auf Platz zwei vor dem Überraschungsdritten Manuel Fettner aus Innsbruck war eine Warnung fürs rot-weiß-rote Team. Auch der viermalige Olympiasieger Simon Ammann aus der Schweiz zeigte sich wehrhaft, indem er sich zurück auf Platz vier kämpfte noch vor dem Innsbrucker Tournee-Titelverteidiger Andreas Kofler, nachdem Ammann im Schwachwind des ersten Durchgangs einen größeren Rückstand nur mühsam abgewendet hatte.

Morgenstern stand über ihnen allen. "Es war heute irgendwie mein Tag", sagte der Sieger. Und immerhin ein bisschen auch der von Severin Freund aus Rastbüchl, der pünktlich zum vielbeachteten Stelldichein am Schattenberg sein bestes Weltcup-Ergebnis zeigte: Platz sechs.

Der Auftakt in Oberstdorf hat gleich anschaulich gezeigt, welch seltsame Dynamik die Tournee entwickeln kann mit ihrem K.o.-Modus und ihrer außergewöhnlichen Anziehungskraft für Medien und Menschen. Denn sie hat wieder ein paar prominente Verlierer hervorgebracht an einem verwaschenen Wintertag im Allgäu, an dem sich der Wind im ersten Durchgang dadurch bemerkbar machte, dass er irgendwann seine Kraft verlor.

Damit kam mancher Favorit nicht zurecht, Polens Olympia-Zweiter Adam Malysz zum Beispiel, der sich nach seiner Duell-Niederlage gegen Morgenstern mit 115 Metern als einer der besten Verlierer nur knapp im Wettbewerb halten konnte (am Ende war er Elfter). Oder der junge Finne Ville Larinto, der als Weltcup-Vierter in die Tournee gestartet war: Er bekam so wenig Luft unter seine Ski, dass er den zweiten Durchgang gar nicht mehr sah (112,5 Meter). Für ihn ist die Tournee schon verloren.

Und auch der deutsche Bundestrainer Werner Schuster hat die Tücken der Tournee gespürt, er musste dazu nicht einmal das Auftaktspringen abwarten. Seine Leute hatten sich am verschneiten Dienstag eine gelungene Qualifikation geleistet, was ihnen gleich einen so heftigen Beifall einbrachte, dass Chefcoach Schuster ein bisschen dämpfend eingreifen musste.

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Schuster wollte das Prolog-Ergebnis nicht herunterspielen, aber eben auch nicht zu weit herauf. Kein Zuschauer sollte sich Illusionen machen, elf Deutsche beim Auftaktspringen in Oberstdorf machen noch keinen Jubelwinter. Schuster sagte im ZDF: "Man kann hier nicht die Skisprungwelt auf den Kopf stellen."

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Und er dämpfte auch die kleine neue Martin-Schmitt-Begeisterung, die der frühere Weltmeister durch seinen sechsten Platz im Prolog und vorzeigbare Trainingssprünge entfacht hatte. Schuster bedauerte. "Ich muss was Unpopuläres sagen: Der Martin ist noch nicht so weit, dass er ganz vorne reinspringen kann."

Niemand aus Schusters Team ist schon so weit, dass er ganz vorne reinspringen kann, das haben auch die Gutgläubigsten lernen müssen im Nebel von Oberstdorf. Die Teamleistung stimmte wieder, wenn man sie ins Verhältnis zu dem setzte, was die Deutschen in diesem Winter auch schon geboten haben. Acht unter den besten 30, das war nicht schlecht, von den Führungskräften überzeugte nicht nur Severin Freund ("Ich freue mich unglaublich") mit seinem siegähnlichen sechsten Rang, sondern auch Michael Neumayer auf Platz acht sowie der Teenager Richard Freitag auf Platz 13.

Aber Enttäuschungen blieben nicht aus. Pascal Bodmer, der 19-jährige Emporkömmling der vergangenen Saison, zeigte einen steilen Ausschlag nach unten: 110 Meter. Vorzeitiges Aus. Und Schmitt vermasselte sich die Tagesbilanz durch einen Absprungfehler bei schlechten Windbedingungen im ersten Durchgang. "Was wollen Sie reparieren, wenn Sie zwei Meter flacher sind", sagte er ohnmächtig, ehe er sich im zweiten Durchgang noch auf Rang 18 rettete.

Die Liga der Besten ist eben noch ein Stückchen weg. Das gepriesene Team Austria ist zwar nicht unfehlbar, das zeigte sich im zweiten Durchgang, als es seine Vierfach-Führung zur Pause mit Morgenstern, Kofler, Fettner und Wolfgang Loitzl nicht halten konnte. Aber was machte das schon: Mit fünf Leuten unter den ersten Zehn zeigte es eine erdrückende Stärke, außerdem stellte es einen Tagessieger, der vom ersten bis zum letzten Moment des Wettkampfes keinen Zweifel an seiner Dominanz ließ.

Auch Hautamäkis Form erweist sich als stabil, nach einem Saisonstart, der dem 29-jährigen Finnen so ausgeglichen geriet wie seit Jahren nicht mehr. Und Simon Ammann fiel mit großer Nervenstärke auf. Im ersten Durchgang tastete er sich mit Mühe hinunter auf mäßige 123 Meter und wirkte als Neunter schon wie ein früher Tournee-Verlierer. Aber mit seinem Konter auf 134,5 Meter hielt er sich im Spiel um die Tournee-Krone, auf die Thomas Morgenstern der erste Favorit bleibt. Aber nicht der einzige.

© SZ vom 30.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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