Wintersport:Einsamkeit der Langläuferin

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Bob-Pilot Friedrich gewinnt, die Biathleten laufen aufs Podest - und der Wintersport wird von Pannen heimgesucht.

Rodel mit Übergewicht

Neulich wurde Rodel-Olympiasieger Felix Loch eine Ähnlichkeit mit dem FC Bayern bescheinigt. Loch stimmte zu, denn er ist in seiner Sparte ähnlich ehrgeizig, ähnlich souverän und er hat das gleiche Luxusproblem wie der FC Bayern: Er kann sich nur selbst schlagen. Womöglich übertrifft der Rodler den Fußballklub in dieser Disziplin sogar noch. Denn er ist Wintersportler, da geht es nicht nur um Fitness und Fokussierung, sondern auch um das zulässige Material. Wintersport-Cracks schlagen sich öfter mal selbst, und so war der Auftritt des Rodel-Favoriten Loch beim ersten Weltcup in Innsbruck auch stellvertretend für diesen von Überraschungen geprägten Wintersport-Auftakt zwischen Südtirol, Sachsen, Finnland und Mittelschweden.

Rodler Loch setzte sich erst in Lauf eins an die Spitze, dann wurde er aus dem Klassement genommen, weil sein Rodel das zulässige Gesamtgewicht überschritt. Irgendein Techniker hatte beim Wiegen nicht aufgepasst, Bundestrainer Norbert Loch sagte: "Menschliche Fehler passieren." Das galt auch für die andere Spitzenkraft im deutschen Rodeln, Olympiasiegerin und Weltmeisterin Natalie Geisenberger. Sie patzte in der Eisrinne und landete nur auf Platz zwei hinter Teamkollegin Dajana Eitberger aus Ilmenau. Die 24-Jährige ist eigentlich erst noch dabei, Erfahrung zu sammeln. Doch geht es mit dem Selbst-Besiegen im Rodeln so weiter, könnte die Saison spannend werden.

Patrone vergessen

Nach der Männer-, der Frauen- und der Mixed-Staffel hat der Biathlon-Weltverband jetzt eine weitere Form des Teamwettkampfs kreiert. Der verwirrende Begriff Single-Mixed-Staffel bezeichnet zwei Singles, also zwei einzelne Sportler (was sonst), die abwechselnd vier Mal eine verkürzte Sprintstrecke absolvieren. Es handelt sich dabei um je eine Frau und einen Mann (also ein Mixed), und wie es bei neuen Biathlonformaten oft ist, laufen und schießen zur Formfindung meist unerfahrene Kräfte - oder ältere, die es noch mal wissen wollen. Wegen der vielen Wechsel und Schießpausen, die das neue Rennen zerhacken, kann man leicht die Übersicht verlieren, wie beim Weltcupauftakt in Östersund der sehr erfahrene Franzose Simon Fourcade. Er ließ beim Schießen Nummer vier versehentlich eine Patrone im Magazin und eine Scheibe stehen. Die Jury bemerkte das erst, als seine Kollegin Marie Dorin schon wieder in der Spur war, eine uneinholbare Führung herauslief und noch einmal auf Fourcade übergab. Der brachte sein Single-Mixed-Team als Erster ins Ziel, das wegen vier Strafminuten dann auf Platz 21 versetzt wurde.

Zurück in die Loipe: Norwegens Favoritin Heidi Weng nimmt nach ihrem Lapsus beim Verfolgungsrennen in Kuusamo das Rennen wieder auf. (Foto: imago)

Für die Deutschen behielten die Winterbergerin Maren Hammerschmidt und der Staffel-Silber-Gewinner von Sotschi, Daniel Böhm, den Überblick über den Einsatz von Stöcken, Munition und Warmhalte-Kleidung. Sie kamen hinter Norwegen und Kanada auf den dritten Platz, und zwar ohne Zwischenfälle. Anders die Teamkollegen Franziska Hildebrand, Vanessa Hinz, Benedikt Doll und Simon Schempp bei ihrer Fahrt auf den zweiten Platz der herkömmlichen Mixed-Staffel. Sie präsentierten sich in ordentlicher Frühform, die womöglich noch mehr ermöglicht hätte als Platz zwei, hätte Hildebrand beim Wechsel nicht drei Läuferinnen einschließlich Kollegin Hinz stürzend abgegrätscht. Dass Simon Schempp nach dem Liegendschießen knapp zehn Sekunden lang seine Brille suchte, die er sich beim Gewehrschultern selbst von der Stirn gewischt hatte, tat da schon nichts mehr zur Sache.

Bobs wieder aufrecht

Der Bobsport ist die vermutlich materialabhängigste Wettkampfform des Winters, und was im Bob alles passieren kann, hatten besonders die deutschen Fahrer in den zurückliegenden Monaten vorgeführt. Bei Olympia in Sotschi verloren sie in einem noch nicht wettkampfreifen Zweier-Bob, den sie irgendwann "Trabi" nannten. Vergangene Saison debütierte der Oberbärenburger Nico Walther im Weltcup mit einem Sturz in der ersten Kurve, rutschte die Hälfte der Strecke seitwärts hinab, bis ihn die Kurvenkräfte wieder aufstellten und er zwar chancenlos aber wenigstens aufrecht ankam. Daran erinnerte sich nun mancher im Oktober, als sich Martin Grothkopp, der wohl wichtigste Anschieber in Francesco Friedrichs Vierer-Schlitten, beim Einstieg verhedderte und einen komplizierten Kreuzbandriss davontrug. Er fällt für die Saison aus, bis Januar zusätzlich noch Candy Bauer. Nun schiebt also eine Notbesetzung Friedrichs Bob an, darunter Martin Putze, der Anschieber aus einem Kollegenteam. Das schnelle, synchrone Einschlichten von vier stämmigen Körpern nach dem Start musste also neu einstudiert werden.

Doch alle Befürchtungen, der deutsche Top-Pilot Friedrich sei schon vor dem Saisonstart abgehängt, erwiesen sich als verfrüht. Die Vier schoben am Sonntag in Altenberg vorzügliche Startzeiten und bewältigten auch die anspruchsvollen Bedingungen in der Eisrinne am besten. Wegen Dauerschneefalls im Erzgebirge war die Bahn zwischendurch sehr seifig, was letztlich zu einem deutschen Podium führte, der aber auch nicht überbewertet werden darf. Spitzen-Piloten wie Oskars Melbardis (Lettland) und Steven Holcomb (USA) waren zum Beispiel schon nach dem ersten Durchgang abgeschlagen. Für die Teams von Bundestrainer Christoph Langen, die ja schon im Februar wieder WM-Medaillen geholt und mit Friedrichs Zweierbob-Sieg am Samstag einen weiteren Erfolg hatten, darf die schwere Zeit des Trabis jedenfalls endgültig als abgehakt gelten.

Auch das Hinsetzen klappt schon perfekt: Francesco Friedrich und seine drei Anschieber beim Start. (Foto: Jens Meyer/AP)

Sturm über der Schanze

Nicht zu schwer, sondern eine Idee zu leicht war Skispringer Severin Freund im Februar in Titisee-Neustadt - und deshalb disqualifiziert worden. Freund gewann später noch zwei WM-Titel und gilt auch jetzt wieder als Favorit. In Kuusamo hätten er und die anderen Favoriten Richard Freitag, Andreas Wellinger, Peter Prevc (Slowenien), Stefan Kraft (Österreich) und einige starke Norweger die Leistungen vom ersten Weltcup gerne wiederholt. Aber das Skispringen spielt sich zum Großteil in der Luft ab, und in Kuusamo/Finnland war diese derart in Bewegung, dass beide Springen abgesagt wurden. Der Wind absolvierte Glanzleistungen von bis zu 100 Stundenkilometern. Gemeinsam mit dem Regen, der die Anlaufspur bearbeitete, erzielte der Sturm ein Resultat von 300 000 Euro Ausfallschaden. Skispringer und Kombinierer flogen nach zwei Tagen genervten Wartens (DSV-Springer Marinus Kraus: "Gemurkse!")

nach Hause, der Weltverband stellte den Standort Kuusamo in Frage. Es war der Höhepunkt der Pannen an diesem Wochenende. Dieses Versehen wird wohl auf lange Zeit die Königin aller Pannen darstellen, mehr noch, ein Verhängnis, das auch nachdenklich stimmt, sodass es vielleicht schon über allen Peinlichkeiten steht. Denn wer in Heidi Wengs weit aufgerissene Augen blickte, während sie als vermutlich einsamste Sportlerin der Welt im Schnee saß, betrachtet von den Zuschauern und den Betreuern, die sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlugen, der muss schon ein abgehärtetes Herz haben, um über die Norwegerin zu lachen. Sie hatte ja nur einen kleinen Fehler begangen, hatte beim letzten Anstieg vor dem Ziel wohl eine falsche "Vier" statt der korrekten "Drei" im Kopf. Die vierte von vier Runden war vorbei, hatte sie gedacht, da war sie an allen Konkurrentinnen vorbei gesprintet, dann fälschlicherweise in die Zielgerade eingebogen, hatte in ihrem inneren Tunnel alle Stopp!- und Nein!-Rufe überhört und sich wie üblich völlig verausgabt in den Schnee fallen lassen. Dann schaute sie sich irgendwann nach den Geschlagenen um.

Aber niemand war da. Heidi Weng richtete sich auf, stolperte zurück in die Spur, brachte ihren Körper noch mal auf Touren, wurde am Ende noch Neunte und verließ das Skistadion von Kuusamo unter Tränen. Aber sie zählt zum dominierenden norwegischen Team und wird schon bald wieder gewinnen. Nur, an diesem ersten Wintersportwochenende der neuen Saison hatte ihr Bild alles in den Schatten gestellt: die Siegerin Therese Johaug, die recht gut platzierten Deutschen, die vier Langläuferinnen unter die besten 30 brachten, und alle Gewichtsüberschreitungen, vergessenen Patronen und verrutschten Brillen.

© SZ vom 30.11.2015 / Volker Kreisl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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