Wintersport:Die letzten Lines

Wintersport: Olympiasiegerin 1998 in der Halfpipe: Nicola Thost.

Olympiasiegerin 1998 in der Halfpipe: Nicola Thost.

(Foto: Dom Daher/Freeride World Tour)

Nicola Thost ist bis heute die erfolgreichste deutsche Halfpipe-Snowboarderin, nun beendet die Olympiasiegerin von 1998 überraschend ihre Karriere - bei den Freeridern. Sie wird dem Sport aber auch weiterhin erhalten bleiben. Sie veranstaltet inzwischen ihre eigenen Events.

Von Anke Eberhardt

Dort, wo alles begann, nahm die Karriere der Snowboarderin Nicola Thost dann auch ihr Ende. Im österreichischen Fieberbrunn nämlich, wo Thost vor 20 Jahren ihren ersten Weltcup in der Halfpipe gewonnen hatte. Und wo sie am vergangenen Dienstag überraschend beschloss, ihre zweite Laufbahn stillzulegen, bei den Freeridern, denen sie sich vor zwei Jahren angeschlossen hatte. Obwohl sie sich als Vierte der Gesamtwertung für den nächsten Stopp der Freeride World Tour qualifiziert hätte. "Man sollte aufhören, wenn es nicht mehr besser werden kann", sagt die 39-Jährige. So, wie sie es schon immer gehalten hatte in ihrer Karriere als Snowboard-Pionierin, in Deutschland und darüber hinaus.

Wenn Thost über ihre Anfänge in den Neunzigerjahren der Halfpipe redet, ist das ehrliche Freude. "Ich habe Halfpipefahren geliebt", erinnert sie sich. "Ich bin stundenlang immer wieder die Pipe hochgelaufen, aber nicht, weil mich jemand bezahlt hat, sondern aus reiner Leidenschaft." Diese Leidenschaft brachte ihr die erste olympische Goldmedaille im Snowboarden ein, die 1998 in Nagano verliehen wurde, der Sport war gerade in die olympische Wintersportfamilie aufgenommen worden. An Thosts Namen baumelte fortan ein mächtiges Etikett: deutsche Snowboard-Legende. Was aber auch schon deshalb stimmte, weil bis heute kein deutscher Snowboarder eine olympische Freestyle-Medaille gewonnen hat. Und weil Thost, nachdem sie 2003 ihre erste Karriere verletzungsbedingt beendet hatte, noch bei Wettkämpfen mitfuhr, nur zum Spaß - und trotz wesentlich jüngerer Konkurrenz respektable Plätze einnahm: 2009 Rang acht bei den renommierten European Open in Laax, 2012 gewann sie die deutschen Meisterschaften. Seit vorletzter Saison fuhr sie dann nicht mehr durch präparierte Pipes, sondern durch den Tiefschnee. Thost startete bei der Freeride World Tour, der größten internationalen Wettkampfserie, die abseits der Pisten im alpinen Gelände stattfindet.

Der Weg ist nicht neu. Viele Freestyle-Snowboarder, die sich in jungen Jahren in die Halfpipes werfen, landen als ältere Semester beim Freeriden. Und das wortwörtlich: aufgrund der Landungen. Thost konnte nach ihrer Knieverletzung den Aufprall auf hartem Schnee nicht mehr wegstecken. Tiefschnee hingegen ist weich, und im Gelände war Thost ohnehin schon immer unterwegs, neben den Wettkämpfen. Als sie vor vier Jahren zu einem Freeride-Contest eingeladen wurde, machte sie einfach mit. "Ich laufe eh auf Berge hoch und fahre anschließend meine Lines runter", sagt Thost, "warum das nicht auch bei einem Event machen?" Dass manch einer Wettkämpfe abseits der Pisten als Widerspruch sieht, weil es im Freeriden gerade um die Distanz zu Schirmbars und Sponsorenbannern geht, sieht Thost entspannt. "Ich kann zu Hause für mich allein Gitarre spielen oder ein Konzert vor vielen Menschen geben. Das ist auch nicht das Gleiche und trotzdem liebt man die Musik."

Im Gegensatz zu einem präparierten Parcours wählen die Freerider ihre Abfahrt selbst. Sie müssen entscheiden, welchen Weg sie durch steile Rinnen, über Felsen und an Bäumen vorbei nehmen. Trainingsläufe gibt es nicht, der Schnee auf den Hängen soll ja unverspurt sein. Der Berg wird also einen Monat vor dem Event gesperrt. Wie hoch ein Sprung über einen Felsen sein könnte, ob die Landung darunter steil genug ist, wo man auf Geschwindigkeit achten muss - all das können die Fahrer nur durchs Fernglas erahnen. Und später, beim Lauf, ist die Perspektive eine ganz andere. "Auch ein Pipe-Run ist nicht ungefährlich, aber das hier ist eine andere Art von Gefahr. Nämlich die der Natur", sagt Thost. "Da stehst du morgens um sieben auf dem Berg, bist noch keinen einzigen Schwung gefahren und sollst nicht nur deine gewählte Line finden, sondern auch noch Vollgas fahren, ohne kurz anzuhalten, um sich zu orientieren. Das kann man nicht in einer Skihalle trainieren, dafür braucht es viel Erfahrung." Die meisten Starterfelder sind im Durchschnitt älter als bei den Freestyle-Events.

Thost betreibt längst ihr eigenes Snowboard-Nachwuchsprogramm

Schneearme Winter, wie in den vergangenen Jahren, erschweren die Bedingungen zusätzlich. Unter einer dünnen Schneedecke ist die Gefahr größer, auf versteckte Steine zu prallen, der scheinbar unberührte Hang ist in der Realität oft mit windverblasenem oder gepresstem Schnee überzogen. Schneit es heftig, steigt die Lawinengefahr. Den Fahrern steckt auch immer noch der Schreck in den Knochen, dass in der vergangenen Saison zwei Skifahrerinnen aus ihrem Starterfeld tödlich in Lawinen verunglückten: die Schwedin Matilda Rapaport und die zweimalige Weltmeisterin Estelle Balet aus der Schweiz. Auch wenn die Unfälle nicht während eines Tourstopps passierten.

Obwohl Thost den Wechsel in die neue Disziplin, die neue Karriere erfolgreich geschafft hatte, verabschiedete sie sich nun also überraschend von der Freeride-Tour. Sie wird dem Sport aber auch weiterhin erhalten bleiben. Sie veranstaltet inzwischen ihre eigenen Events, seit 2010 betreibt sie das Talentförderprogramm "Sprungbrett", für den Snowboard-Nachwuchs. Sie wird schon auch noch weiterfahren, als Privatier gewissermaßen. Sowohl in der Pipe als auch im Powder. "Snowboarden", sagt Nicola Thost, "ist und bleibt mein liebster Sport".

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