Wimbledon:Wie Federer über den Platz schwebt

Der Schweizer malt mit seinem Schläger Gemälde, die Rückhand ist wuchtig wie nie zuvor - und den Aufschlag spielt er lahm, aber variantenreich. Roger Federer bei seinem achten Wimbledon-Sieg in der Einzelkritik.

Von Matthias Schmid, London

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Vorhand

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Quelle: AFP

Sein Paradeschlag, Federer könnte die Vorhand auch mit verbundenen Augen ins Feld spielen. Er vermag Geschwindigkeit und Präzision hier wie kein anderer Spieler in Einklang zu bringen, seine Vorhandschläge sind Peitschenhiebe, sie schlagen beim Gegner ein wie Blitze. Im Endspiel gegen Cilic spielte er die Vorhand allerdings mit mehr Vorwärtsdrall als sonst, um den 1,98 Meter langen Kroaten zu beschäftigen und ihm keine Möglichkeit zu geben, flach und hart zu schlagen.

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Rückhand

Tennis Wimbledon

Quelle: dpa

Sein Schwachpunkt? Vielleicht vor ein paar Jahren noch, als er immer dann, wenn er sich nicht wohlfühlte, die Drive- oder die Topspin-Rückhand nicht sauber oder häufig mit dem Rahmen traf. In diesem Jahr nimmt er den Ball früher, meistens schon im Aufsteigen, er spielt die Rückhand so wuchtig wie selten zuvor in seiner Karriere. Und in Kombination mit dem Rückhandslice, also wenn er dem Ball einen Rückwärts- beziehungsweise Seitdrall gibt, gehört sie auf Rasen zu den besten Schlägen auf der Tour. Federer hat sein ohnehin feines und reichhaltiges Repertoire noch einmal angehoben auf ein bisher nie erreichtes Niveau.

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Aufschlag

Day Thirteen: The Championships - Wimbledon 2017

Quelle: Getty Images

In der ersten Runde von Wimbledon übertraf er erst als dritter Spieler in der ATP-Historie die 10 000er-Marke bei der Zahl der Asse. Es geht immer ein wenig unter, dass Federer einer der besten Aufschläger auf der Tour ist, weil er kein Haudrauf-Aufschläger ist. Er spielt ihn nicht besonders schnell, aber er vermag den Ball wie kaum einer zu platzieren und zu variieren. Wie ein Messerwerfer. Im Finale schlug er manchmal mit nur knapp 140 Kilometern pro Stunde auf, beim ersten Aufschlag wohlgemerkt. Mit viel Kick auf Cilic' Rückhand, damit dieser den Ball in Schulterhöhe annehmen musste, oder mit Slice nach außen, um ihn aus dem Feld zu treiben. Ein probates Mittel gegen Spieler, die die Bälle so schnell beschleunigen können.

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Volley

Day Thirteen: The Championships - Wimbledon 2017

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Es ist eigentlich schade, dass Federer so wenig von seinen Flugbällen im Spiel zeigt. Er müsste viel häufiger nach dem Aufschlag ans Netz vorrücken. Er bringt alles mit, was einen exzellenter Serve-and-Volley-Spieler auf Rasen ausmacht. Im Endspiel deutete er zumindest ein ums andere Mal an, dass er auch diese leider fast ausgestorbene Kunstform beherrscht. Einmal rannte er nach einem Aufschlag nach vorne und ließ den Ball ins gegnerische Aufschlagfeld abtropfen - dieser Spielzug gehört zu den schwierigsten im Tennis.

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Beinarbeit

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Quelle: AP

Federer gehört weder zu den schnellsten noch zu den wendigsten Spielern auf der Tour, und doch hat er eine Beinarbeit, die seinesgleichen sucht. Im Tennis ist beim Schlagen vor allem der Abstand zum Ball entscheidend, das Gleichgewicht, um den Ball exakt vor dem Körper treffen zu können. Federer steht meistens richtig, weil er viele Bälle seiner Gegner schon vorher antizipieren kann.

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Kopf

Day Thirteen: The Championships - Wimbledon 2017

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Im Endspiel gegen Cilic war auch Federer zunächst nervös, angespannt. Viele erste Aufschläge landeten in den ersten Spielen im Aus oder im Netz. Erst nach dem Break zum 3:2 hatte er sich freigespielt. Einmal in Führung liegend ist er kaum noch aufzuhalten, weil er dann seinen Spieltrieb ausleben kann, seine kindliche Freude am Spiel. Das hält ihn frisch im Kopf, damit er auch noch mit fast 36 Jahren Wimbledon gewinnen kann.

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Taktik

Day Thirteen: The Championships - Wimbledon 2017

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Im vergangenen Jahr waren sich Federer und Cilic in Wimbledon schon im Viertelfinale begegnet, nur ein Ball war der Kroate vom Sieg entfernt. Drei Matchbälle und eine 2:0-Satzführung reichten ihm aber nicht zum Sieg. Federer plagten damals Knie- und Rückenprobleme, er konnte sich kaum auf Vor- oder die Rückhand konzentrieren. Das war diesmal ganz anderes. Er konnte seinen Matchplan voll durchziehen, er spielte genau so, wie Cilic es nicht mag. Der nimmt am liebsten das Tempo seiner Gegner mit, um wuchtig zu schlagen. Federer trieb seinen Gegner mit seinem variablen Stil früh in die Resignation, er spielte mal Slice, mal schnell, mal mit Spin. Federer verwandelt den Tennisplatz gerne in ein Schachfeld.

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Ästhetik

Day Thirteen: The Championships - Wimbledon 2017

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Federer beim Tennisspielen zuzusehen, sei eine religiöse Erfahrung, hat der leider viel zu früh verstorbene amerikanische Schriftsteller David Wallace Foster einmal treffend festgehalten. Sportler und Künstler aus aller Welt bewundern Federer für seine Eleganz, seine Grazie und seinen Anmut. Er scheint über den Platz zu schweben, alles sieht so einfach und leicht aus, jeder Schlag ist ein ästhetischer Genuss, ein Kunstwerk, er malt mit dem Schläger Gemälde, die in jedes bedeutende Museum dieser Welt gehören. Auch im Endspiel waren diese Momente zu erleben, leider viel zu selten, weil Cilic nicht auf der Höhe seiner Schaffenskraft war. Aber viele würden sogar Eintritt dafür bezahlen, um Federer beim Bälle Aufsammeln zuschauen zu dürfen.

© Sz.de/schm/sonn
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