Wimbledon:Fahndung nach dem neuen Agassi

Wimbledon: Spielt gegen Marin Cilic um den Finaleinzug in Wimbledon: US-Profi Sam Querrey.

Spielt gegen Marin Cilic um den Finaleinzug in Wimbledon: US-Profi Sam Querrey.

(Foto: AFP)
  • Sam Querrey aus den USA spielt an diesem Freitag gegen Marin Cilic um den Final-Einzug in Wimbledon.
  • Letztmals stand 2009 mit Andy Roddick ein männlicher US-Spieler im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers.
  • Ex-Profis wie Pete Sampras wirken angesichts dieser Bilanz ratlos.

Von Matthias Schmid, London

Das Match ist gerade vorbei, Patrick McEnroe steht im Schatten des Courts Zwei in Wimbledon, da überreicht er seiner Tochter zwei Schläger. Sie solle sie halten, bittet er, aber die elfjährige Victoria kommt dem nur widerwillig nach. "Du hast gerade den Match-Tiebreak verloren", tadelt sie ihren Vater. Und es stimmt ja: Beim Einladungsturnier früherer Größen hat McEnroe den Match-Tiebreak mit seinem Partner Jeff Tarango gegen Henri Leconte/Cedric Pioline verloren. Und man könnte sagen: auch das noch.

Das amerikanische Männertennis hat keine einfachen Jahre hinter sich, und die Erfolge der Williams-Schwestern degradierten es fast zur Bedeutungslosigkeit. Der letzte Sieg bei einem der vier wichtigsten Tennisturniere der Welt liegt lange zurück. 2003 war das, als Andy Roddick die US Open gewann. Der letzte Finaleinzug in einem Grand-Slam-Turnier ist auch schon acht Jahre her. In diesem Jahr schreibt Sam Querrey immerhin mal wieder positive Schlagzeilen, in Wimbledon zog er ins Halbfinale ein, nach dem überraschenden Sieg gegen den Weltranglistenersten Andy Murray. Dort trifft Querrey an diesem Freitag auf den Kroaten Marin Cilic.

Er hoffe, sagt der 29-Jährige, "dass mein Erfolg dem amerikanischen Tennis, einen kleinen Aufschwung bringen kann." Er weiß selbst um die Bilanz, aber nach seinem Sieg gegen Murray sagte er auch: "Das amerikanische Tennis ist nicht so schlecht, wie es gemacht wird." Es gebe gute Jungs, mit ihm stehen ja drei Spieler unter den Top 30. Andererseits: Der beste ist Jack Sock auf Rang 18. Einen Spieler in den Top Ten sucht man seit einigen Jahren aber schon vergeblich, Mardy Fish war 2011 der letzte US-Profi, der das Jahr in den Top Ten beenden konnte.

"Es gehört auch Glück dazu"

Wo also sind die Nachfolger von Spielern wie John McEnroe, Jimmy Connors, Pete Sampras, Jim Courier und Andre Agassi, die das Welttennis jahrelang geprägt und die Zuschauer unterhalten haben? Woran liegt es, dass die einst so erfolgreiche Tennisnation so lange auf einen Spieler hat warten müssen, der zumindest um einen Finaleinzug spielen darf?

Patrick McEnroe, einst ein Weltklassespieler im Einzel und Doppel, will gar nicht tiefer nach Gründen suchen, "sonst würden wir einen Tag lang hier sitzen". Der 51-Jährige versucht, die erfolglosen Jahre mit Wellenbewegungen zu erklären, die typisch im Tennis seien. "Wo sind die Grand-Slam-Sieger nach Becker und Stich in Deutschland?", fragt er, "wo in Schweden?" Auch die Schweizer würden so schnell keine Spieler nach Roger Federer und Stan Wawrinka mehr finden, die Majors gewinnen. "Es ist ganz normal, dass so etwas passiert", sagt McEnroe, "es gehört auch Glück dazu, Spieler für das allerhöchste Niveau zu entwickeln."

Diesen Erklärungsansatz finden einige frühere Spieler allerdings zu simpel. Pete Sampras, der letzte amerikanische Sieger in Wimbledon vor siebzehn Jahren, hat im Interview mit dem Tennis Magazin für den Zustand des amerikanischen Tennis einmal drastischere Worte gefunden. "Wir Amerikaner wurden überholt vom Rest der Welt", sagte der siebenmalige Wimbledonsieger. "Ich glaube, dass wir Amerikaner meilenweit zurückliegen, und ich weiß keine Antwort darauf."

Die Amerikaner bauen sich in Orlando ein neues Silicon Valley

Martina Navratilova kritisiert das Training vieler Nachwuchsspieler. Es sei zu einseitig und vor allem auf die Grundschläge ausgelegt. Navratilova, die neunmal an der Church Road gewinnen konnte, wunderte sich über die Trainingsinhalte begabter Spieler. "Mir hat neulich einer erzählt, dass er kaum Flugbälle trainieren würde, das kann doch nicht wahr sein", sagt die 60-Jährige. Sie klingt ziemlich erregt. Jim Courier muss von Amtswegen zurückhaltender sein, der viermalige Grand-Slam-Turniersieger trainiert das amerikanische Davis-Cup-Team, er gibt aber zumindest zu, dass nicht alle Spieler "aus ihrem Talent alles herausgeholt hätten".

Das soll sich künftig ändern, alles soll anders werden, besser. "Im Tennis-Himmel" sollen die US-Talente wieder ankommen, so hat Katrina Adams das neue Nachwuchsleistungszentrum in Orlando/Florida getauft. Sie ist die Präsidentin des amerikanischen Tennis-Verbandes Usta, zu Beginn des Jahres ist das Projekt fertiggestellt worden. Auf mehr als 4000 Quadratmeter hat der US-Verband für 63 Millionen Dollar 100 Tennisplätze bauen lassen, Hartplätze, Sandplätze mit grünem und rotem Sand, der sogar eigens aus Italien importiert worden ist. Es gibt Schlafräume, Fitness- und Gymnastikhallen. 84 der Plätze sind mit Kameras für Livestreams ausgestattet, auf 32 Courts sind die neuesten Technologien installiert worden, um Daten über die Vorhand-Geschwindigkeit und den Treffpunkt des Balles erfassen zu können.

"Der Campus sucht seinesgleichen"

Es ist ein Silicon Valley des Tennissports entstanden, ein Hochtechnologiezentrum, das künftig wieder Wimbledonsieger made in USA erschaffen soll. "Der Campus sucht seinesgleichen", hat auch der deutsche Trainer Dieter Kindlmann in Wimbledon anerkennend hervorgehoben, der hin und wieder dort mit seiner Spielerin Madison Keys trainiert.

"Es ist eine gute Investition", betont auch Patrick McEnroe, der vor zwei Jahren als Nachwuchschef aufhören musste. Zumindest hat sein Nachfolger Martin Blackman nicht alles wieder abgeschafft, was er eingeführt hatte. Er hat beibehalten, dass die Nachwuchsspieler nicht mehr auf dem Gelände wohnen müssen. Sie bekommen mehr Freiräume. Die findet auch Sam Querrey wichtig. Vielleicht kehrt der 29-Jährige bald als neuer Wimbledonsieger in die Staaten zurück. Für die Tochter von Patrick McEnroe steht das schon fest. Viktoria sagt: "Sam gewinnt das Ding, im Finale gegen Federer." Ihr Vater nickt.

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