Wimbledon:Wie ein deutscher Tennistrainer eine sture Russin umkrempelt

Wimbledon - All England Lawn Tennis & Croquet Club

6:3, 6:3: Anastassija Pawljutschenkowa besiegt locker die US-Spielerin Coco Vandeweghe.

(Foto: REUTERS)
  • Anastassija Pawljutschenkowa steht erstmals in einem Viertelfinale. In Wimbledon trifft sie auf Serena Williams.
  • Dass sie es so weit gebracht hat, verdankt sie zu großen Teilen ihrem deutschen Trainer Dieter Kindlmann, der jahrelang mit Maria Scharapowa zusammengearbeitet hat.
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Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Am Morgen schritt Dieter Kindlmann mit Pokerblick die Stufen aus dem Spielerbereich hoch. Die Chancen an diesem Super-Montag, an dem alle Achtelfinals ausgetragen werden, was es so nur in Wimbledon gibt und bei keinem anderen der vier Grand Slams? "Außenseiterin", sagte er im Vorbeigehen, schon war er weg Richtung Platz 18. Ein Show Court, immerhin, es gibt Tribünen, aber die Großen sieht man dort selten spielen. Für Kindlmann gehört es zu seiner neuen Lebensphase, dass die Bühne, auf der seine jetzige Spielerin auftritt, nicht mehr so oft arenenhaft ist. Vorerst nicht. Kindlmann, 34, fängt ja neu an gerade, er verfügt dabei über einen Schatz, der für jede seiner Klientinnen, die noch kommen, von unschätzbarem Wert sein könnte: "Ich bringe meine Erfahrungen aus der Zeit mit Maria ein."

Kindlmanns Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte aus dem Hintergrund des Tennisgeschäfts, und sie wird in diesen Tagen von Wimbledon immer besser. Als sogenannter Hitting Partner von Maria Scharapowa zählte der Allgäuer aus Sonthofen drei Jahre lang zum Team der erfolgreichen Sportlerin, die fünf Grand Slams gewann und als Marke Millionen verdient wie keine andere. Scharapowa wurde allerdings wegen der seit Anfang 2016 nicht mehr erlaubten Einnahme des Mittels Meldonium überführt, das für Herz- und Diabetes-Patienten gedacht ist, und für zwei Jahre gesperrt. Kindlmann, der kein schlechtes Wort über seine frühere Chefin sagt und ihren Fall "traurig" findet, hing in der Luft, ehe ihn Scharapowas Manager Max Eisenbud auf dem Markt anbot.

Es war klar, dass es so schnell keine Wiederaufnahme der Teamarbeit um Cheftrainer Sven Groeneveld geben würde. Nun betreut Kindlmann erstmals als Coach eine eigene Spielerin, Anastassija Pawljutschenkowa. Am Mittag hat die 25-Jährige wieder gesiegt, der 6:3, 6:3-Erfolg gegen die Amerikanerin Coco Vandeweghe war der vierte in Serie, sie steht erstmals seit 2011 im Viertelfinale eines Grand Slams; damals gelang ihr das in Paris und New York.

Kindlmann war selbst ein Profi, die Top 100 knackte er zwar nicht, aber er schaffte es in die zweite Runde der French Open. Eine Schulterverletzung zwang ihn zum Ende der Karriere. Thomas Högstedt, der Scharapowa damals coachte und den er aus dem Leistungszentrum in Oberhaching bei München kannte, bot ihm einen Übergangsjob als Trainingspartner von Scharapowa an. Kindlmann überzeugte mit seiner zuverlässigen, direkten Art, gut drei Jahre dauerte die Zusammenarbeit. Er habe die beste Ausbildung genossen, so sieht er das heute, zum Dopingbefund könne er nichts sagen, das sei ein persönlicher Bereich von Scharapowa, in den er keinen Einblick hatte. Aber er hat mitbekommen, wie strukturiert, wie konsequent, wie ergebnisorientiert Scharapowa ihren Beruf anging. Diese Fixiertheit, diese Lust auf den Erfolg kann man ihr auch heute wohl nur schwer absprechen.

Pawljutschenkowa ist die ideale Spielerin für Kindlmann

"Für mich ist vieles normal, was andere immer noch nicht in der Trainingsarbeit und in der Vorbereitung umsetzen", sagt Kindlmann. "Mit dem Rucksack auf den Platz zu gehen und ein paar Bälle zu spielen, so funktioniert der Trainerjob nicht mehr." Pawljutschenkowa ist jetzt die Erste, die jene Philosophie, die im Team Scharapowa gelebt wurde, aufsaugt. Nicht alles fiel ihr leicht, Kindlmann hat ihr radikal den Spiegel vorgehalten. Er hat gelernt: "Die Besten wissen genau, was sie tun müssen." So gesehen ist Pawljutschenkowa eine ideale Spielerin für ihn beim Aufbruch ins eigene Coaching-Leben. Sie hat viele Defizite und gleichzeitig viel Potenzial.

Kindlmann ist nicht der einzige, der in der Russin eine "mögliche Top-Ten-Spielerin" sieht. Nur: Als er sie im April übernahm, war sie nicht austrainiert und "viel schlechter als ihre Weltranglistenposition". In den Top 25 stand sie, gefühlt war sie für Kindlmann nicht in den Top 100, es kostete ihn viel Überzeugungskraft, ihr klarzumachen, dass sie ganzheitlicher denken müsse. Pawljutschenkowa, die ausgerechnet zum Start der gemeinsamen Arbeit die Windpocken bekam, gilt als stur, sie hat viele Trainer gefeuert. Auf Kindlmann hört sie, "ich verdanke ihm hier alles", sagte sie nun, "ich bekenne mich wieder richtig zum Tennis, ich brauchte einen Wechsel". Sie reist neuerdings früher als bisher zu Turnieren an, sie ist fitter, sie tüftelt an Turnierplänen, trägt Schuheinlagen. Weil Kindlmann so gut vernetzt ist, konnte sie oft mit den Besten trainieren, etwa mit Simona Halep und Garbiñe Muguruza.

Das nächste Mal, wenn Kindlmann die Stufen aus dem Spielerbereich hochsteigt, wird er wieder seinen Pokerblick haben, er ist ein Profi, der den Wettkampf liebt. Aber beim nächsten Mal wird die Bühne eine andere sein. Eine große. Der Centre Court wartet, mit Serena Williams als nächster Gegnerin. "Ich vertraue Didi", sagte Pawljutschenkowa noch und lächelte. Sie wird seinen Matchplan befolgen, sie weiß ja bereits: Ihr neuer Trainer macht sie wirklich besser.

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