Wimbledon:Mit 35 ist alles kinderleicht

Wimbledon: Fokussiert: Roger Federer im Wimbledon-Finale.

Fokussiert: Roger Federer im Wimbledon-Finale.

(Foto: AFP)
  • Roger Federer ist fast 36 Jahre alt - und spielt das beste Tennis seiner Karriere.
  • Der Schweizer profitiert von seiner körperlichen Konstitution und seinem Spielstil, der sehr wenig kraftzehrend und aufwändig ist.
  • Doch auch er braucht die richtige Mischung aus Training, Spielen und Erholung, um weiterhin erfolgreich zu sein.

Von Matthias Schmid, London

Garbiñe Muguruza wird rot, als sie nach ihrem Wimbledon-Sieg gefragt wird, mit wem sie am liebsten beim traditionsreichen Champions Dinner tanzen würde. "Come on, man", entgegnet die 23-Jährige peinlich berührt. Dann sagt sie mit einem Lächeln: "Mit Roger."

Ihr Wunsch sollte sich erfüllen, nachdem Federer am Sonntag Marin Cilic in einem sehr einseitigen Endspiel in drei Sätzen besiegt hatte. Die Bilder von Muguruza im langen weißen Abendkleid mit Blättermuster und Federer im schwarzen Anzug gingen um die Welt. Die Spanierin genoss offensichtlich den Tanzabend mit dem zwölf Jahre älteren Tennis-Senior.

In einem Alter, in dem andere längst aufgehört haben

Federer ist nach seinem achten Wimbledon-Titel auf der Höhe seiner Schaffenskunst angekommen. Der Schweizer spielt das beste Tennis seiner Karriere, wie er selbst meint, "weil ich mich immer weiterentwickelt habe". Wie ist das möglich, dass ein Spieler in einem Alter, in dem andere längst aufgehört haben, weiter große Titel aneinanderreiht?

Die augenscheinlichsten Veränderungen sind neben seiner herausragenden Fitness vor allem seine Rückhand - und sein Aufschlag. "Vor allem den zweiten spiele ich mit mehr Power", findet Federer selbst. Der gebürtige Basler ist nicht nur der erfolgreichste Tennisspieler mit 19 Grand-Slam-Titeln, sondern auch der stilvollste, er scheint über allem zu schweben, er lässt eine der komplexesten Sportarten so kinderleicht aussehen. Die harte Arbeit, die ganze Plackerei, die sich dahinter verbirgt, sieht man ihm nicht an. Federer schwitzt nicht einmal auf dem Court.

Um zu ergründen, warum Federer der beste Tennisspieler ist, den dieses Spiel je hervorgebracht hat, muss man fast 20 Jahre zurückgehen. In das Jahr 1998, als er zum ersten Mal in Wimbledon vorspielte, im Juniorenwettbewerb. "Ich war erschlagen von den ganzen Eindrücken", hat er in den Tagen der All England Championships erzählt. Der damals 16-Jährige war in seiner ersten Partie auf dem Rasen sogar so aufgeregt, dass er noch während des Spieles zum Schiedsrichter marschierte und ihn höflich darum bat, die Netzhöhe zu überprüfen, weil er so viele Fehler machte. Am Ende gewann Federer das Junioren-Turnier, im Finale gegen einen Österreicher namens Philip Langer.

Obwohl der Schweizer den Titel holen konnte und früh Erfolge feierte, war er nie eines dieser aufsehenerregenden Tennis-Projekte gewesen wie Andre Agassi oder die Williams-Schwestern. Seine Eltern haben ihn nie dazu gedrängt, Profi zu werden. Sie haben ihn nicht im Alter von drei Jahren gedrillt und angetrieben. "Ich war ein ganz normaler Junge, der in Basel aufgewachsen ist", sagte Federer nun nach seinem achten Sieg. Natürlich hatte er Träume, keine kleinen sogar, wie er zugab. "Aber im Gegensatz zu den anderen, die glaubten, dass ich sie nie realisieren könnte, habe ich immer daran geglaubt, sie eines Tages erfüllen zu können."

Dieser unerschütterliche Glaube in seine eigenen Fähigkeiten hat sich durch seine ganze Karriere gezogen. Auch nach dem völlig missratenen Jahr 2016, als er nach seiner verstörenden Halbfinalniederlage in Wimbledon gegen Milos Raonic beschloss, die Saison vorzeitig zu beenden, um sich in Ruhe für die neue Spielzeit zu präparieren.

"Ich habe immer hart trainiert - und clever"

Federer war immer ein Spieler, der mit einer großen Begabung gesegnet war. Aber eine große Begabung allein genügt nicht, um bedeutende Titel gewinnen zu können und zur Nummer eins im Tennis aufzusteigen. "Ich habe immer hart und gut trainiert, auch clever", hebt Federer hervor. Er hat sich immer schon mehr Pausen zwischen den Turnieren gegönnt als die Konkurrenten. Er war in seiner Karriere nie ernsthaft verletzt, bevor er sich Anfang des vergangenen Jahres beim Baden mit seinen Kindern so schwerwiegend am Knie verletzte, dass er erstmals in seinem Leben operiert werden musste.

Anschließend gewann er für lange Zeit kein Turnier mehr. Auch Federer ist kein Außerirdischer, der ohne Fitness und Training Matches gewinnen kann. Er muss genauso wie alle anderen 100 Prozent gesund und austrainiert sein sowie genügend Matches bestritten haben. Vielleicht regeneriert er ein bisschen schneller als die anderen, weil er von seiner körperlichen Konstitution und seinem Spielstil profitiert, der sehr viel weniger kraftzehrend und aufwändig ist als der seiner härtesten Rivalen Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray. Die Technik von Federer sucht seinesgleichen, niemand schwingt sauberer und ästhetischer als er. Das spart Energie. In Kopf und in den Beinen.

Wenn der Magen Purzelbäume schlägt

Und trotzdem hat er sich mit den Erfolgen im Januar bei den Australian Open und jetzt in Wimbledon am meisten selbst überrascht. Mit Spielen auf einem Niveau, das er vorher selbst zu seinen besten Zeiten mit 24, 25 Jahren nicht erreicht hatte. Genauso wenig wie man acht Titel in Wimbledon anstreben könne, sagte Federer, "habe ich nicht geglaubt, dass ich in diesem Jahr zwei Majors gewinnen könnte". Unglaublich sei das. Er wisse auch nicht, wie lange das noch anhalten könne.

Bis er 40 ist sogar? Ob er in diesem Alter noch mal in Wimbledon triumphieren könne, wurde Federer am Sonntag gefragt. Er lächelte nicht, als er antwortete. Er hält es für möglich und gleichzeitig für unrealistisch, weil man sich nicht 300 Tage lang auf Wimbledon vorbereiten könne, ohne ein anderes Spiel zu spielen. Man könne sich nicht einfach in eine Eisbox einfrieren und vor dem Turnier wieder auftauen lassen, um unverletzt zu bleiben. "Du kannst dich noch so gut fühlen im Training", sagt Federer, "aber du kannst das Match niemals simulieren."

Die Anspannung, die Nerven, die den Magen Purzelbäume schlagen lassen. "Du musst die richtige Balance finden zwischen Training, Matches und Erholung", sagte Federer am Ende noch. Dies gelingt ihm in diesen Wochen nahezu perfekt. Es spricht nichts dagegen, dass Roger Federer auch in den kommenden Jahren Grand-Slam-Turniere gewinnen kann, wenn er gesund bleibt und er das Spiel und das Reisen weiter so liebt.

Der älteste Grand-Slam-Turniersieger in der Open Era ist bislang Ken Rosewall. Als der Australier 1972 den Titel in Melbourne holte, war er 37 Jahre und 62 Tage alt. Vielleicht schafft Roger Federer es, auch diese Bestmarke zu überbieten. Bis dahin ist es gar nicht mehr so lang.

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