Wimbledon-Finale:Die Befreiung

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Mit dem Triumph über Angelique Kerber ist es Serena Williams gelungen, einen legendären Rekord zu egalisieren und endlich auch die Erwartungshaltung an sich zu meistern.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Der gelbe Ball flog noch mal hin und her, es war jetzt der Moment, Geschichte zu schaffen, den schier endlosen Siegen, die, wie sie später betonte, "nie langweilen", einen weiteren hinzuzufügen. Da kam der Ball ans Netz, ein Volley, Jubel. Kurz darauf stand Serena Williams in der Royal Box, der königlichen Loge, mit vielen mehr oder weniger ehrenwerten Persönlichkeiten und hielt die Trophäe hoch. Schwester Venus strahlte neben ihr.

Den Titel im Doppel hat Serena Williams dann also auch noch mitgenommen, 16 Jahre, nachdem das gerne als "Sister-Act" präsentierte Duo erstmals in Wimbledon reüssiert hatte. "Einfach toll" sei diese Leistung, befand Williams am Samstagabend, und tatsächlich schaute sie, die noch am Nachmittag in Einzelfinale vor Kraft strotzte, nun müde aus, ihre Stimme klang träge. Dauernd Rekorde aufzustellen, das schafft auch "Unmenschliche" - so hatte John McEnroe, der mal der beste Tennisrüpel der Welt war, nun im TV kommentiert und den Kanadier Milos Raonic berät, Serena Williams charakterisiert. Aber Patrick Mouratoglou sieht das anders. Serena Williams sei höchst menschlich. Sie habe gar eine Art Kurzzeitgedächtnis, im übertragenen Sinne.

Sie vergesse absichtlich, dass sie gerade eine Bestmarke erreicht hat, erklärte ihr Trainer, und genau das ist mit ihrem 22. Grand-Slam-Einzeltitel in Wimbledon wieder geschehen. 7:5, 6:3 gewann sie gegen Angelique Kerber, die Australian-Open-Siegerin aus Kiel erkannte danach: "Ich habe dieses Finale nicht verloren, sie hat es gewonnen." Allein schon deshalb, weil Williams einen Aufschlag habe, "der der beste Aufschlag der Welt ist". 13 Asse schlug die 34-jährige Amerikanerin, den einzigen Breakball wehrte sie mit einem dieser unerreichbaren Geschosse ab, 43 im Feld gelandete erste Aufschläge verwandelte sie in 38 Punkte. Ein irrer Wert.

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(Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Applaus für die Ausnahmespielerin: 7:5 und 6:3 gewinnt Serena Williams gegen Angelique Kerber. Die Amerikanerin zieht damit mit Steffi Graf gleich.

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(Foto: Adam Davy/AFP)

Ihr Lieblingsschlag ist ihre beste Waffe - und selten kam der Aufschlag von Serena Williams besser als im Wimbledon-Endspiel gegen die Kielerin.

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(Foto: Ben Curtis/AP)

Enges Spiel: Nach einem Netzangriff fragt Serena Williams beim Schiedsrichter nach, ob Kerber das Netz berührt hätte. Die Deutsche winkt ab.

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(Foto: Justin Tallis/AFP)

Kerber stemmt sich gegen die drohende Niederlage. Doch nach einem Break im zweiten Satz geht alles sehr schnell.

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(Foto: Justin Tallis/AFP)

Ihr 22. Grand-Slam-Titel haut die Amerikanerin um, als hätte sie der Blitz getroffen.

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(Foto: Peter Klaunzer/dpa)

Die 22, die Zahl der Grand-Slam-Titel von Steffi Graf, sie schien Williams in großen Finals zu lähmen. Von diesem Druck hat sie sich nun befreit.

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(Foto: Glyn Kirk/AFP)

"Ich habe dieses Finale nicht verloren, sie hat es gewonnen", erkennt Angelique Kerber nach dem Spiel an.

Aber den Triumph nur am Service ausfindig zu machen, wäre nicht fair. Die Erfolgsgeschichte von Williams ist vielschichtiger. Sie ist unumstritten die Beste ihrer Branche, seit dem 18. Februar 2013 wieder die Nummer eins der Weltrangliste, Wimbledon war ihr siebtes Grand-Slam-Finale bei den letzten acht Major-Turnieren.

Nur: "Ich habe Serena nicht mehr gespürt", sagte Mouratoglou, "das war zuletzt nicht die echte Serena." Weder in New York, in Melbourne noch in Paris, meinte er. Sie erlitt eine Halbfinalpleite bei den US Open gegen Roberta Vinci aus Italien, womit sie den Saison-Grand-Slam verpasste, Niederlagen gegen Kerber in Australien und die Spanierin Garbiñe Muguruza bei den French Open folgten - "ich hatte definitiv schlaflose Nächte", gab Williams zu.

Denn da war ja diese eine Zahl, diese 22, die sie lähmte. So viele Grand-Slam-Titel hatte Steffi Graf als Rekordhalterin erreicht, der öffentliche Druck auf Williams wuchs mit jedem ihrer im letzten Moment verpatzten Finals. Sie weiß ja: "Wenn ich nicht gewinne, ist es eine landesweite Hauptnachricht. Gewinne ich, ist es eine kleine Meldung in der Ecke." Wie Williams meist funktionierte, schilderte Mouratoglou, ein smarter Franzose aus reichem Hause, der herrlich wenig Geheimniskrämerei um seinen Job macht, mit einer Anekdote in der Times so: "Sie hatte Roland Garros elf Jahre nicht gewonnen, also würdest du denken, sie wäre wirklich glücklich und würde den Moment genießen." Nach der Siegerehrung in Paris habe sie sich für fünf Minuten zurückgezogen, dann sei sie zurückgekommen und meinte: "Gut, und jetzt gewinnen wir Wimbledon!"

Diese Klarheit, Erfolge abzuhaken, um sofort nach neuen zu streben, zeichne Champions aus, betonte Mouratoglou, der aber diese Klarheit nicht mehr sah in ihr. Williams spielte auch nicht mehr wirklich frei, schwang blockiert, sie brauchte daher einen "neuen Ansatz im Kopf", wie sie selbst in Wimbledon zugab. Ein Telefonat hat sie auf Kurs gebracht. "Ich wollte die echte wieder haben", erzählte Mouratoglou, der nach den French Open die mentale Herangehensweise mit seiner Spielerin lange besprach. "Ich wusste diesmal, dass ich ruhig bleiben muss, dass ich das Tennis spielen muss, das ich seit einer Dekade spiele", erklärte Williams. Dann würde sich alles fügen.

Tatsächlich fiel vom ersten Match an auf, dass sie eine andere war. Die Alte. Nur einmal wackelte sie etwas, gegen Landsfrau Christina McHale verlor sie den ersten Satz. Williams warf den Schläger, trotz 10 000 Dollar Strafe - "ein Trainer, der McEnroe verboten hätte, Schläger zu zerbrechen, wäre ein schlechter Coach", so sah das Mouratoglou, "das zeigt Hunger." Ihr Körper wirkte definierter, sie hielt Bälle länger im Spiel, um dann ihre Wucht in den Schlägen einzusetzen. "Ich wollte, dass sie eine bessere Fitness hat", verriet Mouratoglou, "sie sollte an ihren schlechten Tagen einfach solider sein." Das Angenehme aus seiner Sicht: "Sie denkt nie, sie weiß alles."

Nach der Jagd ist vor der Jagd, das ist das Los der Champions, unmittelbar nach ihrem Triumph tauchte die nächste Zahl auf, jemand wollte wissen, ob sie an die 25 denke. 24 Grand Slams hat die Australierin Margaret Smith Court, 73, gewonnen, die 13 ihrer Titel allerdings in der Amateurzeit holte, der Schnitt zum modernen Tennis folgte 1968. "Oh, Gott, nein", erwiderte Serena Williams, "eine Sache, die ich im vergangenen Jahr gelernt habe, ist, den Moment zu genießen. Ich werde es dieses Mal definitiv genießen. Ich habe jetzt erst mal Olympia vor mir, ich mache einen Schritt nach dem anderen."

Mit der Siegerparty musste sie aber warten, nach dem Einzel bestritt sie das Doppelfinale, das sie mit ihrer Schwester Venus 6:3, 6:4 gegen Babos/Schwedowa (Ungarn/Kasachstan) gewann. Der Zweifach-Erfolg war Williams im All England Club schon 2002, 2009 und 2012 geglückt, bei 14 Grand-Slam-Doppeltiteln sind beide angelangt; nur Martina Navratilova und Pam Shriver (20) waren erfolgreicher. In der Welt von Serena Williams lässt sich immer noch ein Rekord finden, den sie brechen kann. Doch sie stresst das nicht mehr. Dieses Wimbledon bilanzierte sie mit einem Bekenntnis: "Es ist eine große Befreiung."

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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