Wimbledon:Federer staunt über sich selbst

Wimbledon: Der achte Wimbledon-Titel: Roger Federer freut sich.

Der achte Wimbledon-Titel: Roger Federer freut sich.

(Foto: AFP)
  • Roger Federer gewinnt zum achten Mal in Wimbledon - und das mühelos wie nie zuvor. Er gibt keinen einzigen Satz ab.
  • "Bei mir haben die Pausen Wunder bewirkt", sagte er anschließend.
  • Sein Spiel hat ein neues Niveau erreicht.

Von Matthias Schmid, London

Es gibt strenge Regeln im All England Lawn Tennis & Croquet Club, an die sich auch der Rekord-Wimbledonsieger halten muss. Die Turnier-Trophäe darf nicht einmal Roger Federer mit nach Hause nehmen. Der Schweizer erhält nach seinem achten Sieg an der Church Road in London SW19 gegen Marin Cilic lediglich eine verkleinerte Replik des Challenge Cups. Deshalb war auch zu verstehen, dass Federer am Sonntag den Pokal so rigoros zurückforderte, als er ihn für kurze Zeit an seinen ehemaligen Coach Stefan Edberg bei der Tour d'honneur im Bauch des Center Courts übergeben hatte.

Der zweimalige Wimbledon-Sieger aus Schweden war zwei Jahre lang Trainer und Mentor von Federer gewesen, zwei Jahre, die ohne Wimbledon-Titel zu Ende gingen. Edberg hatte trotzdem auch nach ihrer Trennung fest daran geglaubt, dass Federer eines Tages wieder Trophäen bei Major-Turnieren in den Himmel recken dürfe. Der Wimbledon-Titel war deshalb auch ein kleines bisschen sein Titel. "Roger ist der größte Spieler in meinen Augen", sagte Edberg der BBC, "das beweisen seine 19 Grand-Slam-Titel, und es kommt immer etwas Bewundernswertes heraus, wenn du ihm zuschaust, weil du weißt, dass er unglaubliche Schläge zeigt."

Ein paar Zauberbälle

Gegen Cilic, den Blasen an der Fußsohle plagten, reichte sogar eine eher durchschnittliche Darbietung. Federer musste sich nicht besonders anstrengen, er spielte ein paar Zauberbälle wie einen Rückhandstopp, um am Ende locker in drei Sätzen mit 6:3, 6:1, 6:4 zu gewinnen und erstmals die All England Championships ohne Satzverlust beenden zu können. Bei der Siegerehrung fand der 35-Jährige sogar noch tröstende Worte für seinen unterlegenen Kontrahenten. "Es ist manchmal grausam im Sport", sagte Federer, "gerade, wenn man im Endspiel nicht alles geben kann. Du bist aber trotzdem ein Held und solltest stolz auf dich sein."

Cilic lächelte, als er das hörte, und streckte seinen Daumen nach oben. Wahrscheinlich wusste er in diesem Moment, dass er auch ohne Blasen gegen diesen Federer nichts hätte ausrichten können. "Es ist bemerkenswert, wie er es schafft, sich immer weiter zu verbessern", sagte Cilic anerkennend.

In der Tat ist es erstaunlich, wie sich Federer in den vergangenen Monaten nach seiner halbjährigen Pause selbst neu erfunden hat. Als er Anfang des Jahres nach seiner selbstgewählten Auszeit auf die Tour zurückkam und gleich den Titel bei den Australian Open im Finale mit einem Sieg gegen Rafael Nadal holte, trat er stärker und ausgeruhter als je zuvor auf. Vor allem die Rückhand, früher hin und wieder ein Schwachpunkt, spielt er inzwischen fast so schnell wie seine Vorhand, die sein Paradeschlag ist. Auch der zweite Aufschlag kommt wuchtiger daher, kraftvoller. Er wirkt nicht nur technisch verbessert, sondern vor allem im Kopf wie verwandelt, frisch und unbekümmert, eher wie ein Teenager als wie ein bald 36-jähriger Tennis-Senior.

Wenn Pausen Wunder wirken

"Bei mir haben die Pausen Wunder bewirkt", sagte er in der Pressekonferenz nach seinem achten Wimbledon-Triumph, der ihn in der Historie des Turniers für immer verewigen wird. Federer erschien im weißen T-Shirt, unprätentiös wie immer. Roger stand darauf und das Logo seines Ausrüsters. Mehr nicht. Die einzige Extravaganz, die er sich erlaubte, war eine kleine acht statt des "g" in seinem Namen.

Federer gab einen spannenden Einblick in seine Gedankenwelt, er wirkte dabei aber so erdverbunden, als hätte er gerade die Clubmeisterschaften bei seinem Heimatverein TC Old Boys Basel gewonnen. Und nicht das berühmteste Tennisturnier der Welt. Sogar für ihn kommt die wundersame Auferstehung in den vergangenen Monaten so überraschend wie ein Sommer ohne Regen in London.

Es liegt erst ein Jahr zurück, als er Wimbledon als Geschlagener verlassen hatte, als gebrochener Sportler sogar, der mehr verloren hatte als nur sein Halbfinale gegen Milos Raonic. Im fünften Satz war Federer gestolpert, er landete bäuchlings auf dem Heiligen Rasen, der ihm so viel bedeutet. Flach und alle Viere von sich gestreckt lag die Ikone dieses Sports darnieder. Müde, leer und desillusioniert sah er aus. Das Bild ging um die Welt. Fast alle glaubten, dass das der Anfang vom Ende einer glanzvollen Karriere ist, besonders als Federer ankündigte, bis zum Jahresende kein Turnier mehr zu spielen.

Als die Zweifel kommen

Er begann in dieser Zeit zu zweifeln und viel schlimmer noch: an sich zu zweifeln. "Ich habe jeden Einzelnen in meinem Team gefragt, ob sie glauben, dass ich noch mal Majors gewinnen und die Besten wieder regelmäßig schlagen könnte", erzählte Federer nun ein Jahr später in Wimbledon. Als sie ihm bestätigten, dass er dies noch immer draufhabe, wenn er körperlich wieder vollständig genesen sei, "glaubte ich ihnen, weil ich das gleiche Gefühl hatte", wie Federer betonte.

Rückblickend hat die Pause und das Aufbautraining seine Karriere verlängert und sein Spiel sogar noch einmal auf ein höheres Niveau gehoben. Er hat nach dem völlig missratenen Jahr und der ersten Operation seines Lebens (am Knie) gelernt, dass Gesundheit das Wichtigste ist. Er hat seitdem auch aufgehört, in längeren Zeiträumen zu planen, seine Pausen zwischen den Turnieren dafür aber ausgedehnt. Im Nachhinein hat sich sein Verzicht auf die Sandplatzsaison als weitsichtige Entscheidung herausgestellt, die den Wimbledon-Sieg in dieser Dominanz erst ermöglicht hat, wie er selbst glaubt. Wie weit ihn sein radikaler Ansatz noch tragen und wie viele Titel er damit gewinnen kann, fragt er sich nun selbst. "Ich habe keine Ahnung", sagte Federer nur.

An das Leben als Teilzeit-Arbeiter könnte er sich gewöhnen, sagte er mit einem Lächeln. "Das fühlt sich großartig an." Federer will mit seinem Team um die beiden Trainer Ivan Ljubicic und Severin Lüthi zunächst darüber beraten, ob er das Turnier in Montreal in der zweiten August-Woche auslässt und erst in Cincinnati eine Woche später in die Vorbereitung auf die US Open einsteigt.

Zu Hause in Lenzerheide hat er genügend zu tun. Er muss im Pokalzimmer Platz schaffen für die neue Trophäe. Federer sagte: "Ich kann da noch den einen oder anderen Pokal verschieben."

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