Wimbledon:Federer besiegt Zeit, Gegner und Geschichte

Wimbledon

Goldener Kuss: Roger Federer knutscht die Wimbledon-Trophäe.

(Foto: REUTERS)
  • Roger Federer schlägt den Kroaten Marin Cilic in drei Sätzen.
  • Damit ist er nun der erfolgreichste Spieler in der Geschichte von Wimbledon.
  • Mit 35 Jahren ist er zudem der älteste Sieger.

Von Barbara Klimke, London

Die Traumkulisse war bereitet für den großen Tag. Auf dem Platz sah das Gras aus, als hätten die Gärtner jeden Halm einzeln gebürstet und gestutzt, jedenfalls dort, wo der Rasen nach zwei Wochen noch vorhanden war. Das Laub am Centre Court wirkte wie frisch abgestaubt, und die Linienrichter hatten ihre Krawatten ordentlich gebunden. In der Royal Box saß der Herzog von Kent, der in seiner Rolle als Klubpräsident vor 14 Jahren das erste Mal den Goldpokal an den Schweizer Roger Federer ausgehändigt hatte. Und wie die 15 000 Zuschauer, so hofften die Gäste des Klubs auf ein Spektakel, darunter Prinz William und Gattin Kate.

Denn das Programmheft kündigte enthusiastisch einen Meister auf seiner größten Bühne an, "wie Nurejew im Bolschoi oder Pavarotti in der Scala".

Wenn an diesem Tag also noch etwas mehr Spannung in der Luft lag als sonst bei diesen jährlichen wiederkehrenden Anlässen an einem Sommernachmittag im Juli, dann lag es am Favoriten, Roger Federer, selbst. Denn diesmal stand er nicht nur einem Rivalen mit Racket gegenüber, dem eindrucksvollen Zweimetermann Marin Cilic aus Kroatien. Sondern er wollte zwei weitere Gegner herausfordern: das Alter und die Klub-Annalen. Zum achten Mal einen Wimbledon-Titel zu erringen, hatte kein Mann vor ihm geschafft, weder in diesem Jahrhundert noch im letzten. Und schon gar nicht im gesetzten Alter von 35 Jahren.

Größer und muskulöser als Federer

Nicht einmal zwei Stunden später, viel früher als erwartet, stand fest, dass er tatsächlich alle drei Giganten geschlagen hatte: Zeit, Geschichte und Gegner. Federer besiegte Cilic 6:3, 6:1 und 6:4. Zum ersten Mal in Wimbledon gab er nicht einen Satz ab, das war zuletzt 1976 dem Schweden Björn Borg gelungen. Aber Marin Cilic, 28, hat Federer den Jahrhundert-Erfolg durch eine Verletzung, die er sich in den vergangenen Tagen zuzog, auch sehr leicht gemacht.

Nur einen halben Satz lang konnte der Kroate - ein Mann mit mächtigem Aufschlag und gewaltigen Vorhandschlägen, weit größer und muskulöser als Federer - wirklich mithalten. Zunächst unterliefen beiden Leichtigkeitsfehler, die wohl der Nervosität geschuldet waren. Dann wurde deutlich, dass Cilic, als "Big Hitter" gefürchtet, die übliche Präzision beim Service und den Grundschlägen fehlte: Im ersten Satz erspielte er sich zwar den ersten Breakball. Aber seine Aufschlagquote war unterdurchschnittlich (49 Prozent), und ein Break zum 3:2 reichte Federer zur Entscheidung.

Die Mediziner werden gerufen

Im zweiten Durchgang lag Cilic schnell 0:3 zurück. Und als er beim Seitenwechsel auf dem weißen Stuhl Platz nahm, liefen ihm für alle sichtbar dicke Tränen über das Gesicht. Die Physiotherapeuten wurden auf den Platz bestellt, der Kroate sprach eine Weile mit ihnen, legte sich ein weißes Handtuch über den Kopf. Dann stand er auf, um weiterzuspielen. Wieder zurück an der Grundlinie, gelang ihm bei eigenem Service ein Punkt. Doch bald darauf war der Satz verloren, die Mediziner wurden erneut gerufen, diesmal um seinen linken Fuß zu behandeln. Er hatte sich, wie er später erläuterte, im langen Viersatz-Halbfinale am Freitag eine große, schmerzhafte Blase unter der Fußsohle zugezogen, die in bei jedem Richtungswechsel behinderte.

Doch nicht das trieb ihm die Tränen in die Augen, sondern das Gefühl der Ohnmacht: "Der Schmerz beeinträchtigte meine Konzentration, ich wusste, ich konnte in diesem wichtigen Spiel nicht alles geben, und das zu einem Zeitpunkt, an dem ich besser spiele als je zuvor." Im dritten Durchgang stemmte Marin Cilic sich tapfer gegen das Unabwendbare, aber nach einer Stunde und einundvierzig Minuten hatte er den ersten Matchball gegen sich. Ein weiteres Ass von Federer, und er musste sich geschlagen geben.

Cilic untröstlich

Der Jubel bei Federer fiel, in Anbetracht des Triumphs, verhalten aus.

Der 28-jährige Cilic war selbstverständlich untröstlich: Er gehört seit Jahren zu Besten auf der Tour und hat in seiner Karriere 17 Titel erobert, auch wenn bisher nur ein Grand Slam bei den US Open 2014 darunter war. Weil Federers Langzeit-Rivalen, der Weltranglisten-Erste Andy Murray, Rafael Nadal und Novak Djokovic, diesmal relativ früh scheiterten, war der Weg für Cilic offen. Und da er nun im elften Anlauf endlich erstmals das Finale von Wimbledon erreicht hatte, war es umso schmerzlicher für ihn, dass er seine größte Chance des Lebens nicht nützen konnte: "Ich habe nicht aufgegeben. Das habe ich noch nie in meiner Karriere gemacht, und hier wollte ich es schon gar nicht", sagte er. Und dann dankte er seinem Team, das ihn zwei Wochen lang unterstützt hatte.

Roger Federer gratulierte seinem Gegner zu einer "tapferen" Leistung. "Es ist grausam, im Finale verletzt zu sein", sagte der Rekordsieger, der im Januar im Alter von 35 auch schon bei den Australian Open die versammelte Tennisweltelite (und wohl auch sich selbst) überrascht hatte. Dann nahm er den Pokal entgegen. Zum achten Mal, so häufig wie keiner zuvor - weder Pete Sampras aus den USA, der ihn 1993 bis 1995 sowie 1997 bis 2000 sieben Mal gewonnen hatte, noch der Brite William Renshaw, dem das zwischen 1881 und 1889 gelungen war.

"Das bedeutet mir eine Menge", sagte Federer: "Zu diesem Zeitpunkt Teil der Geschichte von Wimbledon zu sein, ist fantastisch." Das Publikum gratulierte dem Mann, der Zeit, Gegner und Geschichte besiegt hatte. Und auch beim Schweizer flossen nun Tränen.

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