Wimbledon:Einfach mal ein bisschen Spaß haben

Wimbledon: Angelique Kerber musste bei ihrem Achtelfinal-Match gegen Belinda Bencic zeitweise ganz schön kämpfen.

Angelique Kerber musste bei ihrem Achtelfinal-Match gegen Belinda Bencic zeitweise ganz schön kämpfen.

(Foto: AFP)
  • Angelique Kerber und Julia Görges erreichen am Manic Monday in Wimbledon fast im Gleichschritt das Viertelfinale.
  • Görges versucht es bei diesem Turnier mit einem alten Kerber-Trick: Einfach mal locker aufspielen und "es mal mit Spaß versuchen".
  • Hier gibt es alle Wimbledon-Ergebnisse im Überblick.

Von Gerald Kleffmann, London

Natürlich kennt auch Roger Federer dieses Ritual, dass jeden Tag um 10.30 Uhr die Zuschauer die Anlage des All England Clubs betreten. Sie schreiten aber nicht bei Öffnung der Schranken frei drauf los, sie müssen Dutzende Meter hinter einem Seil hergehen, das Stewards wie eine Trennlinie hochhalten, während sie selbst sich nach vorn bewegen.

Um 10.25 Uhr hatte es daher Federer eilig: Mit seinen Trainern Severin Lüthi und Ivan Ljubicic und weiteren Team-Zuarbeitern, die alle wie er in Weiß gekleidet waren und zusammen wie die Ocean's Eleven aussahen, hastete er im Stechschritt zu Court 14. Der achtmalige Champion von Wimbledon hatte es geschafft, ehe die Gänge geflutet wurden. Es war Montag, Manic Monday, wie sie ihn nennen. Alle Achtelfinals werden nach dem Ruhetag, dem Middle Sunday, ausgetragen. Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Diese Ballung gibt es nicht bei der Grand-Slam-Turnierkonkurrenz in Melbourne, Paris und New York.

Wesentlich mehr Besucher waren nicht auf dem engen Areal, rund 40 000 werden jeden Tag hineingelassen, in Minutenschnelle war der Henman Hill besetzt, Picknickdecken wurden ausgebreitet, hinter Court 1, dem zweitwichtigsten Stadion. Von dieser Erhebung aus verfolgen die Menschen auf einer Videoleinwand die Tennisduelle in der Arena, Ground Tickets reichen dafür. Mit diesen darf man sich überall bewegen, nur für den Centre Court, Court 1, 2 und 3 benötigt man Extrakarten.

Die ehrenwerte Gesellschaft hat diese Sorgen nicht, sie hat ihre Tickets. Ehe Angelique Kerber ab 13 Uhr gegen die Schweizerin Belinda Bencic antrat, pilgerten Damen mit Hüten und Herren in Anzügen über die Brücke der VIP-Terrasse. Die Promi-Qualität hat zu Beginn dieser zweiten Woche noch mal angezogen, am Montag hatten sich der Duke of Kent und die Duchess of Gloucester angekündigt. Boris Becker, für die BBC aktiv, unterhielt sich mit Elias auf der Spielerterrasse. Der dreimalige Sieger in Wimbledon gestikulierte mit den Händen; womöglich hatte er dem Sohn erklärt, welche Laufwege er am besten nimmt, um möglichst viel gutes Tennis zu erleben.

Die ersten Achtelfinals gingen zu Ende, auf den Courts 2, 3, 12 und 18 fingen die Matches schon um 11.30 Uhr an. Es gab die ersten Ergebnisse, die weltweit keine riesige Beachtung finden werden. Aber für die Siegerinnen waren ihre Siege sehr, sehr besonders. Dominika Cibulkova, die kleine Slowakin, gewann 6:4, 6:1 gegen Hsieh Su-wei aus Taiwan. Cibulkova, zu Deutsch Zwiebelchen, war als Erste davon betroffen gewesen, dass Neu-Mama Serena Williams gesetzt wurde; Cibulkova als Nummer 32 flog raus aus der Setzliste. Nun rächt sie sich, indem sie als Ungesetzte bis in die Runde der besten Acht stürmte. Die Niederländerin Kiki Bertens, die vor nicht langer Zeit fast überlegte aufzuhören, weil sie so unzufrieden war, steht in ihrem ersten Wimbledon-Viertelfinale, 6:3, 7:6 (1) gegen Karolina Pliskova. Mit dem Aus der Tschechin war die Letzte der Top Ten draußen. Und - so skurril hat sich dieses Tableau entwickelt - nun war Kerber als Elfte die am höchsten gesetzte Spielerin.

Görges spielt flawless auf

Dann waren sie und Görges auf dem Platz. Es entwickelte sich Kurioses. Zeitgleich marschierten sie mit den selben Zwischenstände durch ihre Matches. Lag Kerber gegen Bencic 5:3 vorne, lag Görges gegen die Kroatin Donna Vekic 5:3 vorne. 6:3, 1:0, 15:30 auf Court 1 mit Kerber, 6:3, 1:0, 15:30 auf Court 3 mit Görges. Erst Mitte des zweiten Satzes trennten sich die Wege der beiden besten Deutschen. Görges erreichte die Ziellinie als Erste. Sechs Asse, kein Doppelfehler, 30 Winner, das war flawless, makellos, wie die Briten sagen. Kerber mühte sich, doch zeigte ihre Stärke, sie ist nicht kleinzukriegen. Vier Satzbälle wehrte sie ab, ehe das 6:3, 7:6 (5) feststand.

Für Kerber, die wieder ihren Gummiwand-Modus gefunden hat, ist es ihr viertes Viertelfinale in Wimbledon, 2016 stand sie gar im Finale. Viel mehr als "I am just happy" brachte sie im Anschluss in einem kurzen Interview auf die Schnelle nicht heraus, klar, sie war mitgenommen von dem am Ende engen Match. Görges wiederum erlebte eine Premiere, erstmals ist sie so weit bei einem Grand Slam vorgestoßen. Sie hat den Erfolg ihrem Trainer Michael Geserer und ihrem Physio und Freund Florian Zitzelsberger mit zu verdanken, aber auch David Prinosil. Der frühere deutsche Profi berät Görges seit 2017, er war gut auf Rasen und änderte ihre Sicht auf den Belag, den sie nie gemocht hatte. "Er hat es mir banaler erklärt", hatte Görges in Wimbledon verraten, und zwar in dem Sinne, "dass man gewisse Situationen akzeptieren muss". Weil die Bälle auf diesem Untergrund mal "rollen, über den Kopf springen oder liegen bleiben".

Vor allem setzte Görges einen Vorsatz um: "Vielleicht sollte ich es mal mit Spaß versuchen." Als Kerber 2016 ihr Ausnahmejahr hatte, war sie oft sehr locker. Görges wirkt jetzt auch wie gelöst, sie strahlte gegen Vekic eine Energie aus, als könnte sie das Gerüst des neuen Daches für Court 1, das wie ein Wal auf der Anlage bereitliegt, selbst aufs Stadion wuchten. Nach einer Vorhand die Linie entlang reckte sie die Hand wie die Freiheitsstatue.

Mit Kerber und Görges sind das erste Mal seit 2014 (Kerber/Lisicki) zwei Deutsche im Viertelfinale, es könnte sogar - dieses Szenario ist tatsächlich möglich - ein deutsches Finale geben; das einzige gab es 1931, mit Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel. Sie würden eben erst im Endspiel aufeinander treffen. Zunächst aber steht das Viertelfinale an, Kerber trifft auf die junge Russin Daria Kassatkina, Görges auf Bertens. "Für das deutsche Tennis und uns beide ist es schön, dass zwei Deutsche im Viertelfinale stehen", sagte Kerber später. "Es ist etwas Besonderes", sagte Görges dazu, dass sie nach fünf Grand-Slam-Achtelfinals endlich den Sprung eine Runde weiter geschafft hat. "Dass es hier passiert, macht es vielleicht noch ein wenig besonderer." Es war nicht mal 16 Uhr. Draußen knallte die Sonne herunter, und er war noch lange nicht vorbei, der Manic Monday.

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