Wimbledon:Djokovic' großer Traum ist zerstört

Wimbledon: Überraschend raus: Novak Djokovic.

Überraschend raus: Novak Djokovic.

(Foto: AP)

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Um 17 Uhr Ortszeit, die Sonne schien tatsächlich in diesem Moment, stand fest, dass diese 130. Championships ein neues Turnier werden würden. Dabei sind die Spieler ja schon seit Montag im Einsatz, und sie werden es eine weitere Woche sein. Novak Djokovic schritt ans Netz, während ein Lärm aus Klatschen, Jubeln und Raunen das weite Oval des Court No. 1 ausfüllte. Der Serbe gab Sam Querrey, dem Profi aus San Francisco, die Hand, klopfte ihm anerkennend auf den Oberkörper. Zwei Tennisspieler, einer hatte gewonnen, einer hatte verloren, so ist Sport.

Manchmal aber bebt er. Brodelt er. Weil die Niederlage des einen größer ist als der Sieg des anderen. Wie am Samstagnachmittag.

Djokovic, der so dominierende Akteur des Männertennis, der zuletzt vier Grand-Slam-Titel in Serie gewann, jahresübergreifend also den Novak Slam schaffte, schied mit 6:7 (6), 1:6, 6:3, 6:7 (5) aus gegen den 28-jährigen Amerikaner Querrey. Der erreichte damit seinen spektakulärsten Sieg. Dabei hat er schon respektable acht Titel geholt bei Turnieren der ATP Tour. Querrey zerstörte am Samstag viele Ziele des Serben aus Belgrad, "er ist ja auf dem Weg, der beste Spieler der Geschichte zu werden", ordnete Querrey richtig ein.

Steffi Graf behält ihr Alleinstellungsmerkmal

Djokovic wollte, nach den Triumphen in Melbourne und Paris, auch in London und in New York bei den US Open gewinnen sowie in Rio bei den Olympischen Spielen. Es ging um den sogenannten Golden Slam. Nur alle vier Jahre sind diese fünf Titel theoretisch möglich, einzig Steffi Graf hat das einmal tatsächlich geschafft, 1988.

Djokovic, das hat er immer öfter klar gemacht, wollte die Historie besiegen. Er will in die Geschichte eingehen. Man musste kein Experte sein, um ihm diese fünf Triumphe in dieser Saison zuzutrauen.

Der Schmerz saß sicht- und hörbar tief in Djokovic. Nur eine Viertelstunde nach der Drittrundenniederlage kam er zur Pressekonferenz. Er bemühte sich, professionell zu sein. Aber er war schmallippig, seine Antworten waren stanzenhaft, "mir wäre es recht, Ihre Fragen wären kürzer", sagte er einmal zu einem italienischen Reporter, der in der Tat gerne sehr lange Fragen stellt. Gelächter für einen Moment, ehe es wieder ernst wurde.

Vor seinem dritten Einsatz gab es keine Anzeichen, dass Djokovic in Gefahr geraten könnte. Er hatte zwar kein Vorbereitungsturnier gespielt auf Gras und nur ein Showmatch bei dem Einladungsevent "The Boodles" in der Nähe des All England Clubs. Aber so hatte er das ja in der Vergangenheit auch gehalten. 2014 und 2015 triumphierte er in Wimbledon.

Diesmal war er mit zwei soliden Erfolgen gegen den Engländer James Ward und den Franzosen Adrian Mannarino gestartet. Doch Querrey, der Weltranglisten-41., spielt bislang eine gute Saison, er gewann das Turnier in Delray Beach im Februar. Djokovic hatte mit einigen Erklärungen schon recht, wieso der andere diesmal erfolgreicher war. "Er hat mich überpowert", sagte er. Querrey habe gut aufgeschlagen, viele freie Punkte geschafft, er habe dessen Aufschlag nur schwer lesen können. An mancher Stelle indes wurde Djokovic kryptisch und geheimnisvoll. Ja, er sei "nicht wirklich" fit gewesen. Er wolle aber darüber nicht reden. Das möge man respektieren.

Eine Dusche vom Himmel hatte den Serben zunächst gerettet

Eine tiefgründige Analyse lieferte er so kurz nach dem Match nicht, auch die vielen Unterbrechungen störten ihn nicht, das habe "ja uns beide betroffen". Das Duell war schon am Freitag, mit Verspätung aufgrund des Regens aufgenommen worden, Querrey hatte Djokovic zwei Sätze lang tatsächlich dominiert. Erst mit knappem Vorsprung im ersten Satz, dann deutlich im zweiten Satz, eine Dusche vom Himmel rettete Djokovic, so schien es, in den Samstag.

Am Samstagmorgen feilte er mit Boris Becker ausgiebig am Aufschlag, der dreimalige Wimbledonsieger ist seit Ende 2013 in seinem Team und war an sechs Grand-Slam-Titeln beteiligt. Noch am Freitagvormittag sagte Becker vor dem Training auf Anfrage, alles sei bestens, er wirkte tatsächlich sehr entspannt.

Als Djokovic am Samstagnachmittag sofort das Break schaffte und den dritten Satz 6:3 gewann, drängten sich Erinnerungen ans Vorjahr auf. Damals war er auch einem 0:2-Satzrückstand hinterhergelaufen gegen den Südafrikaner Kevin Anderson, bei 2:2 wurde damals wegen Dunkelheit abgebrochen, den fünften Satz gewann er dann tags darauf und hatte auf dem Weg zum Turniersieg keine Probleme mehr.

Geschichte wiederholt sich - nicht immer

Nicht immer wiederholt sich das, was mal gelang. Was alle immer erwarten. "Er ist schlagbar, das ist nicht unmöglich", hatte auch am Freitag Roger Federer gesagt, nachdem Djokovic mit dem 0:2-Satzrückstand vom Platz gegangen war. Es klang fast beschwörend im Rückblick, denn wenn es Profiteure der Niederlage des Serben gibt, dann zählt der Schweizer dazu und auch Andy Murray.

Im vierten Satz schaffte es Djokovic nicht, den Widerstand von Querrey früh zu brechen, er ließ etliche Breakchancen aus - und als dem Serben doch das Break zum 5:4 gelang, erlaubte er sich ein lausiges Aufschlagspiel. Querrey glich aus und ging nach der dritten Regenunterbrechung am Samstag sogar mit einer 6:5-Führung in die Kabine. Djokovic flüchtete in diesem Moment regelrecht davon, mit dem Schläger rudernd, forderte er Becker auf, so schnell es geht nachzukommen. Der erhob sich in der Box und eilte los, so sehr es ihm die Hüfte gestattet. Djokovic rettete sich souverän nach der kurzen Pause in den Tie-Break, führte dort rasch mit 3:1. Doch ihm unterliefen zu viele unübliche Fehler, auch beim zweiten Matchball Querreys drosch er eine Vorhand weit ins Aus. Djokovic hatte am Ende deutlich weniger unerzwungene Fehler fabriziert als Querrey (31:52). Aber auch deutlich weniger Winner (34:56).

Plötzlich ist das Turnier völlig offen

Im Tennis sagt man, wenn ein großer Favorit ausscheidet, das Draw, die Auslosung sei offen. Weil die eine große Blockade plötzlich fehlt und andere neue, schlagbarere Gegner auf dem Weg ins Finale warten. Djokovic war in der Hälfte von Federer, im Halbfinale wären sie theoretisch aufeinandergetroffen. Federer würde gerne seinen achten Wimbledon-Titel und 18. Grand-Slam-Titel holen; Murray, der ständig in Finals steht und dann fast immer gegen Djokovic verliert, will nach 2013 endlich wieder mal triumphieren.

Der Schotte hat eigens Ivan Lendl zurückgeholt, der ihn zu seinen drei größten Titeln in der ersten, dreijährigen Zusammenarbeit geführt hatte: zwei Grand-Slam-Siegen und Olympia-Gold 2012. "Ich muss erst mal das Finale hier überhaupt erreichen", sagte Murray am Samstag nach seinem 6:3, 7:5, 6:2-Sieg gegen den Australier John Millman, angesprochen auf die neue Situation. "Novaks Lauf war unglaublich", lobte er. Der Schotte blieb cool.

Jetzt erst einmal tennisferne Aktivitäten

Djokovic verabschiedete sich mit der Ankündigung, dass er sich ausgelaugt fühle und nun Zeit mit Dingen verbringen wolle, die nichts mit Tennis zu tun hätten. Sein ständiges Siegen, darunter auch der erste Triumph bei den French Open Anfang Juni, war in der Tat sicher "Kräfte zehrend", wie er sprach. "So eine Serie werden wir wohl so schnell nicht mehr sehen", meinte noch Murray. Wimbledon 2016 ist wahrlich schon eine Zäsur im Männertennis.

Djokovic, der eine, hat tatsächlich einmal verloren, nach unglaublichen 30 Grand-Slam-Matchsiegen in Serie. Das letzte Mal war er 2009 in der dritten Runde ausgeschieden bei einem der vier größten Turniere (damals in Paris gegen Philipp Kohlschreiber). Querrey, der andere, jubelte dafür: "Das ist wirklich aufregend. Gerade hier in Wimbledon zu gewinnen, ist etwas Besonderes."

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