Widerstand am Maracana-Stadion in Rio:Indianer fordern die WM-Organisatoren heraus

Widerstand am Maracana-Stadion in Rio: "Das ist unser Territorium, das unserer Vorfahren": Brasiliens Ureinwohner verzögern die Arbeit an der berühmtesten Stadion-Baustelle der Welt.

"Das ist unser Territorium, das unserer Vorfahren": Brasiliens Ureinwohner verzögern die Arbeit an der berühmtesten Stadion-Baustelle der Welt.

(Foto: V. Almeida/AFP)

Mit Pfeil und Bogen gegen die Staatsmacht: Weil sie ein Territorium ihrer Vorfahren schützen wollen, protestieren Brasiliens Indianer-Stämme an der Baustelle des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro. Wann das Final-Stadion der WM 2014 fertig wird, ist fraglich - in jedem Fall wird es teurer als geplant.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Der Kriegstanz am Maracanã-Stadion beginnt samstags um fünf. Unter einem Dach aus Palmstroh bewegen sich barfüßige Männer und Frauen mit Bemalung und Federschmuck um einen kahlen Baumstamm, begleitet von beseelten Besuchern. "Alaluna, alahee, hee, hee", singen sie in ihren Sprachen, oder "hejaheja, hejahoja", falls man das richtig versteht. Gäste brauchen nur am Bauzaun um die bedeutendste Baustelle von Rio de Janeiro herumzulaufen, dann kommen sie zu dem Eingang an einer bunt bemalten Mauer. "Aldeia Maracanã", steht dort geschrieben, Maracanã-Dorf.

Hier leben circa 60 Vertreter von Stämmen wie den Guarani-Kaiowá aus Mato Grosso do Sul oder den Tucano aus Amazonien. Sie campen in Zelten neben der berühmtesten Arena der Erde, auf Lehm- boden, zwischen Bäumen und der Ruine eines Palastes, in dem früher ein Indianermuseum untergebracht war. Sie wollen verhindern, dass dort für die Fußball-WM 2014 und Olympia 2016 ein Großparkplatz und ein Einkaufszentrum entstehen. "Wir mögen die WM und das Maracanã", sagt Kuatchi Pataxó, einer der Demonstranten aus dem Dschungel, "aber das ist unser Territorium, das unserer Vorfahren."

Vorläufig ist ihr Revier eine skurrile Oase an einem Großprojekt. Seit Ende 2009 wird das ehrwürdige Maracanã renoviert, die Einweihung wurde schon dreimal verschoben. Erst sollte die Bühne des WM-Finales im Dezember vergangenen Jahres fertig werden, dann war Februar angepeilt, später April - und jetzt ist Anfang Juni geplant, mit einem Spiel zwischen Brasilien und England, zwei Wochen vor dem Confed-Cup. Zunächst schienen 600 Millionen Reáis zu reichen, 222 Millionen Euro; dann 800 Millionen Reáis, 296 Millionen Euro. Verbraucht wurden bereits 930 Millionen Reáis, 344 Millionen Euro, dabei fehlen den Angaben der Statistiker zufolge noch 20 Prozent des Werks. Wer davor steht, der braucht Phantasie, um sich die baldige Wiedereröffnung vorzustellen, aber es wird schon klappen.

An der Betonschüssel ragen blaue und gelbe Kräne in den schweren Sommerhimmel. Das neue Dach ist vorläufig bloß an dem Modell im Museum am Tor 18 zu besichtigen. Im Showroom stehen die Zahlen des künftigen Maracanã an der Wand: 203 462,60 Quadratmeter, 79 378 Plätze, 839 Sitze für Behinderte, 17 Aufzüge, 12 Rolltreppen, 60 Bars, 231 Toiletten, sechs Zugangsrampen, vier Anzeigetafeln von je 100 Quadratmetern.

Pelé kriegt eine Bronzestatue, Garrincha behält sicher seinen Schrein, sie alle haben wie auch Franz Beckenbauer, Ronaldo, Zico und so weiter außerdem ihre Fußabdrücke im Zement verewigt. Tausende Arbeiter sind mittlerweile in drei Schichten 24 Stunden und sieben Tage im Einsatz. Für mehr Geld und bessere Bedingungen wird vorerst zwar nicht mehr gestreikt - dafür haben unverhoffte Rivalen das Kriegsbeil ausgegraben.

Der Widerständler Kuatchi gehört zum Volk der Pataxó, die in einem Reservat in der Nähe von Porto Seguro in der Region Bahia leben. Seine Ahnen waren die ersten, denen vor gut 500 Jahren die Portugiesen begegneten. Sie basteln Schmuck, auch Kuatchi und er und sein Sohn verkaufen an diesem Refugium Federn und Ketten jener Art, die sie zum nackten Oberkörper selbst tragen.

Schwer bewaffnete Militärpolizei gegen Pfeile und Bogen

Kuatchi sagt, er sei Fan des Klubs Vasco da Gama, "aber unsere Kultur ist mir wichtiger als Fußball. Die sollen uns respektieren, wir werden immer ein bisschen vergessen" - was stimmt, für seine Ureinwohner hat Brasilien wenig übrig. Großgrundbesitzer lassen Eingeborene im Zweifel erschießen. Dennoch wurden diese Herausforderer auf einmal zur internationalen Nachricht, denn kürzlich marschierte die Staatsgewalt auf.

Schwer bewaffnete Militärpolizisten gingen auf der Straße in Stellung, als wollten sie eine der von Drogendealern beherrschten Favelas stürmen. Zur eher symbolischen Verteidigung griffen die Belagerten zu Pfeil und Bogen, bis die Uniformierten wieder verschwanden, weil dem Bürgermeister die absurden Fernsehbilder dann doch zu peinlich wurden. Seitdem sind die Exoten vom Maracanã-Stadion eine Attraktion, bestaunt von Reportern und Touristen.

Die erste WM-Spielstätte wurde derweil am Sonntag in Betrieb genommen, es war das Estádio Castelão von Fortaleza im Nordosten. Die beiden Heimmannschaft der Stadt trennten sich zum Einstand 0:0, danach gewann Bahia 1:0 gegen Céara. Auf der Tribüne saßen die WM-Organisatoren Ronaldo (nach überstandener TV-Diät) und Bebeto, Sportminister Aldo Rebelo sowie Fifa-Generalsekretär Jerôme Valcke. "Fehlen nur noch elf Stadien", schrieb die Zeitung O Globo, bald soll das Minerão von Belo Horizonte folgen.

500 Tage waren es am Montag noch bis zum WM-Beginn am 12. Juni 2014. Das sollte in Brasilia gefeiert werden, doch nach dem Brand in einer Diskothek in Rio Grande do Sul mit 231 Toten wurde das Fest abgesagt, es wird am Mittwoch nur in kleinem Rahmen nachgeholt. Die Sicherheit der WM sieht Valcke nicht gefährdet. Aber noch mehr Verzögerung bei den Bauten wären der Fifa unrecht; Valcke hatte bereits vor einigen Monaten erklärt, Brasilien bräuchte einen "Tritt in den Hintern".

In der Aldeia Maracanã neben dem unfertigen Rund warten sie unterdessen, wie ihr vergleichsweise harmloses Drama ausgeht. Rios Gouverneur will das ehemalige Indio-Museum nun doch nicht abreißen, sondern renovieren. Ein Bub mit Gummischlappen kickt gegen einen zerknautschten Plastikball. Würde er kräftiger schießen, er könnte ins Herz der nächsten Weltmeisterschaft treffen.

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