Bremens wichtiger Heimsieg -:Mit Herz und Verstand

In höchster Abstiegsnot wirkt mal wieder der grün-weiße Schulterschluss: Werder Bremen glaubt nach dem Erfolg gegen Wolfsburg an eine besondere Stärke - und geht gelassen ins Pokal-Halbfinale beim FC Bayern.

Von Frank Hellmann, Bremen

Natürlich hat Theodor Gebre Selassie am Donnerstagabend daheim vor dem Fernseher gesessen. Und diesen legendären Europa-League-Klassiker zwischen dem FC Liverpool und Borussia Dortmund aufgesogen, der so tragisch für den Bundesligisten endete. Was den tschechischen Rechtsverteidiger in Diensten des SV Werder jedoch am meisten faszinierte, war die auch via TV-Übertragung noch transportierte besondere Atmosphäre an der Anfield Road. "Die Fans sind dort etwas Besonderes", sagte Gebre Selassie am Samstag nach dem verdienten 3:2 (1:1) gegen den VfL Wolfsburg, "aber unsere Anhänger sind es auch: Sie waren unser zwölfter Mann."

Tatsächlich ist in Bremen wieder das entstanden, was an diesem Standort zum Saisonende schon häufiger passierte: der gemeinsame grün-weiße Schulterschluss. Das außergewöhnliche Ambiente rund ums Weserstadion machte selbst Trainer Viktor Skripnik als Sieggarant aus: "Das war eine besondere Atmosphäre. Die Unterstützung war der Wahnsinn - ich bin dafür dankbar."

Erst der dritte Heimsieg in dieser Saison

Eine Woche zuvor hatte an jener Stelle nach einer Heimniederlage gegen den FC Augsburg noch Begräbnisstimmung geherrscht; nun hat der erst dritte Heimsieg der Saison gegen die enttäuschende Werkself wieder Aufbruchsstimmung erzeugt. "Das ist für die Zukunft auch mental wichtig", konstatierte Skripnik knapp, "wir sind überglücklich, denn das bringt Selbstvertrauen."

Ganz nebenbei sicherte der Erfolg auch den Job des 46-Jährigen, der auf der Zielgeraden gewiss nicht mehr gefeuert wird. "Das haben wir ganz klar geäußert, dass wir mit diesem Trainerteam die Situation meistern werden. Ich bin auch sicher, dass wir sie meistern werden", hatte Geschäftsführer Thomas Eichin bereits vor Anpfiff verlauten lassen. Das Pro-Skripnik-Statement nach der Begegnung klang nicht viel anders. Obwohl der ukrainische Fußballlehrer nach einem schwer durchschaubaren Verwirrspiel in Werders Führungsetage zunächst schon fast entlassen schien, dann jedoch gestützt wurde, schwang sich Werder nun zu einer reifen Leistung auf, die Hoffnung auf den Ligaverbleib nährt. Skripnik erklärte: "Wir haben mit Herz Fußball gespielt, nur so geht es im Abstiegskampf."

Werder Bremen v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Der Spaß scheint zurück: Bremen feiert sich und Claudio Pizarro - nach dem 3:2 gegen Wolfsburg glaubt Werder wieder an den Klassenerhalt.

(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Bremen plötzlich mit Struktur, Konzept und Spielidee

Doch zu Einsatz, Eifer und Engagement gesellten sich zumindest auch zeitweise wieder Struktur, Konzept und Spielidee. Lange vermisste Tugenden belebten die Bremer, um den besten Auftritt dieser Spielzeit vor der treuen Kundschaft hinzulegen. In der Hansestadt ist - Parallele zu 2013 - eine Kampagne entstanden, die die Mannschaft zum Klassenerhalt tragen soll. Was damals auf den Namen "ALLEz GRÜN" hörte, nennt sich nun "greenwhitewonderwall" - unterlegt mit dem Oasis-Klassiker.

Initiator der Aktion ist der erst 32-jährige Steffen Scholz, der auf seinem Scheinbein den Kopf des früheren Werder-Spielmachers Johan Micoud und auf die Wade einen der markanten Flutlichtmasten hat tätowieren lassen. "Wenn wir drinbleiben, lasse ich mir den Hashtag aufs Bein machen", sagt der Vorsitzende des Werder Fans Club Twitter (WFCT). Zu dem von verschiedenen Ultra-Gruppierungen mitgetragenen Maßnahmenbündel zählt, bereits den Mannschaftsbus bei der Anfahrt vom Osterdeich zu begrüßen. Dicht gedrängt standen die Menschenmassen hinter der Ostkurve, als das Gefährt um 14.14 Uhr die Rampe herunterfuhr - viele hielten grüne Luftballons und aufmunternde Transparente hoch. Auch das Abschlusstraining war an der Weser von Sympathiebekundungen dieser Art begleitet worden. "Unsere Fans wissen genau, was der Mannschaft hilft", sagte Eichin. Offenbar hat das bei den Profis neue Kräfte freigesetzt. Oder wie Eichin befand: "das gewisse Etwas".

Bereits in der ersten Halbzeit hätten beschwingte Bremer eigentlich zwingend führen müssen, aber nach dem glücklich verwandelten Elfmetertor von Claudio Pizarro (32., vom Pfosten ins Netz) leistete sich die Werder-Deckung die übliche Unaufmerksamkeit: Josuha Guilavogui erzielte per Kopf den 1:1-Pausenstand (36.).

Pizarro alleiniger Werder-Rekordtorschütze

Doch in der zweiten Hälfte belohnte sich der Gastgeber für seine couragierte Vorstellung, die sich auch in 21:8 Torschüssen und 7:1 Ecken ausdrückte: Dem schön herausgespielten 2:1 von Fin Bartels (64.) ließ Sambou Yatabaré das 3:1 folgen (83.). Der österreichische Fleißarbeiter Zlatko Junuzovic leistete jeweils die Vorarbeit. Folgenlos blieb daher das 3:2-Anschlusstor von Bas Dost (86.).

Schema & Statistik

Alle Daten und Fakten zum Spiel stehen hier.

Der SV Werder, bei dem der 37-Jährige Pizarro nun mit 102 Bundesliga-Treffern alleiniger Bremer Rekordtorschütze ist, verharrt zwar weiter auf Relegationsrang 16. Aber nicht nur Eichin glaubt für die verbleibenden vier Spieltage daran, in der Tabelle noch klettern zu können. "Unsere Mannschaft musste eine Antwort geben. Wir können jetzt noch Teams einholen, die glaubten, dass sie weit weg sind." Der Manager dürfte dabei den Hamburger SV und VfB Stuttgart gemeint haben - die nächsten beiden Bremer Gegner.

Zuvor steht aber am Dienstag das DFB-Pokalhalbfinale beim FC Bayern an. Niemand erwartet besonders viel vom SV Werder, "das ist nur positiver Druck", findet Eichin. Und die Werder-Fans stimmten sich zumindest gesanglich bereits auf die Reise nach München ein. Ihr Evergreen nach Spielschluss dröhnte bis in die Katakomben: "Zieht den Bayern die Lederhosen aus!"

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