Wettskandal:Wenn Letten wetten

Am Beispiel des lettischen Klubs FC Dinaburg Daugavpils zeigt sich, wie Manipulationsversuche im Fußball heutzutage über Asien gesteuert werden.

Johannes Aumüller und Thomas Hummel

Im Internet-Videoportal Youtube findet sich ein Zusammenschnitt des Qualifikationsspiels zur Europa League zwischen dem FC Dinaburg Daugavpils und Bnei Yehuda Tel Aviv. Er vermittelt einen Eindruck der Fußballwirklichkeit im Südosten Lettlands, nahe der litauischen Grenze: Die Amateurfilmer stehen auf dem Dach der Haupttribüne, der Platz ist eingerahmt von einem Wäldchen, einer Landstraße, einem Parkplatz, auf dem die Autos in der Sonne blinken. Die Szenerie vermittelt das Flair einer deutschen Oberliga-Begegnung. Die Zuschauer kreischen bei Offensivaktionen ihres FC Dinaburg, entnervt stöhnen sie auf beim einzigen Tor, dem 1:0 für die Israelis. Das Mitfiebern, das Kreischen, das Grummeln hätten sie sich sparen können. Denn nach Einschätzung des europäischen Fußballverbandes Uefa war das Resultat "mit großer Wahrscheinlichkeit" abgesprochen. Wie bei mindestens drei weiteren Partien des FC Dinaburg.

Wettskandal: Uefa-Präsident Michel Platini versucht, mit seiner Organisation den Fußball zu schützen.

Uefa-Präsident Michel Platini versucht, mit seiner Organisation den Fußball zu schützen.

(Foto: Foto: AFP)

In Zusammenarbeit mit der Firma Sportradar verfolgt die Uefa die Kursentwicklung auf den internationalen Wettmärkten. Stürzen beispielsweise - wie geschehen - die beobachteten Quoten auf einen knappen Sieg von Bnei Yehuda in Lettland vor Anpfiff ab, nehmen 45 Prozent der Buchmacher plötzlich das Spiel aus dem Angebot, so lässt dies darauf schließen, dass ungewöhnlich hohe Summen eingegangen sind. Und "erhebliche Bedenken bezüglich der Integrität" bestehen, sagt Peter Limacher, Uefa-Experte für die Bekämpfung von Spielmanipulationen durch Wettbetrug.

Russische Teams im Fokus

Auf ein Schreiben der Uefa hin, wonach kürzlich auch zwei Partien der lettischen Virsliga sehr auffällig waren, suspendierte der lettische Verband den FC Dinaburg aus der Meisterschaft. Eine überraschende Strafe, weil die Beweislage bei solchen Vorgängen oft schwierig ist. Doch jetzt, da er öffentlich ist, erlaubt der Fall Dinaburg seltene Einblicke in das System von Spielabsprachen und Spielmanipulationen.

Das Thema rüttelt an den Grundfesten des Spiels, weil die Unvorhersehbarkeit des Ausgangs seine Basis ist. In Deutschland sorgte 2005 die Hoyzer-Affäre für Aufsehen, in der ein Schiedsrichter gegen Geld Spiele verpfiff. Heute vermuten die Ermittler, dass globale Kartelle, die ihre Geschäfte über Wettbüros in Asien abwickeln, von dort aus auf die europäischen Ligen einwirken, indem sie Schiedsrichter, Präsidenten, Trainer oder Spieler bestechen. Laut Limacher werden neun von zehn Manipulationsversuche über Asien gesteuert. Der lettische Klub Dinaburg ist ein Fall unter vielen. Die Uefa ermittelt derzeit in 40 Spielen in Uefa-Wettbewerben. Jüngst wurde ein Schreiben an den russischen Verband RFS publik, in dem die Uefa "größte Bedenken" am Verlauf von sechs Partien anmeldete. Im Fokus stehen Klubs aus Tomsk (erste Liga) und Machatschkala (zweite Liga). Der RFS-Vorsitzende Sorokin nannte den Brief "eine Routine-Angelegenheit".

In ihrem Schreiben an den lettischen Verband beschreibt die Uefa detailliert, was während zweier Virsliga-Partien des FC Dinaburg auf den Wettmärkten vorging. Nur bei flüchtigem Augenschein handelt es sich um unverdächtige Resultate: Dinaburg hatte Heimspiele gegen FK Daugava und SK Blazma jeweils 1:0 gewonnen. Im Spiel gegen den Tabellenletzten Daugava am 24. August ging Dinaburg nach einer halben Stunde in Führung. Obwohl noch 60 Minuten ausstanden, sind in der Folge hohe Beträge darauf gewettet worden, dass der Favorit nicht höher als mit einem Tor Unterschied gewinnen werde. Die Uefa zitiert in ihrem Bericht einen Mitarbeiter in Lettland, der nach dem Tor ein "sehr langsames" Spieltempo bemerkte.

In der Partie am 10. September gegen SK Blazma gingen die Wetter ähnlich vor. Allerdings gingen schon vor Anpfiff hohe Wetten auf einen knappen Erfolg Dinaburgs ein. Als das Team früh das 1:0 (26.) erzielte, ergab sich ein ähnliches Bild: hohe Wetten darauf, dass Dinaburg keine weiteren Treffer erzielt beziehungsweise nicht höher als mit einem Tor Unterschied gewinnt. Dabei hatte Blazma zuvor im Schnitt 2,47 Gegentore pro Spiel bekommen. Die Uefa meint, "dass einige Leute das Endergebnis wussten, bevor die Partie beendet war".

Ähnlich verhielt es sich in der Qualifikation zur Europa League gegen Tel Aviv. Die erste Partie in Israel wurde von großen Buchmachern in Asien 20 Minuten vor Spielbeginn vom Tableau genommen - "das ist einzigartig, gleichzeitig ein starkes Indiz", sagt Limacher: "Es kann davon ausgegangen werden, dass einige Leute wussten, dass das israelische Team das Spiel mit mindestens vier Toren Unterschied gewinnen würde" - Tel Aviv erzielte in der Nachspielzeit das 4:0.

Das Problem ist nicht auf Osteuropa beschränkt, Skandale in Belgien, Finnland, Griechenland oder auch in den unteren Ligen in England belegen dies. Bezeichnend ist die Aussage von Janis Mezeckis, Generalsekretär des lettischen Verbands, wen er außer Dinaburg verdächtigt: "Ich denke, auf der ganzen Welt macht man so was, weil es eine profitable Sache für unehrliche Leute ist."

Präsident und Trainer gesperrt

Ob im Fall Dinaburg weitere Beweise vorliegen, will Lettlands Verband nicht sagen, er verweist auf das laufende Verfahren. Die Uefa reagierte zunächst überrascht auf die schnelle Sanktion. Und so ist unklar, wie der FC Dinaburg die Partien manipuliert hat. Der lettische Verband sperrte Präsident und Trainer lebenslang, weil sie "verantwortlich" seien. Generell, weiß Limacher, nutzen Präsidenten oft die Bestechungsgelder, um ihre Klubs zu finanzieren. Ein Qualifikationsspiel zur Europa League wäre Kriminellen schon mal zwischen 300.000 und 500.000 Euro wert, was dem Jahresetat eines FC Dinaburg entspreche, sagt Limacher. Für die Spieler könnte sich bereits ein Angebot von 1000 Euro pro Partie lohnen, sie verdienten in Lettland in der Regel 300 Euro im Monat. Bislang sind in Dinaburg keine Spieler beschuldigt, Limacher glaubt, dass "zwangsläufig einige dabei sein" müssten.

Dinaburgs Trainer Tamaz Petria weist den Betrugsvorwurf zurück. Er glaubt an eine "politische Entscheidung", wonach der Verband einen Konkurrenten des Hauptstadtklubs Skonto Riga aus dem Verkehr ziehen wollte. Als er 2007 in Dinaburg Trainer wurde, "haben ein paar Routiniers so Sachen gemacht", sagt Petria, die habe er aber bald aus der Mannschaft geworfen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: