Wettskandal im Fußball:In einem kriminellen Sumpf

Manipulationen selbst in der Champions League: Die neue Wettaffäre wächst in bisher unbekannte Dimensionen, doch Europas Fußballverband ist im Kampf gegen den Betrug fast allein.

Thomas Kistner

Alles begann mit Panionios Athen, sagt Peter Limacher, der als Disziplinardirektor der Europäischen Fußballunion Uefa seit gut vier Jahren den Kampf gegen den Wettbetrug anführt - und sich noch immer allein auf weiter Flur sieht, was die Bemühungen des Sports anbelangt. "Der Fall Panionios", sagt Limacher, "hat uns klargemacht: Wahnsinn, da läuft richtig was ab!"

Wettskandal im Fußball: Peter Limacher: im Kampf gegen den Wettbetrug ziemlich einsamer Uefa-Funktionär.

Peter Limacher: im Kampf gegen den Wettbetrug ziemlich einsamer Uefa-Funktionär.

(Foto: Foto: Getty)

Im Dezember 2004 hatte der griechische Erstligist eine Uefa-Cup-Partie gegen Dinamo Tiflis 5:2 gewonnen. Dieses unübliche, erst in der Schlussphase zustande gekommene Resultat hatte in Georgien schon Tage vor der Austragung kursiert. Und in Belgrad hatte die Schwester eines Panonios-Profis hohe Summen auf diesen Spielausgang gewettet.

Aber die Ermittler stießen dort wie in Griechenland an Grenzen; manchmal an solche, wie man sie aus Mafia-Filmen kennt. Griechische Sportfunktionäre besäßen "enorme Macht" und seien "gut mit der Politik vernetzt", klagt Limacher, und im August 2005 in Belgrad half einem Emissär der Uefa, der dort einen Kronzeugen der Panionios-Affäre aufspüren wollte, gar nur noch die sofortige Flucht zurück in die Schweiz. Drei Männer hatten ihn in seinem Hotelzimmer aufgesucht und bedroht: Er solle "die Finger von dieser Person zu lassen".

In Griechenland gilt als gesichert, dass die sogenannte "Thessaloniki-Bande" seit Jahren in großem Stil Spiele manipuliert und auch Kontakte zu den Hinterleuten der Hoyzer-Affäre in Berlin unterhalten haben soll. Prognosen dieses Zirkels seien zu 90 Prozent eingetroffen, heißt es, meist habe es sich um Spiele mit kroatischen Profis gehandelt.

Limacher hat viel auf den Weg gebracht. Der Disziplinarchef baute ein Ermittlerteam zusammen, das europaweit operieren soll, besonders gefragt sind dafür erfahrene Polizisten, die in ihren Ländern vernetzt sind. "Man kennt sich ja", sagt Limacher, "und einige melden sich von selbst." Für die Uefa arbeiten sie wie Privatdetektive.

Hinzu kommen Mittelsmänner: "Es braucht Undercover-Leute in der Szene, das funktioniert nur so", sagt Limacher, der die Bemühungen vieler Verbände nach mehrjähriger scharfer Wettmarkt-Analyse für alibihaft hält: "Frühwarnsysteme reichen nicht." Und doch wäre die Uefa schon froh, in manchen Ländern wenigstens diese Rudimentär-Einrichtung zu haben. "Viele haben nur Kontakte zu den staatlichen Lotterien - also de facto gar nichts."

Die Asien-Verbindungen als Kernproblem

Die Uefa verfolgt Wettbewegungen, die meist wie beim Domino-Spiel verlaufen: In Asien geht's los, sagt Limacher, in Europa ende es stets bei großen Wettanbietern wie Betfair. Dazu passt, dass nun auch in London ermittelt wird. Jedenfalls sind Anbieter, die sich statt als Buchmacher als Wettbörse präsentieren, finanziell weniger motiviert, ihrer Kundschaft auf die Finger zu schauen: Sie verdienen ja so oder so, nämlich nur an den Umsätzen, während die Zocker gegeneinander spielen.

Bei den Wettbewegungen von Asien gen Europa springen unterwegs dann auch viele Trittbrettfahrer auf. Berufszocker, "Leute, die ihr eigenes Frühwarnsystem haben und an den Wettveränderungen erkennen, was sich zusammenbraut". Wettprofis, die vom Zocken leben, müssen dann mitspielen, wenn sie nicht verlieren wollen. Anfang 2009 hatte die Uefa einen Wetter im Visier, der auf sämtliche 25 Spiele gesetzt hatte, die sie zu der Zeit gerade untersuchte.

Ein Kernproblem der Uefa bleibt die Verbindung nach Asien. "Wie läuft das von Europa dorthin", fragt Limacher, "an wen wenden sich Klubs, die mit verschobenen Spielen ihre Etats aufpolieren wollen?" An wen die Agenten, die oft die Einsätze bündeln, oder die Spielerberater?

Daneben ist es so, dass die Tricks immer ausgebuffter werden. Auf den Rängen sitzen sogenannte spotter, die live für die Wettkumpane per Laptop oder Handy Spielverläufe durchgeben, besonders beliebt ist auch, bis zum Anpfiff des Spiels absichtlich große Summen auf das "falsche" Team zu setzen, um so den Wettmarkt irrezuführen.

Die Uefa beobachtet eine Zunahme des Wettproblems in Krisenzeiten. Es sei schnelles, leicht verdientes Geld, sagt Limacher, überdies steckten auch viele Klubs in Nöten. Weshalb der Uefa besonders die nationalen Spielbetriebe ab Liga zwei Sorgen bereiten. "Ungarn ist schlimm", sagt der Disziplinarchef. Probleme gebe es überall, Schwerpunkt sei aber Osteuropa. In der zweiten griechischen Liga fielen seit Januar fast zwei Dutzend Spiele auf, elf Klubs tauchen auf, einer gleich fünfmal. "Schauen wir uns manche Klubchefs näher an", sagt Limacher, "wundert uns nichts mehr."

Andererseits war der Uefa-Fahnder überrascht, als er die deutsche Akte zum Manipulationsfall des Chinesen Lim las. Der habe für eine lächerliche Kaution gehen dürfen, rügt der Uefa-Cheffahnder, seither ist er verschwunden. Indes zählt er die Kroaten-Brüder S. aus Berlin, die schon in der Hoyzer-Affäre verurteilt worden waren und nun erneut in die Fänge der Justiz gerieten, eher nicht zu den Bandenköpfen: "Die richtigen Bosse holen das Geld nicht selber ab."

Im Fall Lim, der kurz vor der WM in Deutschland schnell und geräuschlos aus dem Fokus verschwand, analysierte die Uefa auch die Vorgehensweise der Betrüger: Spieler seien recht "wahllos angesprochen" worden, doch mit perfider Absicht. Limacher: "Ausländer, Schwarze und Afrikaner zuerst - die haben genau geschaut, wie fest einer in seinem Klub, in der Region verwurzelt ist." Gezeigt hätte die Akte auch: "Viele Ausländer haben nicht mitgemacht."

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