Wettmanipulation:Charmeoffensive gegen gekaufte Tennis-Matches

Wimbledon Championships

96 Spiele stehen unter Verdacht. Die meisten davon auf unterklassigen Turnieren.

(Foto: dpa)

96 Spiele auf der Tennis-Tour geraten innerhalb von nur drei Monaten unter Manipulationsverdacht. Die Anti-Korruptions-Agentur TIU wertet das als Erfolg ihrer Bemühungen. Die Profis haben ihre Zweifel.

Von Matthias Schmid

Marc Sieber fehlen nur noch 20 Weltranglistenpunkte zum größten Erfolg seiner Karriere. Der Tennisspieler aus München würde dann erstmals unter die besten 250 Profis der Welt vorrücken, die Starterlaubnis für die Qualifikation bei den Australian Open Anfang nächsten Jahres inklusive. "Ein Kindheitstraum würde sich erfüllen, wenn ich erstmals bei einem Grand-Slam-Turnier mitspielen dürfte", sagt Sieber, der seit zehn Jahren auf der Profitour unterwegs ist. Mehr schlecht als recht lange Zeit. Deshalb ist sein Satz auch keiner dieser typischen Sportlerfloskeln, er meint das so, wie er das sagt. Sieber ist 28 Jahre alt, er hat viel erlebt, schneller Aufstieg, rasanter Absturz, Verletzungen, Operationen. Umso mehr genießt er nun seinen späten Erfolg, der ihn doch noch aus den Niederungen des Tennisgeschäfts auf die großen Bühnen des Planeten hieven könnte.

Die Geschichte von Marc Sieber scheint also doch noch gut auszugehen. Aber es gibt auch andere, die in seinen Regionen spielen, auf seinem Level und doch ohne Happy End auskommen müssen, weil erfolglose Profis versuchen, auf unsportlichem Weg noch ein paar Dollar mitzunehmen. Wie der Südafrikaner Joshua Chetty zum Beispiel. Der 21-Jährige ist vom Internationalen Tennis-Verband ITF Ende September lebenslang gesperrt worden. Chetty hatte zugegeben, einem Kollegen bei einem Turnier in seiner Heimat Stellenbosch 2000 Dollar geboten zu haben, damit dieser in der ersten Runde verliert. Turniersieger der untersten Kategorie auf der sogenannten Future-Ebene erhalten üblicherweise 1500 Dollar. "Viele Spieler kämpfen deshalb um ihr finanzielles Überleben", sagt ein ehemaliger deutscher Weltranglistenspieler, der der SZ Anfang des Jahres einen Einblick in die dunkle Welt des Tennissports gewährt hat. Gekaufte Matches, Spielmanipulationen, Wetten auf die eigenen Partien sind hier ganz unten nicht nur viel diskutierte Themen, sie werden auch in die Tat umgesetzt.

Allein im dritten Quartal des Jahres 2016 gab es 96 Spiele mit auffälligen Wettbewegungen, teilte die Tennis Integrity Unit in dieser Woche (TIU) mit. Die TIU ist so etwas wie die Anti-Korruptions-Agentur im Tennis. Das klingt zunächst viel. Aber tatsächlich ist das nur ein kleiner Prozentsatz, genaugenommen waren nur 0,27 Prozent der 35 041 Profimatches in diesem Zeitraum weltweit betroffen.

Es gibt viele Gründe für Spielmanipulationen

63 der registrierten Fälle trugen sich bei Future-Turnieren zu, 31 auf der zweitklassigen Challenger-Ebene, nur zwei verdächtige Spiele in den Monaten Juni, Juli und August fanden bei Grand-Slam-Turnieren statt, eines davon in Wimbledon. Das seien keine Beweise, dass Partien auch tatsächlich verschoben worden sind, teilte die TIU noch ausdrücklich mit. Es könnte auch andere Gründe für überraschende Ergebnisse und erhöhte Wetteinsätze geben: Formschwankungen der Spieler zum Beispiel oder private Probleme.

2008 hat die TIU ihre Arbeit aufgenommen. Ihr Ruf war lange nicht der beste, weil viele Kritiker ihren ehrlichen Aufklärungswillen wegen Interessenkonflikten infrage stellten. Die Gründer der TIU, an deren Spitze ein pensionierter englischer Polizeibeamter steht, sind nämlich der internationale Tennisverband, die Spielerorganisationen ATP und WTA sowie die Direktion der vier Grand-Slam-Turniere - schlechte Nachrichten mit Spielmanipulationen würden also ihre eigenen Geschäfte torpedieren.

Spieler und ihre Familien werden von dunklen Gestalten bedroht

Erst als zu Beginn des Jahres BBC und Buzzfeed herausfanden, dass 16 Profis der besten 50 der Weltrangliste, darunter sogar ein Majorsieger, Matchabsprachen getroffen haben sollen, geht die Tennis Integrity Unit noch gewissenhafter zur Sache. So veröffentlicht die TIU seitdem vierteljährlich die Anzahl der auffälligen Matches, die ihnen die Aufsichtsbehörden und Wettorganisationen melden.

Die kleinen Turniere sind zu schlecht dotiert

Zudem stellte die Agentur jüngst erst zwei neue Ermittler und einen Ausbilder ein, der wie seine Kollegen die Profis zu moralisch integeren Menschen erziehen soll. Mittlerweile sind zehn Personen im operativen Geschäft beschäftigt, um einerseits Wettbetrug und Bestechungsversuche aufzuklären und anderseits vor deren Gefahren zu warnen und sie im besten Fall so zu abzuwehren.

Die einzelnen Maßnahmen sind Teil der neuen Charmeoffensive, die sich die TIU verordnet hat. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, transparenter zu werden, und natürlich will sie den Tennissport auch sauberer machen.

Das Problem bleibt aber: Geld lässt sich nur bei den großen Veranstaltungen verdienen. Die meisten Tennisspieler bei den kleineren Wettbewerben können sich stattdessen nicht einmal ein Hotelzimmer leisten, sie schlafen im eigenen Auto oder in Zelten auf der Tennisanlage. Sie bewegen sich am Existenzminimum und sind deshalb wie der Südafrikaner Chetty bereit zu manipulieren oder empfänglich für kleinere und größere Summen.

Profis kritisieren die Maßnahmen der Anti-Korruptions-Agentur

Das Thema ist heikel in der Szene. Deshalb wollte der ehemalige deutsche Profi zu Beginn des Jahres auch nicht seinen Namen in der Zeitung lesen. Es sei viel zu viel Geld im Umlauf, hebt der Insider hervor. "Es geht um kriminelle Kartelle, und viele Profis haben Angst vor den Folgen." Etliche von ihnen nehmen die Offerten deshalb an. Sie wollen keine Schwierigkeiten für sich und ihre Familien bekommen, manche sollen verbale Drohungen erhalten haben. Auch Topspieler seien involviert.

Dass nun mehr verdächtige Spiele gefunden werden, hänge auch "mit dem Anstieg ihres Arbeitspensums" zusammen, hebt die TIU hervor. Sie reklamiert die Zahl als ihren Erfolg. Ob mit den eigeleiteten Schritten die Spielmanipulationen verhindert werden können, bezweifeln allerdings nicht nur die Profis. "Wenn die Preisgelder der kleineren Weltranglistenturniere nicht deutlich angehoben werden, wird man die dubiosen Angebote und den Wettbetrug nicht eindämmen können", sagt der Insider der SZ. Nur Spieler, die mehrere Jahre unter den besten 100 zu finden sind, können Geld für ihr Leben nach der Karriere zurücklegen. "Und auch nur dann, wenn sie bescheiden leben", fügt er hinzu.

So wie Marc Sieber, auf ihn könnte in Australien nun der größte Zahltag seines Lebens warten. Schafft er die Qualifikation fürs Hauptfeld, dann hat er etwa 35 000 Euro schon sicher.

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